sich mit allen vier Handen erschrocken fest.
»Du da! Was hast du in meinem Baum zu suchen?«fauchte eine seltsame, hohe und naselnde Stimme uber ihr.
Sie schaute hinauf. Es fiel leicht, ihn zu sehen, aber ein Schock war das auch, weil sie augenblicklich wu?te, da? sie dem Wesen, das sie zornig anglotzte, sehr ahnlich sah.
Er hatte einen kleinen, flachen Kopf, wie der eines Hundes, abgesehen vom Maul, das einem Entenschnabel glich. Ein langer Hals fuhrte zu einem Nagetierkorper, weich und biegsam, als konnte er sich zugleich nach mehreren Richtungen hin verbiegen. Er besa? ebenfalls den flachen Facherschwanz und die langen, dunnen, kraftig aussehenden Arme und Beine. Das Ding war uberdies fast ein Viertel gro?er als sie und hatte ein geflecktes, graues Fell.
»Tut mir leid, aber ich bin neu hier. Ich bin durch Zone hereingekommen, wurde durch das Tor geschickt und bin hier aufgewacht. Ich furchte, ich wei? nicht, wo oder was ich bin. Ich wei? nicht einmal, wie ich hier herunterkomme.«
Die Katzenaugen des Wesens weiteten sich.
»Sie sind also ein Neuzugang, wie? Das mu? stimmen, sonst wurden Sie nie solchen Unsinn reden. Weshalb, um alles in der Welt, sollten Sie
»Na, irgendwohin mu? ich doch«, erwiderte sie ein wenig gereizt.
»Hier konnen Sie nicht bleiben, das steht fest«, schnaubte das Wesen. »Ich mu? jetzt schon zu viele Munder satt kriegen.«
»Aber ich wei? nicht, wohin ich soll«, sagte sie. »Ich bin auf diesem Ast eben erst aufgewacht. Wenn Sie mir nur irgend etwas erklaren wurden.«
Er schien zu uberlegen.
»Hab’ keine Zeit, mich mit Ihren Problemen zu befassen«, sagte er. »Sie verschwinden sofort von meinem Baum, und dann ist
»Ich finde Sie aber gar nicht freundlich«, sagte sie beleidigt. »Au?erdem wurde ich diesen abscheulichen Baum liebend gern verlassen, wenn ich nur wu?te, wie!«
»Abscheulich! Ich mochte Ihnen nur sagen, da? dieser Baum einer der besten in ganz Awbri ist! Na, allein in diesem Jahr ernahrt er zweiundzwanzig Leute! Was sagen Sie nun?«
»Um ganz ehrlich zu sein, mir ist das vollig egal!«sagte sie wahrheitsgema?. »Es tut mir leid, da? ich Ihren Baum abscheulich genannt habe, aber ich mochte sehr gerne wissen, wie man herunterkommt und wie es weitergehen soll. Haben Sie hier denn nicht irgendeine Regierung, irgendeine Behorde?«
Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite, als denke er nach.
»Nun ja, Sie konnten zum Ortsrat gehen. In Awbri brauchen wir nicht viel, keine gro?e Regierung und dergleichen. Der Rat ist hier praktisch das Gro?te, also sollten Sie hingehen. Der Kuhbrau-Busch mitten in der Lichtung dort druben, ungefahr einen halben Kilometer von hier.«Er zeigte hinuber.
Sie sah nichts als Baume und Unterholz.
»Wie komme ich da hin?«fragte sie. »Laufe ich auf den Asten von Baum zu Baum?«
Er gab ein Gerausch von sich, als spucke er.
»Wenn Sie wollen, gewi?. Aber das Fliegen ist viel einfacher. Der Weg ist freigelegt, wie Sie sehen.«
Sie ri? die Augen auf. So war es. Man hatte Offnungen in das uppige Laub geschnitten, wie Stra?en in der Luft. Aber — fliegen?
»Ich — ich wei? nicht, wie man fliegt«, sagte sie.
Er wiederholte den Laut.
»Verdammt! Ich habe aber nicht die Zeit, es Ihnen beizubringen. Dann mussen Sie eben kriechen, fruher oder spater kommen Sie schon hin.«
Und plotzlich war er wieder fort, bevor sie noch etwas sagen konnte. Der Baum erbebte wieder, als er in die Luft sprang, Hande und Fu?e und den Facherschwanz spreizte und durch einen der Tunnelwege segelte.
Sie seufzte und stieg die Aste entlang in die angegebene Richtung. Das Fliegen wurde sie wohl auch noch lernen, um eines Tages zuversichtlich dahinzusegeln. Sie konnte es kaum erwarten.
