»Das kenn ich, das kenn ich«, sagte Geser in gutmütigem Ton. »Wenn du das echte Fuaran gefunden hättest… Darauf hättest du dir was einbilden können. Ist das alles, Anton? »

»Ja«, gab ich zu. Und Geser unterbrach die Verbindung. Edgar wartete geduldig.

Ich ging zu ihm, legte eine Kunstpause ein. »Welches Ziel hat Ihre Untersuchung?«, fragte ich dann. »Und was soll ich dabei tun?«

»Sie werden mit mir zusammenarbeiten, Anton?«Edgar freute sich aufrichtig. »Meine Untersuchung betrifft die Hexe Arina, die Sie entdeckt haben. Sie müssten mir den Weg zu ihr zeigen.«

»Und was will die Inquisition von der Alten?«, wollte ich wissen. »Meiner Ansicht nach hat sie nicht das geringste Verbrechen begangen. Auch nicht aus Sicht der Nachtwache.«

Edgar geriet in Verlegenheit. Er wollte lügen - und gleichzeitig wusste er, dass ich die Lüge spüren könnte. Von der Kraft her konnten wir beide uns ungefähr messen. Und seine inquisitorischen Tricks mussten nicht immer funktionieren.

»Es geht da um eine alte Sache«, gab der Dunkle Magier zu. »Die seit den dreißiger Jahren anhängig ist. Die Inquisition hat eine Reihe von Fragen an sie…«

Ich nickte. Von Anfang an hatte mich die Geschichte von den Ermittlungen des bösen NKWD gestört. Gewiss, die Bauern hätten durchaus versuchen können, die Hexe hintenrum loszuwerden. Aber eben nur versuchen. Mit einem Anderen niedrigen Grades konnte eine solche Sache durchaus noch klappen. Aber nicht mit einer so mächtigen Hexe…

»Gut, ich zeig Ihnen, wo sie wohnt«, stimmte ich zu. »Wollen Sie noch etwas frühstücken, Edgar?«

»Da sage ich nicht nein.«Der Magier zierte sich nicht. »Und… Ihre Gattin hat nichts dagegen? »

»Das werden wir gleich in Erfahrung bringen«, meinte ich.

Ein interessantes Frühstück. Trotz allem fühlte sich der Inquisitor nicht ganz wohl in seiner Haut, versuchte krampfhaft, lustig zu sein, machte Swetlana und Ljudmila Iwanowna Komplimente, plapperte mit Nadjuschka in der Kindersprache und lobte das einfache Spiegelei.

Nadjuschka, meine kleine Kluge, sah den»Onkel Edgar«aufmerksam an und schüttelte den Kopf. »Du bist ein andrer«, sagte sie. Danach wich sie ihrer Mutter nicht von der Seite.

Swetlana amüsierte Edgars Besuch. Sie stellte Edgar verschiedene unverfängliche Fragen, erinnerte ihn an die»Geschichte mit dem Spiegel«und verhielt sich insgesamt so, als ob ein Arbeitskollege oder guter Bekannter gekommen sei.

Dafür zeigte sich Ljudmila Iwanowna schier entzückt von Edgar. Ihr gefiel seine Art, sich zu kleiden, zu reden, selbst dass er die Gabel in der linken Hand hielt und das Messer in der rechten, begeisterte meine Schwiegermutter. Man hätte glauben können, alle übrigen äßen mit Fingern… Als Edgar dann auch noch ganz entschieden ein Schnäpschen ablehnte, erntete ich einen derart gouvernantenhaften Blick, als ob ich die Angewohnheit hätte, mir jeden Morgen erst mal ein oder zwei Gläschen Wodka hinter die Binde zu kippen.

Deshalb machten Edgar und ich uns satt, aber leicht verärgert auf den Weg. Ich über die Begeisterung meiner Schwiegermutter, er anscheinend über ihre Aufmerksamkeit.

»Können Sie mir sagen, was Sie der Hexe vorzuwerfen haben?«, fragte ich, während wir auf den Wald zusteuerten.

»Eigentlich haben wir doch Brüderschaft getrunken«, erinnerte mich Edgar. »Wollen wir wieder zum Du übergehen? Oder steht meine neue Arbeit…«

»Die ist nicht schlechter als die Arbeit in der Tagwache«, unterbrach ich ihn. »Gut, duzen wir uns.«

Zufrieden drückte sich Edgar nicht länger um die Antwort. »Arina ist eine starke und ehrenwerte Hexe… innerhalb ihrer engen Kreise. Wie du weißt, Anton, hat jede Gruppe ihre eigene Hierarchie. Geser kann sich noch so sehr über Viteszlav lustig machen, aber unter den Vampiren ist er der stärkste. Bei den Hexen nimmt Arina eine vergleichbare Position ein. Eine sehr hohe.«

Ich nickte. O nein, sie war keine einfache Hexe, meine neue Bekannte…

»Die Tagwache hat sie mehrmals zur Mitarbeit aufgefordert«, fuhr Edgar fort. »Genauso hartnäckig, wie ihr um Swetlana gekämpft habt… Nimm's mir nicht übel, Anton!«

Das tat ich nicht.

