unterlassene Zinszahlungen - am Ende ebenfalls auf dem Scheiterhaufen landete.

Aus dem Text ging hervor, dass selbst die Hexen dieses Vorgehen nicht billigen konnten. Die empörten Seitenhiebe gegen die Klatschbase Jeanne ließen sich nicht überlesen, die nicht druckreifen Beinamen für ihren übergeschnappten Waffengefährten sprachen für sich. Die Schlussfolgerung dagegen fiel trocken und wissenschaftlich aus: Es gebe absolut keine Möglichkeit, die»Neigung zur Zauberei«bei einem gewöhnlichen Menschen zu nutzen, um ihn in einen Anderen zu verwandeln. Denn ein Anderer zeichnet sich nicht durch seine größere»Neigung«aus, die der blutrünstige und dumme Gilles de Rais zu erreichen hoffte, sondern durch seine geringere! Daher machten alle grausamen Experimente ihn nur mehr und mehr zum Menschen…

Das klang überzeugend. Ich kratzte mir den Nacken. Also… meine magische Veranlagung war also weitaus geringer als die des Alkoholikers Onkel Kolja? Und nur deshalb konnte ich mir das Zwielicht zunutze machen? Na so was… Swetlana hätte demnach wohl eine noch geringere»Neigung«?

Und sollte Nadjuschka dann theoretisch überhaupt nicht magisch veranlagt sein? Weshalb die Kraft sich schier in sie ergoss? Ungehemmt, ohne jedes Problem? So sind sie, die Hexen, immer für einen Spaß zu haben!

Das nächste Kapitel diskutierte die Frage, ob es möglich sei, das Niveau der Kraft der Natur anzuheben, damit sich eine höhere Zahl von Menschen in Andere verwandelte. Das Ergebnis bot nicht viel Trost: nein. Denn die Kraft nutzen nicht nur die Anderen, die im Prinzip zeitweise auf Magie verzichten konnten. Auch das blaue Moos, die einzige bekannte Pflanze, die in der ersten Zwielicht-Schicht wächst, fraß begeistert Kraft. Je mehr Kraft es gab, desto stärker würde das Zwielicht-Moos wachsen. Möglicherweise gab es in tieferen Schichten weitere Kraftverbraucher… Daher stellt das Kraftniveau eine Konstante dar. Als ich diesen Ausdruck in dem alten Buch las, musste ich schmunzeln.

Danach folgte die Geschichte des Fuaran. Der Titel ging auf den Namen einer alten orientalischen Zaubermeisterin zurück, die unbedingt aus ihrer Tochter eine Andere machen wollte. Lange Zeit hatte die Zaubermeisterin experimentiert. Zunächst schlug sie den Weg von Gilles de Rais ein, dann erkannte sie ihren Fehler und versuchte, das Kraftniveau der Natur anzuheben… Kurzum, sie irrte in alle denkbaren falschen Richtungen. Am Ende verstand sie, dass es nötig war, die»Neigung der Tochter zu Zauberei herabzusenken«. Ihre entsprechenden Versuche sollen Gerüchten zufolge im Fuaran beschrieben sein. Das Ganze wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass die Natur der»Neigung«zu dieser Zeit nicht bekannt war. An dieser Situation hatte sich weder bis zum Erscheinungsjahr des Buches noch bis heute etwas geändert. Dennoch hatte die Hexe mit der Methode von Versuch und Irrtum Erfolg und machte aus ihrer Tochter eine Andere!

