geben. Und vorsichtshalber auch noch gegen Bären. Und vielleicht auch noch gegen Löwen, denn der Wald hier sei ganz genauso wie der in Afrika.
»Du bekommst keine Kräuter!«, widersprach die Frau streng. »Das sind seltene Kräuter, die ins Rote Buch eingetragen sind. Die darf man nicht einfach ausreißen.«
»Ich weiß, was das Rote Buch ist«, freute sich Romka. »Sagen Sie doch bitte…«
Die Frau sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Unverzüglich meinte die gut erzogene Xjuscha, es sei jetzt wohl Zeit für sie zu gehen.
Für den Rückweg bekamen die Kinder eine Honigwabe. Die Frau brachte sie bis zum Waldrand, den sie so schnell erreichten, als renne der Pfad ihnen in unter den Füßen davon.
»Setzt keinen Fuß mehr in den Wald!«, schärfte die Frau ihnen noch einmal ein. »Wenn ich nicht in der Nähe bin, frisst euch der Wolf.«
Als sie den Hügel zum Dorf hinunterkletterten, blickten die Kinder mehrmals zurück.
Am Anfang stand die Frau noch da und schaute ihnen hinterher. Dann war sie verschwunden. »Es ist doch eine Hexe, oder, Xjucha?«, wollte Romka wissen.
»Sie ist Botanikerin!«, verteidigte Xjuscha die Frau. Und dann fiel ihr etwas auf. »Du stotterst nicht mehr!«
»Do-do-doch!«, alberte Romka. »Ich konnte auch früher schon ohne zu stottern sprechen, das habe ich nur zum Spaß gemacht!«
Eins
Wer hat eigentlich behauptet, frisch gemolkene Milch sei lecker?
Das geht anscheinend schon in der ersten Klasse los. Mit der
Tatsächlich schmeckt frisch gemolkene Milch höchst eigenwillig. Ja, nach einem Tag im Keller, kalt geworden, da sieht die Sache schon anders aus. Dann können sie sogar die Geschlagenen trinken, die an einem Mangel an Verdauungsenzymen leiden. Von denen es im Übrigen gar nicht so wenige gibt. Nach Dafürhalten von Mütterchen Natur bräuchten erwachsene Menschen nämlich keine Milch zu trinken, sondern nur Kinder… Doch die Menschen hören selten auf die Meinung der Natur. Noch seltener tun es die Anderen.
Ich langte nach dem Krug und goss mir ein weiteres Glas ein. Kalte Milch, mit Schaum… Warum der Schaum durch das Erhitzen wohl so eklig wird, während er bei frischer Milch am besten schmeckt? Ich nahm einen großen Schluck. Genug, für Swetka und Nadjuschka musste auch noch was übrig bleiben. Im ganzen Dorf - keinem kleinen Dorf, sondern einem mit fünfzig Häusern! - gab es nur eine Kuh! Aber immerhin gab es eine… Und ich hatte den starken Verdacht, dass die alleinstehende Kuh ihren reichen Ertrag Swetlana zu verdanken hatte. Tante Sascha, eine vierzig Jahre alte Bäuerin, Besitzerin der Kuh Raika, des Ebers Borka, des Ziegenbocks Mischka und einer kleinen namenlosen Vogelschar, bildete sich grundlos etwas darauf ein. Swetlana wollte einfach, dass unsere Tochter richtige Milch trank. Deshalb blieb die Kuh von allen Krankheiten verschont. Tante Sascha hätte sie mit Sägespänen füttern können - Raika wäre nichts passiert!
Nein, richtige Milch, das ist schon was Feines. Selbst wenn die Reklamehelden mit Tetrapacks ins Dorf fahren und mit strahlendem Funkeln in den Augen immer wieder»echte Milch!«sagen. Das müssen sie. Dafür bekommen sie ihr Geld. Und auch die Bauern, die schon seit langem und unwiderruflich vergessen haben, wie man Vieh hält, haben es jetzt leichter. Sie können auf Demokraten und Städter schimpfen, brauchen aber keine Kühe zu weiden.
