Sie setzte sich unsicher auf, griff nach einem der Kekse und a? ihn gierig. Nach ganz kurzer Zeit hatte sie alle aufgegessen. Es wurde nicht immer Zeit bleiben, die umgewandelten Stoffe rasch zu ersetzen, aber die Schlusselubertragung mu?te in bester Verfassung geschehen. Die anderen — nun, das war das Risiko, ein Soldat zu sein.

Schlie?lich war sie fertig und sah zu ihm auf.

»Wir haben alleinige Kontrolle«, versicherte sie ihm in einer Sprache, die Roza nie gekannt, ja, von ihr nicht einmal je gehort hatte — so fremd, da? es kaum moglich erschien, wie sie aus einer menschlichen Kehle zu dringen vermochte.

»Es ist gut«, erwiderte er in derselben Sprache, drehte sich um und zog sich an. Sie folgte seinem Beispiel. Fur ihn war alles erledigt. Die Personlichkeit, die Psyche, der Geist von Roza, oder wie man das immer nennen wollte, war tot, aber ihre Erinnerungen, eingeschlossen in die Eiwei?molekule ihres Gehirns, blieben. Sie wu?te alles, was Roza gewu?t hatte, und mehr, denn die Dreel besa?en muhelosen Zugang zum ganzen Hirn.

Er wollte gehen, aber sie hielt ihn auf.

»Warte lieber noch zehn Minuten«, warnte sie in ihrer alten Menschensprache. Selbst der Akzent stimmte genau. »Podi und die anderen wurden argwohnisch werden, wenn wir so schnell zuruckkommen.«

Er nickte verstandnisvoll.

»Du wei?t es am besten«, raumte er ein und setzte sich auf die Bettkante.

Es war eine arg langsame Methode, eine Welt zu erobern, aber auch eine uberaus wirksame.

Die hei?e Sonne brannte auf den Korper von Har Bateen nieder, als er die kleine Bar verlie?. Hitze und alles, was nicht dauernden Schaden fur Wirt und Standort der Dreel hervorrief, nahm er nicht wahr. Er ging zum Raumflughafen und registrierte mit Befriedigung die gro?en Mengen von Dockarbeitern, die sich mit ihren Maschinen versammelten, um die ersten gro?en Schiffe zu entladen. Die gro?en Frachtfahren sa?en summend auf den Landedocks und warteten auf die Nachricht, da? ein Mutterschiff in die Umlaufbahn eingetreten und entladebereit sei.

Es war verlockend, in die Menge hineinzuwaten, nah heranzukommen, es mit Spruhinfektion zu versuchen, aber es ware zu auffallend gewesen, und die Ubernahme selbst wurde zuviel Aufmerksamkeit erregen, vielleicht sogar das Entladen storen. Das wunschten die Dreel nicht, ganz und gar nicht.

Das Schema funktionierte schon sehr lange so. Langsam, mit Uberlegung und unendlicher Geduld, konnte eine Welt — Welt um Welt — ubernommen werden, ohne da? irgend jemand auch nur etwas davon ahnte, bis es zu spat war, oft, ohne da? irgendein Alarm gegeben werden konnte. Die Dreel waren insoweit unsterblich, als sie ihre vererbten Erinnerungen von Generation zu Generation weitergeben konnten, aber nicht physisch unsterblich und dem Leben gegenuber nicht gleichgultig. Waren sie es gewesen, hatten sie sich kaum die Muhe gemacht, uberhaupt andere Welten und Rassen zu ubernehmen. Militarisch war dies die lebensgunstigste Methode, die sie in ihren beinahe vierzigtausend Jahren glorreicher, unbehinderter Eroberung jemals entwickelt hatten. Dabei war jede Spezies anders, jede neue Rasse eine neue Herausforderung. Die Dreel schatzten die Herausforderung am meisten, und jeder Sieg war ein weiterer Beweis fur ihre Uberlegenheit allen anderen Lebensformen gegenuber.

Har Bateen, der Zeit totzuschlagen hatte, bemerkte eine kleine Menschenmenge um zwei Wesen, von denen nur eines ›menschlich‹ war.

Der Mann war hochgewachsen und mager und sah aus, als hatte er ein reichlich hartes Leben hinter sich; ausgebeulte Hose und ausgetretene Schuhe, eine zerfetzte Weste uber einer mageren, behaarten, nackten Brust; ein langes, fast dreieckiges Gesicht, das seit einer Woche nicht rasiert worden war. Das dichte, schwarze Haar trug er beinahe turbanartig zusammengewickelt in einem groben Halstuch.

Ein echter Zigeuner, stellte Har Bateen erstaunt fest. In den ersten Erkundungsberichten war die Rede davon gewesen, da? es eine solche Gruppe gabe, aber niemand hatte je ein Mitglied gesehen. Nicht einmal jemand von den Leuten, die sich jetzt um ihn versammelten, dachte Bateen.

Als Bateen naher herantrat, zog der Zigeuner eine seltsame Rohrflote aus der Tasche und begann, eine merkwurdige, beinahe hypnotische Melodie zu spielen, zu welcher sein Begleiter zu tanzen anfing.