Die Reise war nicht problemlos. Die Aste standen oft Meter auseinander, und sie brauchte lange Zeit, um das Selbstvertrauen zu finden, damit sie solche Lucken durch einen Sprung uberwinden konnte. Sie schaffte es aber immer mit absoluter Genauigkeit.
Sie begegnete auch anderen Leuten. Die meisten beachteten sie nicht oder sahen sie seltsam an, aber niemand machte sich die Muhe, stehenzubleiben und ein paar Worte zu wechseln. Sie sprangen von allen Asten aller Baume und flogen uberall herum, andere huschten an dicken Stammen entlang, bespruhten und stutzten ihre Baume. Offenkundig lebten sie mit den Baumen zusammen, a?en Laub und Fruchte, existierten symbiotisch mit ihnen.
Hier und dort fand sie Stellen, wo man oben die Sonne oder auch unten den Waldboden sehen konnte. Sie begriff sofort, weshalb der Mann so erstaunt gewesen war, als sie hatte hinuntersteigen wollen; da unten war ein ubler Sumpf, bedeckt mit klebrigem Schlamm, stehendem Wasser und vereinzelten Gewachsen. Ab und zu sah sie riesengro?e, gefahrlich aussehende Reptilien, ganz Gebi?, in Schlammlochern liegend oder durch den Schlick gleitend. Nicht die Art von Wesen, denen sie auf ihrem eigenen Grund und Boden begegnen wollte. Zum Gluck schien keines fahig zu sein, Baume zu erklimmen.
Sie erreichte endlich die Lichtung, eine kleine Anhohe, auf welcher der gro?te Baum wuchs, den sie je gesehen hatte, eine gigantische, grune Kugel, die anderen Baume uberragend und den Himmel verbergend. Vom Ende ihres Baumes zum Beginn des gro?en waren es gute hundert Meter.
Der Sumpf lag immer noch unter ihr, dann stieg die Anhohe an, bedeckt mit spitzen Grasstengeln, zu dem Baum hinauffuhrend. Eine gro?e Zahl von Awbrianern sprang muhelos uber dem Sumpf hin und her, aber sie zogerte. Hundert Meter waren eine lange Strecke, und diese Art von Sprung war ihr einfach nicht moglich.
Sie rief vorbeifliegende Wesen an, aber sie achteten nicht auf ihre Bitten, und nur ein beilaufiger Blick verriet manchmal, da? sie ignoriert wurde, nicht ubersehen.
Sie seufzte. Es begann zu dunkeln; ohne Zuflucht wollte sie hier nicht gern im Dunkeln sitzen. Sie verfluchte Obie, falls er sie zu einem solchen Wesen gemacht hatte, und sie verfluchte die Awbrianer. Sie war eine Hohepriesterin, zum Teufel noch mal!
Noch nie war sie sich so hilflos vorgekommen, noch nie so allein.
Sie horte ein Rascheln, und eines der Wesen landete in ihrer Nahe: der Baum erzitterte. Sie war schon daran gewohnt.
»Sie scheinen in Schwierigkeiten zu sein«, erklarte das Wesen. »Sind Sie verletzt?«
Sie drehte sich hastig um.
»Nein, ich bin nicht verletzt, danke«, erwiderte sie. »Ich bin nur neu hier. Ich — nun, ich war ein anderes Wesen, bis ich vor ein paar Stunden hier aufwachte. Ich bin verwirrt und allein und habe Angst.«
Das Wesen, es war ein weibliches, klappte mitfuhlend mit dem Schnabel.
»Ein Neuzugang, wie? Und irgend jemand hat Sie zu den Senioren geschickt.«
Sie nickte.
»Das vermute ich. Diese — Senioren. Sind sie der Rat?«
Die andere machte eine Kopfbewegung, die ein Nicken sein mochte.
»Ja, gewisserma?en. Sie sind wohl diejenigen, die sich um Sie kummern sollten.«Sie wandte sich dem Baum zu. »Es gibt nur einen Weg, um hinzukommen. Es ist einfach.«
»Fliegen — meinen Sie?«
»Sicher. Ach, hier ist es nicht ganz wie Fliegen. Sie mussen einfach den Wind wittern, ihn mitnehmen, abspringen, als wollten Sie auf einen nahen Ast zielen, Arme, Beine und Schwanz ausbreiten und nur auf den Kuhbrau-Busch dort blicken. Sie kommen hin. Sie fallen nicht hinunter. Vertrauen Sie mir und haben Sie keine Angst. Wenn ich abspringe, kommen Sie sofort nach.«Sie duckte sich zum Sprung.
»Warten Sie!«rief Yua. »Ich mu? erst meinen Mut zusammennehmen. Sagen Sie — hei?t dieses Land Awbri?«
»Richtig. Kommen Sie. Es wird dunkel, und ich bin nachts nicht gern fort von meinem Baum.«Damit sprang