beiden Kindern gekommen, alle andern haben entweder keine oder nur ein Kind. Wir haben eine Geburtenkrise im Land…«
»Von der demographischen Situation ist mir auch schon etwas zu Ohren gekommen«, unterbrach mich Geser amüsiert. »Was ist mit den Dorfbewohnern?«
»Es gibt große Familien, aber Swetlana kennt die aus dem Dorf alle gut. Die sind sauber, das sind ganz gewöhnliche Menschen.«
»Also müssen es Leute von auswärts sein«, schlussfolgerte Geser. »Soweit ich es verstanden habe, ist im Dorf niemand verschwunden. Gibt es in der Nähe vielleicht Pensionen oder Hotels?«
»Ja«, entgegnete ich. »Auf der andern Seite des Flusses, rund fünf Kilometer entfernt, ist ein Pionierlager… oder wie die Dinger jetzt heißen. Ich habe schon herausgekriegt, dass dort alles in Ordnung ist und kein Kind vermisst wird. Man lässt sie auch gar nicht zum Fluss hinunter, das ist ein Lager mit militärischer Disziplin, ziemlich streng. Schlafengehen, Aufstehen, fünf Minuten zum Anziehen. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.«
Geser krächzte missmutig. »Brauchst du Hilfe, Anton?«, fragte er.
Ich dachte nach. Das war die entscheidende Frage, auf die ich bislang noch keine Antwort hatte finden können.
»Ich weiß es nicht. Die Hexe ist anscheinend stärker als ich. Aber ich will sie ja nicht ermorden… und das sollte sie spüren.«
Weit, weit weg, in Moskau, versank Geser tief in Gedanken. »Swetlana soll die Wahrscheinlichkeitslinien überprüfen«, stieß er dann hervor. »Wenn für dich keine große Gefahr besteht… dann versuch, allein mit der Sache klarzukommen. Wenn sie höher als zehn, zwölf Prozent ist… dann…«Er zögerte, fuhr dann aber recht munter fort: »Dann kommen Ilja und Semjon. Oder Danila und Farid. Zu dritt schafft ihr das.«
Ich lächelte. Dein Plan sieht anders aus, Geser. Ganz anders. Du hoffst, dass mich im Notfall Swetlana rettet. Und dann in die Nachtwache zurückkehrt…
»Außerdem hast du noch Swetlana«, meinte Geser abschließend. »Du überblickst das Ganze. Also mach dich an die Arbeit und gib mir im Notfall Bescheid.«
»Zu Befehl,
»Militärisch gesprochen, Oberstleutnant«, fuhr mich Geser prompt an, »läge mein Dienstgrad nicht unter dem eines Generalissimus. Genug, mach dich an die Arbeit.«
Nachdem ich das Telefon weggesteckt hatte, verglich ich kurz die Kraftstufen mit den Armeerängen. Siebter Grad einfacher Soldat, sechster Sergeant, fünfter Leutnant, vierter Hauptmann, dritter Major, zweiter Oberstleutnant, erster Oberst.
Gut, wenn man großzügig war und die Unterteilung innerhalb der einzelnen Ränge außer Acht ließ, dann wäre ich ein Oberstleutnant. Während der General für einen gewöhnlichen Magier außerhalb jeder Kategorie zu reservieren war. Geser jedoch war ein ungewöhnlicher Magier!
Die Pforte klapperte, und Ljudmila Iwanowna trat ein. Meine Schwiegermutter. Die unermüdliche Nadjuschka wirbelte um sie herum. Kaum war sie in den Garten gekommen, warf sie sich johlend in die Hängematte.
Ja, meine Tochter war noch nicht initiiert. Doch sie spürte ihre Eltern. Und ihren Alltag prägte noch vieles mehr, was normale zweijährige Mädchen nicht kennen. Zum Beispiel fürchtete sie sich vor keinem einzigen Tier, während alle Tiere sie mochten. Hunde und Katzen wichen ihr überhaupt nicht von der Seite… Mücken bissen sie nicht.
»Papka«, meinte Nadja, während sie auf mich kraxelte. »Wir sind spazieren gewesen.«
»Guten Tag, Ljudmila Iwanowna«, begrüßte ich meine Schwiegermutter. Für alle Fälle: Denn heute Morgen hatten wir uns auch schon begrüßt.
