»Nimm das, Wächter. Ohne Hintergedanken, ohne Verschlagenheit meinerseits, weder zu deinem Schaden noch Kummer. Will zum Schatten werden, wenn ich lüge, dass ich spurlos mit dem Wind verfliege…»
»Was ist das?«, fragte ich.
»Ein Kleinod.«Arina runzelte die Stirn. »Oder, wie es jetzt heißt… ein Artefakt. »
»Und wozu?«
»Deine Kraft reicht wohl nicht, um das zu erkennen?«, fragte Arina mitleidig. »Deine Frau wird es wissen. Und wozu brauchst du Erklärungen, Lichter? Ich könnte schließlich auch lügen, das würde mir nicht schwer fallen. Könnte lügen, und du würdest mir glauben. Schließlich bist du schwächer als ich, das weißt du selbst.«
Ich schwieg, biss mir auf die Lippe. Hm… Immerhin hatte ich sie ein paar Mal ziemlich angefahren. Nun zahlte sie es mir heim.
»Nimm das, keine Angst«, wiederholte Arina. »Auch Baba-Jaga ist zwar schlecht, hilft aber guten jungen Männern.«Warum eigentlich nicht?
»Besser würdest du mir die Werwölfe ausliefern«, meinte ich, während ich den Kamm an mich nahm. »Ich nehme dein Geschenk nur als Überbringer entgegen, und diese Gabe bedeutet für niemanden irgendein Versprechen.«
»Du abgebrühter Kerl«, nuschelte Arina. »Und die Wölfe… tut mir leid. Ihr werdet sie schon kriegen, das weiß ich. Aber ich werde sie nicht ausliefern. Übrigens kannst du das Buch mitnehmen. Vorübergehend. Um es zu prüfen. Dazu hast du doch das Recht, oder?«
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich immer noch das vermaledeite
»Zum Studium, zeitweilig, im Rahmen meiner Rechte als Wächter«, meinte ich finster.
Trotzdem machte diese Frau mit mir, was sie wollte! Wenn ihr der Sinn danach gestanden hätte, wäre mir erst zu Hause aufgefallen, dass ich das Buch zufällig mitgenommen hatte. Dann hätte sie mit Fug und Recht bei den Wachen Beschwerde einlegen können: wegen Diebstahl eines wertvollen»Kleinods«.
Als ich das Haus verließ, sah ich, dass es bereits tiefe Nacht geworden war. Und ich musste noch mindestens zwei, drei Stunden durch den Wald marschieren.
Doch kaum war ich die paar Stufen zum Haus hinunter, als vor mir ein geisterhaftes blaues Feuer aufleuchtete. Ich seufzte und linste zur Hütte hinüber, in deren Fenster grelles elektrisches Licht brannte. Arina würde mich nicht begleiten. Das
Feuerchen tanzte auffordernd vor mir in der Luft.
Ich folgte ihm.
Fünf Minuten später hörte ich das träge Kläffen der Hunde.
Weitere zehn Minuten später gelangte ich zum Waldrand.
Was mir am meisten zu schaffen machte: Die ganze Zeit über hatte ich nicht die geringste Spur von Magie gespürt.
Vier
Das Auto im Schuppen hatte sein früheres Äußeres bereits zurückgewonnen. Allerdings wagte ich es nicht, mich ans Steuer zu setzen, um zu testen, ob der vielgeplagte Motor, nachdem russische Mechaniker, Spezialisten für landwirtschaftliche Maschinen, an ihm herumhantiert hatten, auch funktionierte. Mucksmäuschenleise schlich ich ins Haus, wobei ich lauschte: Meine Schwiegermutter schlief bereits in ihrem Zimmer, während in unserem matt das Nachtlicht brannte. Ich öffnete die Tür und trat ein.
»Hat alles geklappt?«, wollte Swetlana wissen. Der fragende Ton in ihrer Stimme ließ sich übrigens kaum wahrnehmen. Sie spürte auch ohne Worte alles ganz genau.
»Mehr oder weniger«, nickte ich. Ich sah zu Nadjuschkas Bett hinüber. Meine Tochter schlief fest. »Die Werwölfe habe ich nicht gefunden. Mit der Hexe habe ich geredet.«
»Erzähl mal«, forderte Swetlana mich auf. Sie saß nur im Nachthemd im Bett, neben ihr lag das dicke Buch
Ich zog meine Schuhe aus und setzte mich neben sie. Dann fing ich zu erzählen an.
Ein paar Mal verzog Swetlana das Gesicht. Ein paar Mal lächelte sie. Als ich die Worte der Hexe, »deine Frau hat dich verzaubert«wiederholte, wurde Swetlana ganz verlegen.
»Hör auf damit!«, rief sie völlig hilflos. »Frag Geser… er sieht jeden meiner Zauber… Ich bin noch nicht mal auf den Gedanken gekommen!«
»Ich weiß«, beruhigte ich sie. »Die Hexe hat zugegeben, dass sie gelogen hat.«
»Freilich, darüber nachgedacht habe ich schon«, lachte Swetlana plötzlich. »Wer kann seinen Gedanken schon entkommen… Aber das war nur Spinnerei, nicht ernst gemeint. Als Olga und ich mal über Männer gesprochen haben… vor ewigen Zeiten…»
»Sehnst du dich nach der Wache?«, platzte ich heraus.
»Ja«, gab Swetlana zu. »Aber lass uns nicht darüber reden… Anton, du bist fabelhaft! Du bist wirklich in die dritte Schicht des
»Das ist eine Nummer zu groß für mich«, widersprach ich. »Zweite. Eine solide zweite. Das ist meine Grenze. Und auch darüber werden wir nicht weiter sprechen, ja?«
»Lass uns lieber über die Hexe reden.«Swetlana lächelte. »Sie hat sich also in Winterschlaf gelegt? Von so etwas habe ich schon gehört, aber es ist unglaublich selten. Du könntest einen Artikel darüber schreiben.«
»Für wen? Für die Zeitung
»Für die Informationsbroschüre der Nachtwache«, schlug Swetlana vor. »Überhaupt, wir sollten unsere eigene Zeitung herausbringen. Für Menschen müsste sie einen zweiten Text enthalten… worüber auch immer. Irgendwas Hochspezielles.
»Woher weißt du das alles?«, wunderte ich mich. Und erstarrte. Mir fiel wieder ein, dass ihr erster Mann, den ich nie gesehen hatte, sich für Aquarien begeisterte.
»Ach, das ist mir einfach so eingefallen«, meinte sie stirnrunzelnd. »Auf alle Fälle müsste jeder Andere, selbst der schwächste, den richtigen Text sehen können.«
»Mir schwebt bereits eine erste Überschrift vor«, sagte ich.
Ich griff nach meiner Jacke und holte den in ein Taschentuch gewickelten Kamm heraus. »Ich kann darin keine Magie erkennen«, gab ich zu. Swetlana hielt den Kamm eine Zeit lang in Händen.
»Und?«, fragte ich. »Was musst du tun? Ihn über die Schulter werfen, damit dort ein Wald entsteht?«
»Du solltest sie auch gar nicht sehen«, erklärte Swetlana mit einem Lächeln. »Das liegt nicht an der Kraft, da hat die Hexe dich hinters Licht geführt. Vermutlich würde selbst Geser nichts erkennen… Das ist nichts für Männer.«
Sie führte den Kamm zum Haar und fing an, sich mit gleichmäßigen Bewegungen zu kämmen. »Stell dir mal vor…«, sagte sie beiläufig. »Es ist Sommer, heiß, du bist müde,