Nachdem ich das leere Glas abgestellt hatte, machte ich es mir in der zwischen Bäumen gespannten Hängematte bequem. Wie ein echter Bourgeois - zumindest aus Sicht der Dorfbewohner. Fährt hier in einem Luxusschlitten vor, schleppt seiner Frau Lebensmittel aus der Stadt an, lümmelt sich den lieben langen Tag mit einem Buch in der Hängematte… Während hier alle durch die Bank den ganzen Tag durch die Gegend stromern, auf der Suche nach einem Schlückchen, mit dem sie ihren Kater bekämpfen können…
»Guten Tag, Anton Sergejewitsch«, begrüßte mich - als habe er meine Gedanken gelesen - der Dorftrinker Kolja über den Zaun hinweg. Wie konnte er sich bloß meinen Namen merken? »Hatten Sie eine gute Fahrt?«
»Hallo, Kolja«, begrüßte ich ihn ganz wie ein Lebemann, indem ich nicht mal den Versuch unternahm, die Hängematte zu verlassen. Er würde das ohnehin nicht zu schätzen wissen. Denn deshalb war er nicht gekommen. »Danke, ich kann nicht klagen.«
»Sie brauchen wohl keine Hilfe, im Haushalt oder…«, fragte Kolja zaghaft. »Ich komme hier vorbei, denke, frag ich doch mal…«
Ich schloss die Augen. Zwischen meinen Lidern leuchtete blutrot die gerade im Zenit stehende Sonne hindurch.
Nichts konnte ich machen. Nicht das geringste bisschen. Eine Intervention sechsten oder siebten Grades hätte gereicht, um dem armen Kolja seinen Hang zum Alkohol auszutreiben, seine Zirrhose zu heilen und in ihm den Wunsch zu wecken, einer Arbeit nachzugehen, auf Wodka zu verzichten und seine Frau nie wieder zu vermöbeln.
Ich könnte sogar, entgegen dem Großen Vertrag, klammheimlich diese Intervention vornehmen. Eine leichte Bewegung mit der Hand…
Und weiter? Im Dorf gab es keine Arbeit. Auch in der Stadt brauchte niemand den ehemaligen Mechaniker Kolja. Und Geld, um»etwas Eigenes«aufzuziehen, hatte Kolja nicht. Noch nicht mal ein Ferkel konnte er sich kaufen.
Er würde weiter seinem Selbstgebrannten nachjagen, sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten und seinen Ärger an seiner ebenso versoffenen Frau auslassen, die die Nase von allem gestrichen voll hatte. Man muss nicht den einzelnen Menschen kurieren, sondern die ganze Welt.
Oder wenigstens ein Sechstel der Welt. Mit dem stolzen Namen Rus.
»Anton Sergejewitsch, ich habe einfach keine Kraft mehr…«, beteuerte Kolja nachdrücklich.
Wer brauchte einen ehemaligen Alkoholiker in einem sterbenden Dorf, in dem der Kolchos abgewickelt worden war und dem einzigen Landwirt drei Mal der Hof abgefackelt wurde, bevor er die Anspielung endlich verstand?
»Kolja«, sagte ich. »Was hast du bei der Armee gemacht? Warst du Panzerfahrer?«
Gibt es bei uns eigentlich Söldner? Sollen die doch in den Kaukasus ziehen, statt ein Jahr lang gepanschtem Wodka hinter-herzurennen…
»Ich habe nicht gedient«, antwortete Kolja kleinlaut. »Sie haben mich nicht genommen. Damals hat man dringend Mechaniker gebraucht, deshalb wurde ich immer wieder zurückgestellt, dann war ich zu alt… Anton Sergejewitsch, wenn Sie mal jemanden die Fresse polieren müssen - da bin ich wirklich gut! Ganz bestimmt! Ich mach Hackfleisch aus dem!«
»Kolja«, bat ich. »Kannst du dir nicht mal den Motor in meinem Auto angucken? Irgendwas hat da gestern geklackert…»
»Klar!«Kolja wurde munter. »Ich…«
»Nimm den Schlüssel.«Ich warf ihm den Bund zu. »Nachher kriegst du eine Flasche von mir.«
Auf Koljas Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. »Soll ich das Auto auch noch für Sie waschen? Das ist doch ein teurer Wagen… und bei unsern Straßen…«
»Vielen Dank«, erwiderte ich. »Da wäre ich dir wirklich sehr dankbar.«
»Aber Wodka will ich nicht«, meinte Kolja plötzlich, und ich zuckte sogar vor Überraschung zusammen. Was bedeutete das? Stand die Welt Kopf? »Der schmeckt nach nichts… Aber ein Fläschchen Selbstgebrannter…«
»Abgemacht«, stimmte ich zu. Der glückliche Kolja machte die Pforte auf und ging auf den Schuppen zu, in dem ich gestern das Auto abgestellt hatte.