Sechs
Der Fahrstuhl kroch - so kam es mir vor - unerträglich langsam in den neunzehnten Stock hinauf. Inzwischen konnte ich verschiedene Pläne entwickeln und wieder verwerfen. Bodyguards - das machte die Sache erheblich schwieriger.
Ich würde improvisieren müssen. Und im Notfall ein wenig von meiner Tarnung aufgeben.
Ich klingelte lange an der Tür und blickte in die elektronische Pupille der Kamera. Schließlich rührte sich etwas, und aus der in die Wand eingebauten Sprechanlage fragte jemand: »Ja?«
»Sie setzen mich unter Wasser!«, echauffierte ich mich und versuchte, so aufgelöst wie möglich zu klingen. »Die Fresken an der Decke sind schon nass! Im Flügel stehen bereits zwei Eimer Wasser!«
Woher nahm ich bloß diese Fresken und den Konzertflügel? »In was für einem Flügel?«, fragte eine misstrauische Stimme.
Woher sollte ich denn wissen, was die hier für Flügel haben? Schwarze und teure. Oder weiße und noch teurere…
»In meinem Wiener Flügel! Mit geschwungenen Beinen!«, phantasierte ich weiter.
»Und wir dachten schon in dem Klavier, das da steht vor der Tür«, erwiderte jemand mit unverhohlener Ironie.
Ich sah zu Boden. Diese verfluchte allseitige Beleuchtung… Nicht einmal einen ordentlichen Schatten gab es hier!
Als ich die Hand in Richtung Tür ausstreckte, schaffte ich es immerhin, einen schwachen Schatten auf dem rosafarbenen Holz, mit dem der Panzerstahl verkleidet war, zu erkennen. Sofort zog ich ihn zu mir.
Meine Hand tauchte ins
Die Welt gestaltete sich neu. Verlor ihre Farben, ergraute. Tiefe Stille senkte sich herab, nur das elektrische Innenleben der Kamera und der Sprechanlage surrten noch.
Ich stand im
Die fahlen Schatten der aufgeschreckten Bodyguards. Über ihren Köpfen glomm eine alarmierte purpurrote Aura, die ich sogar durch die Tür hindurch sehen konnte. Ich könnte sie mit einem Gedanken berühren, ihnen einen Befehl geben - und sofort würden sie mir öffnen. Doch ich zog es vor, durch die Tür hindurchzugehen.
Die Bodyguards waren wirklich auf der Hut. Einer hielt eine Pistole in der Hand, einer tastete sehr langsam nach seinem Halfter.
Ich berührte die Bodyguards, fuhr ihnen mit dem Daumen über die kräftige Stirn. Schlaft, schlaft, schlaft… Ihr seid sehr müde. Ihr müsst euch hinlegen und sofort einschlafen. Mindestens eine Stunde lang. Tief und fest. Mit süßen Träumen.
Der eine Bodyguard fiel sofort in Ohnmacht, der zweite leistete den Bruchteil einer Sekunde Widerstand. Später würde ich prüfen müssen, ob er zu uns Anderen gehörte. Wer weiß…
Dann trat ich aus dem
Wie Säcke sanken die Bodyguards auf den teuren Perser, der unmittelbar hinter der Tür lag.
Es gelang mir, mit einem Griff gleich beide abzufangen und sie relativ sanft zu betten. Dann folgte ich der Musik, dem friedlichen Geigenspiel.
Diese Wohnung war in der Tat gründlich renoviert worden! Alles glänzte, war durchdacht und harmonisch, offenkundig die Arbeit eines der besten Innenarchitekten. Hier schlug der Hausherr nicht einen Nagel selbst in die Wand. Vermutlich hegte er aber auch gar nicht den Wunsch. »Das«, brummte er billigend oder unzufrieden, während er die kolorierten Zeichnungen betrachtete, dann mit dem Finger auf einige Gemälde zeigte - und die Wohnung fürs nächste halbe Jahr vergaß.