»Die Hexe lehnte entschieden ab. Gut, das ist ihr Recht! Vor allem, da sie sich verschiedentlich auf eine zeitweilige Zusammenarbeit eingelassen hat. Aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts, genauer, nach der sozialistischen Revolution, geschah etwas Unangenehmes…«

Er verstummte, zögerte. Wir gingen in den Wald, wobei ich Edgar, wenn auch mit einer gewissen aufgesetzten Sicherheit, führte. Der Dunkle Magier stapfte, so albern er in seiner Stadtkleidung auch wirkte, ungerührt durch Büsche und über holprigen Boden. Noch nicht mal die Krawatte lockerte er.

»Damals haben die Nacht- und die Tagwache um das Recht auf ein gesellschaftliches Experiment gerungen…«, berichtete Edgar. »Den Kommunismus haben sich ja bekanntlich die Lichten ausgedacht…«

»Und die Dunklen verdorben«, konnte ich mir nicht verkneifen.

»Hör doch auf, Anton«, meinte Edgar beleidigt. »Wir haben gar nichts verdorben. Die Menschen haben frei entschieden, welche Gesellschaft sie aufbauen wollen! Doch zurück zum Thema: Die Wachen haben Arina um Hilfe gebeten. Sie hat sich einverstanden erklärt… eine kleine Mission zu übernehmen. An ihr hatten sowohl die Dunklen wie auch die Lichten ein Interesse, aber auch die Hexe selbst. Jede Seite war mit… mit dieser Mission einverstanden. Jede Seite hoffte darauf, am Ende zu gewinnen. Die Inquisition schaute sich das Ganze an, einen Grund zum Eingreifen gab es jedoch nicht. Alles lief ja mit Zustimmung beider Wachen…«

Eine interessante Neuigkeit! Was das wohl für eine Mission sein mochte, die sowohl die Dunklen wie auch die Lichten guthießen?

»Arina hat ihre Mission brillant erfüllt«, fuhr Edgar fort. »Die Wachen haben sie sogar belobigt… Wenn ich mich nicht irre, haben ihr die Lichten das Recht auf dunkle Magie zweiten Grades eingeräumt.«

Eine Geschichte, mit der nicht zu spaßen war. Mit einem Nicken nahm ich die Information zur Kenntnis.

»Mit der Zeit kamen der Inquisition jedoch Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Arinas Vorgehen«, berichtete Edgar in sachlichem Ton. »Es tauchte der Verdacht auf, sie sei im Zuge ihrer Arbeit von einer der beiden Seiten beeinflusst worden und habe dann in deren Interesse gehandelt. »

»Und von welcher Seite?«

»Der lichten«, antwortete Edgar finster. »Eine Hexe hilft den Lichten - das klingt unwahrscheinlich, nicht wahr? Ebendeshalb hat man sie auch lange Zeit überhaupt nicht in Verdacht gehabt, doch irgendwann gab es zu viele indirekte Hinweise auf einen Verrat… Die Inquisition beorderte Arina… zu einem Gespräch. Daraufhin verschwand diese. Eine Zeit lang suchte man nach ihr, aber in jenen Jahren, na ja, du weißt selbst, wie das damals gewesen ist…«

»Worin bestand denn eigentlich ihre Aufgabe?«, fragte ich, ohne wirklich mit einer Antwort zu rechnen.

Edgar seufzte. »Manipulation des Bewusstseins von Menschen…«, sagte er dann aber. »Eine vollständige Remoralisation.«

Ich schnaubte. Welches Interesse sollten die Dunklen denn daran gehabt haben?

»Das erstaunt dich?«, brummte Edgar. »Hast du eigentlich eine Ahnung, was so eine Remoralisation bedeutet? »

»Ich habe sie sogar durchgeführt. Bei mir selbst.«

Ein paar Sekunden lang sah Edgar mich überrascht an. Dann nickte er. »Ach… ja. Natürlich. Dann ist es nicht schwer, das Ganze zu erklären. Eine Remoralisation ist ein relativer Prozess, kein absoluter. Letzten Endes gibt es in der Welt eben keine allgemein gültige Moral. Deshalb zwingt die Remoralisation einen Menschen zwar, sich absolut ethisch zu verhalten, jedoch nur im Rahmen seiner moralischen Grundwerte. Grob gesagt, wird ein papuanischer Kannibale, der das Verspeisen seines Feindes nicht für ein Verbrechen hält, sein Gelage seelenruhig fortsetzen. Aber das, was die Moral ihm verbietet, wird er dann in

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