Ich erzahlte ihnen, was das Herz wirklich gewesen war und von der wahren Natur des Handels, der uns allen unsere Torques beschert hatte. Es gab Laute des Erschreckens und schockierte Aufschreie, aber niemand zweifelte meine Worte an. Ich erzahlte ihnen, wie der Handel von jeder neuen Matriarchin bekraftigt werden musste, und jedes Auge im Raum richtete sich auf Martha Drood. Sie ignorierte sie alle und starrte mich kalt an. Ich erklarte, wie ich das Herz zerstort hatte und wieso sie nicht alle gestorben waren, als ihre Torques verschwanden. Und dann verriet ich ihnen das letzte schreckliche Geheimnis der Droods, das nur dem inneren Zirkel bekannt war: Dass wir nicht die geheimen Beschutzer der Welt waren, sondern ihre geheimen Herrscher.

Ich glaube, spatestens da ware es zu einem Tumult gekommen, denn verschiedene Splittergruppen in der Familie schrien und drangten gegeneinander, aber Jacob erhob sich plotzlich in die Luft und nahm wieder seine totenahnliche Erscheinung an. Die Temperatur im Sanktum sackte rapide ab, und wir erschauerten alle, und das nicht nur vor Kalte: Der Tod war zugegen und blickte uns ins Auge. Mit nicht mehr menschlichen Augen starrte Jacob um sich, und alle wurden ganz still und ganz ruhig, denn keiner wollte seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Langsam sank Jacob wieder auf die Plattform herunter und nahm seine ubliche Gestalt an.

Aus dem Schweigen erhob sich eine Stimme: Die Matriarchin verfluchte mich, bezichtigte mich des Verrats an der Familie, nannte mich einen Narren und einen Lugner und einen Feind von allem, wofur die Droods standen. Sie sagte, ich sei kein Enkel von ihr, und rief alle Droods auf, sich zu erheben und mich herunterzuzerren und zu toten. Ihre Stimme wurde immer lauter, schrill vor Wut und Hysterie, Spucke flog ihr aus dem Mund, bis plotzlich der Seneschall ihr eine Hand auf die Schulter legte und sie ordentlich durchschuttelte. Sie verstummte abrupt und sah ihn schockiert an. Der Seneschall lie? sie los und kehrte ihr den Rucken zu, um sich an die Menge zu wenden.

»Ihr alle kennt mich«, sagte er, und seine vertraute raue Stimme fesselte die Aufmerksamkeit aller. »Ihr alle wisst, wofur ich eintrete. Und ich sage euch, Edwin hat sich das Recht verdient, angehort zu werden! Er ist der treueste Sohn, den diese Familie jemals gehabt hat! Mach weiter, Junge! Erzahl ihnen, was sie wissen mussen!«

»Danke«, erwiderte ich. »Aber wohlgemerkt, ich hasse dich trotzdem wie die Pest!«

»Das bringt die Arbeit halt so mit sich«, meinte er vollig unbekummert. »Tempo jetzt!«

Also erzahlte ich ihnen den Rest: Wie ich unbegrundet von der Null-Toleranz-Fraktion geachtet worden war, die insgeheim das Manifeste Schicksal leitete. Das sorgte jetzt wirklich fur helle Aufregung; sie wussten alle, wofur Truman und seine Leute sich einsetzten.

»Wir sind angelogen worden«, sagte ich schlie?lich mude. »Wir sind nicht, wer wir zu sein glaubten. Wir sind nicht die Guten und sind es auch seit Jahrhunderten nicht mehr gewesen. Aber wir konnen es sein; wir konnen sein, wozu wir bestimmt waren. Wenn ihr bereit seid, dafur zu kampfen!«

Im Augenblick sahen die Manner und Frauen vor mir nicht besonders wie Kampfer aus. Die meisten wirkten ziemlich durcheinander, als ob ihnen allen gerade jemand in den Bauch geschlagen hatte, nachdem ihnen so viele unerfreuliche und unerwartete Neuigkeiten eine nach der anderen aufgetischt worden waren. Sie blickten einander unsicher an und schauten dann wieder auf mich, bis schlie?lich eine Stimme aus dem Hintergrund fragte:

»Was sollen wir tun?«

»Wir sollen tun, wofur wir geboren wurden! Wir sollen sein, was wir immer sein sollten: Schamanen des Stammes, die ihr Volk vor allen bosen Machten beschutzen, die es bedrohen! Nur dass jetzt der Stamm die Menschheit ist und wir die Krieger der Welt sein mussen, die den guten Kampf kampfen; nicht fur uns, sondern weil es das Richtige zu tun ist! Wir mussen uns das Recht verdienen, wieder stolz darauf zu sein, den Namen Drood zu tragen!«

»Aber … wie konnen wir kampfen, ohne unsere Torques?«, fragte eine andere Stimme.

Ich lachelte und legte eine Hand an den silbernen Torques um meinen Hals. »Das Herz ist nicht mehr da, aber glucklicherweise habe ich einen neuen Sponsor fur die Familie gefunden.« Und ich sprach innerlich: Zeig es ihnen, fremde Materie!