»Du ruhst dich aus?«, fragte meine Schwiegermutter ungläubig. Nein, mein Verhältnis zu ihr war gut. Kein sprichwörtliches. Trotzdem hatte ich den Eindruck, sie wolle mir ständig irgendetwas vorwerfen. Dass ich ein Anderer war, zum Beispiel - wenn sie denn etwas von den Anderen gewusst hätte.
»Ein bisschen«, antwortete ich munter. »Seid ihr weit weg gewesen, Nadja? »
»Ja.«
»Bist du jetzt müde? »
»Ja«, bestätigte Nadka, »aber Oma ist noch mehr müde.«
Ljudmila Iwanowna blieb kurz stehen, als überlege sie, ob sie einem Nichtsnutz wie mir seine eigene Tochter anvertrauen konnte. Offenbar beschloss sie, es zu wagen. Sie ging ins Haus.
»Und wohin gehst du?«, fragte Nadjuschka, wobei sie meine Hand kräftig drückte.
»Habe ich denn gesagt, dass ich irgendwohin gehe?«, wunderte ich mich.
»Nein…«, räumte Nadka ein und zerzottelte sich mit ihrem kleinen Händchen das Haar. »Aber du gehst doch? »
»Ja«, gab ich zu.
Eben. Wenn ein Kind ein potenzieller Anderer ist - noch dazu von solcher Kraft -, verfügt es von Geburt an über die Gabe, in die Zukunft zu sehen. Vor einem Jahr hatte Nadka eine Woche vor dem Zeitpunkt, als die ersten Zähne durchkamen, angefangen zu weinen.
»La, la, la…«, fing Nadja an zu singen und guckte zum Zaun hinüber. »Der Zaun muss gestrichen werden! »
»Hat Oma das gesagt?«, wollte ich wissen.
»Ja. Wenn hier ein richtiger Mann wäre, würde er den Zaun streichen«, wiederholte Nadjuschka inbrünstig die Worte. »Aber hier ist kein richtiger Mann, da muss Oma selbst streichen.«Ich seufzte.
Zum Teufel mit diesen Datschenfanatikern! Warum müssen Menschen auf ihre alten Tage unbedingt in sich die Leidenschaft entdecken, in der Erde zu buddeln? Ob sie sich schon mal an sie gewöhnen wollen?
»Oma hat einen Spaß gemacht«, sagte ich und klopfte mir auf die Brust. »Hier gibt es einen richtigen Mann, und der wird auch den Zaun streichen! Im Notfall streicht er sogar alle Zäune im ganzen Dorf. »
»Ein richtiger Mann«, wiederholte Nadka und lachte los.
Ich vergrub das Gesicht in ihrem Haar und pustete. Nadjuschka fing gleichzeitig zu kichern und zu strampeln an. Ich blinzelte Swetlana zu, die gerade aus dem Haus kam, und setzte meine Tochter auf der Erde ab. »Lauf zu Mama.«
»Nein, lieber zu Oma«, meinte Swetlana, als sie Nadja auffing. »Milch trinken. »
»Ich will keine Milch! »
»Du brauchst sie«, entgegnete Swetlana.
Darauf widersprach Nadjuschka nicht, sondern steuerte widerspruchslos auf die Küche zu. Selbst bei Menschen gibt es ein seltsames wortloses Verstehen zwischen Mutter und Kind. Was wollte man da erst über uns sagen? Nadja spürte genau, wann sie sich Mätzchen leisten konnte - und wann sie es besser bleiben ließ.
»Was hat Geser gesagt?«, fragte Swetlana, während sie sich neben mich setzte. Die Hängematte schaukelte.
»Er hat mir die Wahl gelassen. Ich kann die Hexe allein suchen oder Hilfe rufen. Was meinst du?«
»Soll ich für dich in die Zukunft schauen?«, wollte Swetlana wissen. »Hm.«
Swetlana schloss die Augen und streckte sich in der Hängematte aus. Ich zog ihre Beine gerade und legte sie mir über die Knie. Von außen betrachtet die reinste Idylle. Eine attraktive Frau lag in einer Hängematte und entspannte sich. Neben ihr saß ihr Mann, der ihr hingebungsvoll über die Hüfte streichelte…
Auch ich konnte in die Zukunft sehen. Jedoch viel schlechter als Swetlana, denn das gehörte nicht zu meinem Spezialgebiet. Außerdem brauchte ich dafür weitaus länger, und meine Prognose traf nicht immer zu. Swetlana schlug die Augen auf. Sah mich an. »Und?«Ich konnte mich nicht beherrschen.