Endlich erschien jemand — nicht derselbe, der ihn befragt hatte, erkannte er. Es fiel ihm jetzt leichter, Individuen auseinanderzuhalten, obwohl er wu?te, da? Nicht-Hakazit in dieser Beziehung Schwierigkeiten haben mochten.
»Danke fur Ihre Geduld«, sagte der Neue freundlich, so, als hatte es Marquoz freigestanden, sich zu entfernen. »Der Hochste Lord empfangt Sie jetzt. Folgen Sie mir.«
Marquoz zuckte zusammen und wiederholte den Titel beinahe laut. Der Hochste Lord? Nun, es ist wenig sinnvoll, sich zu fruh zu freuen, Marquoz, ermahnte er sich selbst. Hier kann das auch der Ausdruck fur den Oberhausmeister des Palastes sein. Die Leute machen den Eindruck, titelsuchtig zu sein.
Es ergab sich jedoch rasch, da? es sich um eine Personlichkeit von betrachtlichem Rang handelte. Dafur sprachen nicht nur die schneidig uniformierten Posten entlang des Korridors, sondern es bezeugten auch die versteckten Fallen, Feuerstellungen und andere uble Dinge, die nur sein geubtes Auge zu erkennen vermochte, hohen Rang und Bedeutsamkeit. Schlie?lich schritt er durch eine riesige, reichverzierte Doppel-Stahltur und stand in einem nackten Vorraum. Argwohnisch schaute er sich um. Ja, Fernsehkameras, ganz eindeutig, und noch sehr viel mehr — aber keine Leute. Das Stahlgitter, das er unter dem Bodenbelag undeutlich wahrnehmen konnte, deutete wohl auf die Moglichkeiten augenblicklicher Totung durch elektrischen Strom hin, sollte er nicht die Billigung des unsichtbaren Beobachters finden. Er sah sich die machtigen Turflugel genauer an, die sich hinter ihm zusammenschoben. Auch dort ein Erkennungssystem, stellte er fest. Vermutlich Rontgenstrahlen, Fluoroskop, Metalldetektor — alles Denkbare. Uber die Macht dieses Hochsten Lords hinaus stand eines fest: Wer und was er auch sein mochte, Marquoz schwebte in standiger Todesangst.
Endlich horte Marquoz ein Knacken, als ware ein Lautsprecher zugeschaltet worden, und eine elektronisch gefarbte Stimme teilte mit:»Sie gehen in die Mitte des Raumes, treten unter den gro?en Luster und bewegen sich nicht.« Die Stimme klang nicht drohend, nur ein wenig argwohnisch. Er tat wie befohlen und wurde aufgefordert, seinen Schwanz ein wenig hierhin oder dorthin zu bewegen, sich hier und dort ein bi?chen zu verschieben, bis er sich fragte, ob er fur ein Magazin abgelichtet werden sollte. Schlie?lich sagte die Stimme:»Ausgezeichnet. Bewegen Sie sich jetzt nicht. Es geschieht Ihnen nichts.«
Plotzlich wurde er von einer Reihe farbiger Strahlen erfa?t, von denen manche seltsam hei? und aufdringlich wirkten. Das dauerte nur einige Sekunden, war aber verdammt unbehaglich. Es prickelte an seinem ganzen Korper noch immer unliebsam, als sie abgeschaltet wurden.
»Gehen Sie jetzt zur Tur und betreten Sie den Audienzraum«, wies ihn die Stimme an. Er schaute sich um und bemerkte zum erstenmal, da? eine ganze Wand lautlos davonglitt. Er zog die Schultern hoch und betrat den kleineren Raum, der nur mit einigen Tischen und Glasern relativ spartanisch eingerichtet war. Die Wand schlo? sich hinter ihm, und er blickte kurz uber die Schulter: Wachen, Stolperfallen, Stahlturen, Abhorraume, Schiebewande — was noch?
Was noch erwies sich als ein Flackern in der Luft vor ihm und als rasches Einblenden einer Gestalt ganz in seiner Art, unterschieden hauptsachlich nur dadurch, da? sie Tunika und Mutze in Scharlachrot trug, beides gesaumt von teuer aussehenden exotischen Pelzen. Der Hochste Lord erschien als eine Art Hologramm, begriff Marquoz. Was fur eine Art von Verfolgungswahn sterilisierte andere gegen Erreger, wenn die Besucher nur einer Projektion begegneten?
Der Hochste Lord betrachtete ihn prufend.
»Na, man sieht, da? Sie wirklich ein Neuzugang sind«, schnaubte der Hakazit-Fuhrer. »Nichts von Verbeugen und Kratzfu? und angeborenen Demutsgesten.«
»Fur ein Solidogramm?« gab Marquoz zuruck.
Der andere lachte.
»Einer meiner Vorganger lie? die Leute seine Fotografie gru?en, die uberall hing«, erklarte er. »Selbstredend hielt er sich nicht lange auf.«
Marquoz betrachtete das Abbild und dachte angestrengt nach.