Der Begleiter war wahrhaft fremdartig — etwa halb so gro? wie der Mann, gewi? nicht gro?er als ein Meter — mit schimmernden, blaugrunen Schuppen an einem Reptilkorper. Zwei dicke Beine mit langen, gefahrlichen Krallen trugen den Rumpf. Er stand aufrecht, obschon ein wenig vorgebeugt, und besa? zwei lange, spindeldurre Arme mit winzigen Klauenhanden. Das Gesicht war ebenfalls echsenartig, auch wenn es nichts von der Starrheit eines Reptilkopfes aufwies; es war, als besa?e eine Rieseneidechse die Muskelbeweglichkeit eines Menschengesichts.

Am wenigsten schien dazu zu passen, da? es die gleiche ausgebeulte Kleidung trug wie der Zigeuner, wenn auch naturlich ohne Schuhe — es gab keinen Schuh, der fur diese eigenartigen, ubergro?en Fu?e taugte. Das Wesen war so agil wie ein Affe, und es tanzte wild zur klagenden Melodie der Flote, schneller, immer schneller, als das Tempo zunahm, wobei der lange Schwanz beinahe als drittes Bein diente.

Das war aber erst der Anfang; das Wesen bewegte sich so schnell, da? das Sonnenlicht von Zehntausenden Schuppen zuruckgespiegelt wurde, als funkelten ebenso viele Bergkristalle; die Wirkung war glei?end und verstarkte die hypnotische Macht der fremden Musik.

Die Echse bildete mit dem Mund ein Oval, ein unfa?barer Anblick auf einem Schlangengesicht dieser Art, und man horte irgendwo im Inneren die gro?e Luftmasse grollen. Dann wurde sie zischend ausgesto?en, und die Zuschauer hielten den Atem an. Feuer! Er spie Feuer und formte Muster damit! Kreise, Wirbel, seltsame und vertraute Formen tauchten in Sekundenbruchteilen auf und verschwanden wieder, wahrend die Echse weitertanzte, ein funkelndes, undeutliches Schemen.

Der Zigeuner spielte weiter, aber die stahlgrauen Augen blickten nicht auf seinen Echsenbegleiter, sondern auf die Menge und betrachteten eine Person nach der anderen. Studierten, analysierten.

Selbst die Dreel, getarnt in Korper und Geist von Har Bateen, waren gebannt. Das lag au?erhalb ihrer Erfahrung, und sie nahmen zusammen mit den anderen die fremde Anmut und Schonheit in sich auf.

Und dann war es plotzlich vorbei, ohne Ankundigung. Der letzte Ton und die letzten flammenden Funken vergingen in der hei?en, trockenen Luft, und nur die Erinnerung an die unverge?liche, fremdartige Darbietung blieb.

Die Menge stand gebannt und betaubt. Niemand sagte ein Wort oder bewegte sich, bis plotzlich ein Zuschauer, dann mehrere aus ihrer Versunkenheit emporfuhren und klatschten. Der Applaus steigerte sich zu einem Krescendo von Jubelrufen und beifalligen Pfiffen, vermischt mit Handeklatschen.

Der Zigeuner verbeugte sich ein wenig, und sogar das Echsenwesen schien der Reihe nach allen Zuschauern zuzunicken. Der fremdartige Mann steckte seine Flote ein und wartete auf das Ende des Beifalls. Schlie?lich sagte er in klarer, aber seltsamer Aussprache seiner tiefen Tenorstimme:»Burger, wir danken euch, mein Freund ebenso wie ich.«

»Noch einmal!«schrie jemand, wahrend andere nickten und miteinander murmelten. »Ja, mehr! Mehr!«riefen einige in das Getose hinein.

Der Zigeuner lachelte.

»Danke, meine Freunde, wir wurden das mit Freuden tun — aber wir mussen essen, und mein Freund hier hat einen gro?eren Appetit als ich. Irgendein Zeichen der Dankbarkeit — Marquoz! — ware hochst erfreulich.«

Bei dem Namen ›Marquoz‹ schnaubte der kleine Drache, blickte zu dem Mann auf und schien zu lacheln — ein groteskes Lacheln, das die gefahrlichsten Zahne freilegte, die irgend jemand aus der Menge je gesehen hatte —, griff nach einem Beutel und naherte sich langsam der Menge. Die Leute wichen nervos zuruck.

Der Zigeuner lachte.

»Furchtet Marquoz nicht, meine Freunde! Er fri?t euch nicht. Er wunscht nur, was ich wunsche, Geld, damit wir wieder zivilisiertes Essen kaufen konnen. Nur eine Munze in einen kleinen Beutel, brave Burger, eine Munze, und vielleicht bekommen wir zu essen und ihr noch einen Tanz zu sehen, ja?«

Die Mutigeren in der Menge blieben stehen, und als die Echse zu ihnen trat und den Beutel hinhielt, warfen sie ein, zwei Munzen hinein. Daraus wurde kurz danach eine Flut, die schnell den Beutel fullte.

»Genug! Ihr seid zu gutig!«rief der Zigeuner. »Marquoz?«

Die Echse schnaubte und erschreckte die Leute in ihrer nachsten Nahe, weil dabei zwei wei?e Rauchwolken aus ihren Nustern blafften. Dann drehte sie sich um und brachte den Beutel zu dem Zigeuner zuruck. Ersterer war schwer geworden, und der Mann war mager, aber auf irgendeine Weise schien der Beutel samt Inhalt in eine

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