Binnen eines Moments floss die neue Rustung uber mich und umschloss mich vollstandig mit glanzendem Silber. Die Menge schrie auf; manche applaudierten sogar. Dann sprach eine gro?e Stimme zu ihnen - die fremde Materie, die sich durch mich an die Familie wandte, und ihre Stimme war voller Frieden und Ruhe und Kameradschaftlichkeit:

»Lange und lange habe ich die Kreatur verfolgt, die ihr als das Herz kanntet, durch all die vielen Dimensionen, um sie fur all ihre entsetzlichen Verbrechen zu bestrafen. Nun, da sie tot ist, werde ich hierbleiben, um zu helfen, das Bose, das sie getan hat, wiedergutzumachen. Ich werde euer neuer Protektor sein, und es wird Torques fur alle geben.«

»Wie lange beabsichtigst du dazubleiben?«, fragte eine praktische Stimme.

»Bis ich euch allen beigebracht habe, stark zu sein ohne Rustung«, erwiderte die Stimme. »Ihr habt keine Vorstellung von eurem wahren Potenzial.«

Diese Worte riefen viel Gemurmel in der Menge hervor.

»Aber welchen Preis mussen wir fur diese neue Rustung bezahlen?«, wollte eine andere Stimme in der Menge wissen. »Das Herz wollte unsere Kinder; unsere unbekannten Bruder und Schwestern. Was willst du?«

»Nur helfen«, sagte die Stimme. »Das ist meine Aufgabe. Und bezahlt habt ihr mich bereits, indem ihr das Herz zerstort habt. Ihr habt ja keine Ahnung, wie lange ich damit zugebracht habe, das verdammte Ding zu jagen! Ich bin einfach nur froh, dass es endlich vorbei ist … Ich habe Anspruch auf ein bisschen Urlaub, also denke ich, ich werde ihn hier verbringen. Nur ein paar Jahrtausende. Faszinierende Dimension, faszinierende Leute. Ihr musst mir unbedingt auch mehr uber diese Sexsache erzahlen, die ihr da -«

Spater!, sagte ich schnell innerlich. Wei?t du, ich kann dich nicht die ganze Zeit Fremde Materie‹ nennen. Hast du keinen Namen, den ich benutzen kann?

Wie war's mit Ethel?, schlug die Stimme in meinem Kopf vor. Das ist ein guter Name.

Auch das werden wir spater erortern, sagte ich. Und jetzt befrei mich bitte von dieser Rustung!

Oh, aber sicher!

Die silberne Rustung verschwand wieder in meinen Torques, und ich blickte wieder auf die Familie hinab. »Folgt mir, und ihr werdet alle wieder Rustungen haben! Und wir werden alle sein … was die Familie einmal sein sollte, bevor wir vom Weg abgekommen sind.«

»Unter deiner Fuhrung?«, fragte die Matriarchin laut mit schroffer und unversohnlicher Stimme.

»Nicht, wenn ich ein Wortchen mitzureden habe«, antwortete ich. »Das wollte ich nie; zu viel harte Arbeit.« Ein paar Lacher kamen aus der Menge. »Nein; wir haben Fuhrer genug gehabt. Man kann ihnen nicht trauen. Ihr habt alle dem Handel mit dem Herzen zugestimmt, Gro?mutter; Generationen von Matriarchinnen, die mit der Abschlachtung von Generationen von Kindern einverstanden waren.«

»Wir hatten keine Wahl!«, fuhr sie mich an. »Wir mussten stark sein, um gegen die Machte der Finsternis zu kampfen!«

»Ihr hattet immer eine Wahl«, sagte ich. »Wir nicht. Wir haben der Opferung unserer Bruder und Schwestern nie zugestimmt, Gro?mutter.«

Und irgendetwas muss wohl in meiner Stimme gelegen haben, denn sie wandte den Blick ab und blieb die Antwort schuldig.

»Ich schlage einen gewahlten Rat vor«, sagte ich zur Menge. »Uber die Bestimmungen konnt ihr euch einigen - mit der Ausnahme, dass sich kein Mitglied des gegenwartigen Rats darin finden darf, denn sie waren Teil der Verschworung. Teil der Lugen. Ich werde wahrend der Ubergangsphase nach den Dingen sehen, und dann … bin ich hier weg. Zuruck zum Frontagentendasein. Da gehore ich hin.«

»Wenn du vorhast, die Familie im Stich zu lassen, warum sollten wir dann auf dich horen?«, warf eine weibliche Stimme in der Menge ein, nur um gleich darauf den Kopf einzuziehen, als Molly sie nachdenklich ansah.

»Ich werde die Familie nicht verlassen«, sagte ich bestimmt. »Ich werde mich nur wieder dem widmen, was ich am besten kann: Den Bosen in den Arsch treten und sie wie Babys zum Weinen bringen. Das Manifeste Schicksal ist immer noch da drau?en und ebenso all die anderen Monster, die uns sofort angreifen wurden, wenn sie glaubten, dass wir schwach sind.«

»Wir sind schwach!«, sagte die Matriarchin. »Du hast ihnen gezeigt, dass unsere Verteidigungsanlagen

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