»Das ist also der Grund fur diese vielen Vorsichtsma?nahmen? Alle haben es darauf abgesehen, Sie aus dem Weg zu raumen?«
Der Hochste Lord lachte brullend.
»Jetzt wei? ich, da? Sie ein Neuzugang sind«, meinte er, noch immer lachend. »So eine Frage! Sagen Sie, wie sind Sie zu diesem Schlu? gekommen?«
»Die meisten Diktatoren furchten Attentate«, erwiderte Marquoz. »Das ist nicht ungewohnlich, weil sie sich dadurch an der Macht halten, da? alle anderen sie furchten.«
Der Hochste Lord horte auf zu lachen und betrachtete den Neuling mit Interesse.
»Sie wissen also, da? das in der Tat eine Diktatur ist? Sie haben wenig Ahnlichkeit mit irgendeinem anderen Neuzugang, von dem ich je gehort habe. Kein ›Wo bin ich? Was mache ich hier?‹ und dergleichen. Das ist das Interessante an Ihnen, Marquoz.«
Der Neuzugang schaute sich um.
»Deshalb so viele Sicherheitsma?nahmen? Weil Sie glauben, mit mir stimme etwas nicht?«
»Hm, nein, eigentlich nicht. Jedenfalls nicht allein«, antwortete der Hochste Lord. »Ah, Sie nennen Hakazit eine Diktatur. Im reinsten Wortsinn trifft das wohl zu. Ich drucke auf eine Taste des Sprechgerats, diktiere einen Befehl, und er wird unweigerlich ausgefuhrt, selbst wenn er noch so idiotisch sein sollte. Und trotzdem — nun, Hakazit ist auch die demokratischste Nation auf der Sechseck-Welt.«
Marquoz’ Kopf zuckte hoch.
»Wie? Wie war das?«
»Ich bin siebenundfunfzig Jahre alt«, erklarte der Diktator. »Siebenundfunfzig. Und wissen Sie, wie viele Hochste Lords es in meiner Lebenszeit gegeben hat? Siebenundsechzig. Und mindestens einer davon herrschte fast vier Jahre lang. Der Rekord laut unserer neuesten Geschichte ist neun Jahre, drei Monate, sechzehn Tage, funf Stunden und einundvierzig Minuten. In einer Geschichte, die uber tausend Jahre zuruckreicht.«
Marquoz seufzte.
»Liegt nahe«, murmelte er. »Und das trotz all dieser Schutzma?nahmen, dieser Apparaturen, der modernsten Elektronik, die es gibt. Fur jeden Zauber gibt es wohl ein Gegenmittel.«
»Genau«, bestatigte der Hochste Lord. »In diesem Augenblick versuchen Hunderte von Offizieren eine Moglichkeit zu finden, wie sie an mich herankommen konnen. Einem wird es irgendwann in nachster Zeit gelingen, dann lande ich auch in den Geschichtsbuchern.«
»Es wundert mich, da? Sie nicht wissen, wer sie sind, und mit ihnen kurzen Proze? machen lassen«, meinte der Neuzugang praktisch. »Ich wei?, da?
Der Herrscher kicherte spottisch.
»Marquoz, Sie begreifen das Problem nicht. Jeder Hakazit macht das. Schulkinder tun es aus Spa? oder zur geistigen Ubung. Ladenbesitzer, Barmixer; nennen Sie, wen Sie wollen. Alle. Man kann nicht mit allen kurzen Proze? machen — dann ware niemand mehr da, dem man diktieren kann.«
»Das ist freilich ein Problem«, bestatigte Marquoz. »Ein Wunder, da? Sie diesen Posten haben wollten — oder da? ihn unter diesen Bedingungen uberhaupt jemand haben will.«
Der Hochste Lord wirkte betroffen.
»Aber worin besteht der Sinn des Lebens, wenn nicht darin, Hochster Lord zu werden? Das ist das einzige, wofur man
Das brachte Marquoz fur einen Augenblick zum Schweigen, wahrend er das Gehorte zu verdauen versuchte. Eine kriegerische Rasse ohne Kriege. Was ist das Ergebnis von Eroberung? Die Fahigkeit, alle herumzukommandieren, zu tun, was man will, alles zu bekommen, was man mochte. Der Gipfel aller Gedankenspiele. Und dieser Posten war hier vorhanden, stand offen, war von
Er wechselte das Thema.
»Tja, eines hat mich neugierig gemacht. Warum sagten Sie, Sie hatten nur tausend Jahre geschriebener Geschichte? Land und Rasse hier sind doch gewi? viel alter.«
»Richtig«, bestatigte der andere. »Aber der Kampf ist uns angeboren, sehen Sie. Wir sind die aggressivste Rasse auf der Sechseck-Welt und umgeben von Hexagons solcher Art, da? es unmoglich ist, sie zu erobern oder