Timur Borissowitsch war anscheinend ins Assol gekommen, um die Jacuzzi zu genießen. Und zwar eine echte Jacuzzi, keinen Whirlpool einer weniger renommierten Firma. Aus dem schaumbekrönten Wasser ragte nur das Gesicht heraus, das mich so schmerzhaft an Geser erinnerte. Der teure Anzug war achtlos über eine Sessellehne geworfen - in diesem Bad reichte der Platz für Sessel, einen Zeitungstisch, eine geräumige Sauna und eben die Jacuzzi, die an ein kleines Schwimmbecken erinnerte.
Gene sind doch trotz allem eine großartige Sache! Gesers Sohn konnte kein Anderer werden, aber in seinem menschlichen Dasein genoss er alle denkbaren Freuden.
Als ich eintrat, mich orientierte und auf die Wanne zuging, starrte Timur Borissowitsch mich an und runzelte die Stirn. Machte aber keine abrupten Bewegungen.
»Ihre Bodyguards schlafen«, setzte ich ihn in Kenntnis. »Ich vermute, Sie könnten jetzt den Knopf einer Alarmanlage drücken oder eine Pistole ziehen. Das brauchen Sie nicht, es würde Ihnen ohnehin nichts nützen.«
»Es gibt hier keinen solchen Alarmknopf«, brummte Timur Borissowitsch, und seine Stimme erinnerte schmerzhaft an die Stimme Gesers. »Ich bin nicht paranoid… Sie sind vermutlich ein Anderer?«
Aha. Legen wir die Karten also auf den Tisch…»Ja«, meinte ich lächelnd. »Schön, dass ich auf lange Erklärungen verzichten kann.«
Timur Borissowitsch schnaubte empört. »Was kommt jetzt?«, fragte er. »Muss ich aus der Wanne steigen? Oder können wir das so aushandeln? »
»Es geht auch so«, versicherte ich. »Darf ich mich setzen?«
Der Sprössling des großen Magiers nickte, ich zog einen Sessel heran und nahm Platz, wobei ich erbarmungslos seinen teuren Anzug zerknautschte. »Wissen Sie, warum ich gekommen bin?«, fing ich an.
»Sie sehen nicht wie ein Vampir aus«, meinte Timur Borissowitsch. »Sie sind ein Magier, oder? Ein Lichter?«Ich nickte.
»Sie sind gekommen, um mich zu initiieren«, vermutete Ti-mur Borissowitsch. »Wäre es so kompliziert gewesen, vorher anzurufen?«
Ach du meine Güte… Nichts verstand er.
»Wer hat Ihnen versprochen, Sie zu initiieren?«, fragte ich scharf.
Timur Borissowitsch runzelte die Stirn. »Also… bringen wir es hinter uns«, murmelte er. »Weshalb sind Sie gekommen?«
»Ich untersuche einen Fall, bei dem es um eine nicht sanktionierte Weitergabe von geheimen Informationen geht«, antwortete ich.
»Aber Sie sind ein Anderer? Sie sind nicht von der Staatssicherheit?«, wollte Timur Borissowitsch nervös wissen.
»Zu Ihrem großen Unglück bin ich nicht von der Staatssicherheit. Erzählen Sie mir in aller Offenheit, wer Ihnen wann das Versprechen gegeben hat, Sie zu initiieren.«
»Eine Lüge würden Sie eh spüren«, erwiderte Timur Borissowitsch nur.
»Natürlich.«
»Mein Gott, ich wollte einfach nur ein paar Stunden meine Ruhe haben!«, rief Timur Borissowitsch mit schmerzerfüllter Stimme. »Hier gibt es Probleme, da Schwierigkeiten… Und wenn ich mich in der Wanne entspannen will, platzt ein seriöser junger Mensch herein und verlangt Erklärungen!«
Ich wartete ab. Wies ihn nicht darauf hin, dass ich kein»junger Mensch«war.
»Vor einer Woche hat sich jemand mit mir getroffen…«, begann Timur Borissowitsch stockend. »Unter recht seltsamen Umständen… ein Herr…«
»Wie sah er aus?«, wollte ich wissen. »Sie brauchen ihn mir nicht zu beschreiben. Stellen Sie ihn sich einfach kurz vor.«
In Timur Borissowitschs Augen flackerte Neugier auf. Er starrte mich an.
»So?«, fragte ich irritiert. Was seinen Grund hatte.
Wenn ich dem Bild glauben durfte, das der Geschäftsmann sich eben ins Bewusstsein gerufen hatte