Zum Pech der Hexe interessierte eine dermaßen bedeutende Entdeckung ausnahmslos alle Anderen. Damals gab es noch keinen Großen Vertrag und keine Wachen, keine Inquisition… Kurzum, dem Zauberspruch jagten alle nach, die gerüchteweise von diesem Wunder gehört hatten. Eine Zeit lang wehrten sich Fuaran und ihre Tochter erfolgreich gegen alle Angriffe. Anscheinend hatte die ohnehin schon mächtige Hexe nicht nur aus ihrer Tochter eine starke Andere gemacht, sondern auch ihre eigene Kraft noch gesteigert. Die erbitterten Anderen formierten sich zu einer ganzen Armee von Magiern, ohne in Dunkle und Lichte zu unterscheiden, schlugen gemeinsam zu und vernichteten in einer schrecklichen Schlacht die kleine Familie der Hexe. In ihrer letzten Stunde kämpfte Fuaran verzweifelt um ihr Leben, verwandelte sogar ihre menschlichen Diener in Andere. Diese gewannen zwar tatsächlich Kraft, waren aber zu verzweifelt und ungeschickt. Nur ein Diener stellte sich als klüger als die übrigen heraus, indem er sich nicht blindlings in den Kampf stürzte, sondern das Buch an sich nahm und Fersengeld gab. Als die siegreichen Magier merkten, dass der»Laborbericht«der Hexe verschwunden war (denn beim Fuaran handelte es sich schlicht um die Laboraufzeichnungen der Hexe), hatten sich die Spuren des Flüchtlings bereits verloren. Danach suchte man lange und erfolglos nach dem Buch. Ab und an versicherte jemand, dem flüchtigen Diener, der inzwischen zu einem recht starken Anderen geworden war, begegnet zu sein und das Buch gesehen und durchgeblättert zu haben. Fälschungen tauchten auf - teilweise stammten sie aus der Hand verrückter Anhänger der Hexe, teilweise von abenteuerlustigen Anderen. Alle Fälle wurden sorgfältig untersucht und dokumentiert.

Das letzte Kapitel beschäftigte sich mit dem Thema»Worauf war Fuaran gestoßen?«. Die Autorinnen bezweifelten nicht, dass die Frau wirklich Erfolg gehabt hatte, hielten das Buch jedoch für unwiederbringlich verloren. Sie zogen einen traurigen Schluss: Ihre Entdeckung muss so zufällig und außergewöhnlich gewesen sein, dass sich ihre Natur nicht mehr rekonstruieren lässt.

Am meisten erstaunte mich das kurze Resümee. Falls das Fuaran heute noch existieren sollte, dann sei es die Pflicht jedes einzelnen Anderen, es zu vernichten, und zwar»aus allgemein einsichtigen Gründen, ungeachtet der außerordentlichen Versuchung und des eigenen Vorteils…«Ach, diese Dunklen! Wie sie an ihrer Macht kleben!

Ich schloss das Buch und schlenderte durch den Garten. Abermals schaute ich in den Schuppen, wagte es aber auch diesmal nicht, den Motor anzulassen.

Fuaran und ihr Buch waren real. Daran hegten die Hexen keinen Zweifel. Ich ließ die Möglichkeit einer Mystifizierung zu, glaubte im tiefsten Herzen jedoch nicht daran.

Damit gab es also theoretisch die Möglichkeit, einen Menschen in einen Anderen zu verwandeln!

Das warf auch ein völlig neues Licht auf die Ereignisse im Assol. Der Sohn von Geser und Olga war ein Mensch gewesen - wie es üblicherweise bei Anderen der Fall ist. Deshalb konnten die beiden Großen ihn nicht finden. Sobald sie ihn jedoch gefunden hatten, machten sie einen Anderen aus ihm, erst dann zogen sie das ganze Theater auf. Bei dem sie noch nicht einmal davor zurückschreckten, die Inquisition zu täuschen.

Ich legte mich in die Hängematte, griff nach meinem MD-Player. Stellte den Zufallsgenerator ein und schloss die Augen. Ich wollte mich aus der Welt ausklinken, meine Ohren mit irgendetwas Sinnlosem zustopfen… Doch ich hatte kein Glück. Es kam Piknik.

Mir ist gar nicht mehr zum Lachen, Tür und Fenster sind verschwommen, Ist der Große Inquisitor Mich zu foltern doch gekommen. Mich bedrängt der Inquisitor Er sortiert die Instrumente: »Sag mir, was du weißt, sag alles, weil es dir nur nützen könnte.« Glaubt, er kriegt mich auf, als ob ich Irgend so ein Koffer wär, Weiß, da ist ein Doppelboden, Scheint der Koffer noch so leer.

Solche Zufälle mag ich nicht! Selbst ganz gewöhnliche Menschen können die Realität beeinflussen, sie sind bloß nicht in der Lage, ihre Kraft zu lenken. Jeder Mensch kennt das: Der Autobus, der genau im richtigen Moment kommt - oder eben hartnäckig nicht kommt; ein Lied aus dem Radio, das hundertprozentig zu deinen Gedanken passt; ein Anruf von jemandem, an den du gerade gedacht hast… Es gibt übrigens eine sehr einfache Möglichkeit, um herauszubekommen, ob du nah an den Möglichkeiten eines Anderen bist. Wenn du mehrere Tage hintereinander bei einem zufälligen Blick

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