auf die Uhr die Ziffern 11:11, 22:22 oder 00:00 siehst, heißt das, dass deine Beziehung zum Zwielicht an Bedeutung gewinnt. In diesen Tagen solltest du auf deine Vorgefühle und Ahnungen hören…

Aber das sind Lappalien, die Menschen betreffen. Für Andere ist die Beziehung mit dem Zwielicht genauso unbewusst wie für Menschen, wirkt sich aber weitaus stärker aus. Und mir gefiel überhaupt nicht, dass ausgerechnet jetzt das Lied vom Großinquisitor kam.

Wenn ich noch bei Kräften wäre, Sagte ich zu ihm: »Mein Herr, Ich weiß gar nicht, was hier vorgeht, Wo ich bin und was und wer;

So verwirrt sind alle Straßen, dass ich kaum noch gehen kann.«Doch das will er mir nicht glauben, Zieht die Daumenschraube an.

Glaubt, er kriegt mich auf, als ob ich Irgend so ein Koffer wär, Weiß, da ist ein Doppelboden, Scheint der Koffer noch so leer.

Hm. Auch ich hätte zu gern gewusst, was die Welt im Innerstenzusammenhält…

Jemand klopfte mir sanft auf die Schulter.

»Ich schlafe nicht, Sweta«, sagte ich. Und öffnete die Augen.

Der Inquisitor Edgar schüttelte den Kopf und deutete ein Lächeln an. Von seinen Lippen las ich: »Tut mir leid, Anton, aber ich bin nicht Sweta.«Trotz der Hitze trug Edgar Anzug, Krawatte und schwarze Lackschuhe, auf denen sich nicht ein einziges Staubkörnchen niedergelassen hatte. In dieser Stadtkleidung wirkte er noch nicht mal albern. Das nenn ich baltisches Blut!

»Ja, woher…!«, rief ich und wälzte mich aus der Hängematte. »Edgar?«

Edgar wartete geduldig. Ich stöpselte die Kopfhörer aus den Ohren, atmete durch. »Ich habe Urlaub«, sagte ich. »Einen Mitarbeiter der Nachtwache in der arbeitsfreien Zeit zu stören ist laut Vorschrift…«

»Anton, ich wollte Sie nur mal besuchen«, versicherte Edgar. »Haben Sie etwas dagegen?«

Edgar war mir nicht unsympathisch. Niemals würde aus ihm ein Lichter werden, doch sein Wechsel zur Inquisition hatte mir Respekt abgenötigt. Wenn Edgar mit mir reden wollte, würde ich mich jederzeit mit ihm treffen.

Aber nicht auf der Datscha, wo Sweta und Nadjuschka Urlaub machten!

»Ja«, erwiderte ich eisern. »Wenn Sie keine offizielle Verfügung haben, dann verlassen Sie mein Territorium!«

Mit einer unsagbar albernen Geste wies ich auf den schiefen Zaun. Territorium - das Wort war mir einfach so herausgerutscht.

Edgar seufzte. Und griff langsam in die Innentasche seines Jacketts.

Ich wusste, was er herausholen würde. Doch es war zu spät, um jetzt einen Rückzieher zu machen.

Die Verfügung des Moskauer Büros der Inquisition teilte mir mit, dass»wir im Rahmen einer dienstlichen Aufklärung dem Mitarbeiter der Moskauer Nachtwache Anton Gorodezki, Lichter Magier zweiten Ranges, gebieten, er möge dem Inquisitor dritten Ranges Edgar alle nur denkbare Hilfe gewähren«. Eine Verfügung der Inquisition hatte ich nie zuvor gesehen, und auch jetzt fielen mir nur Kleinigkeiten auf: Die Inquisition maß die Kraft weiterhin in den altmodischen»Rängen«, genierte sich nicht, ein Wort wie»gebieten«zu gebrauchen und nannte die eigenen Mitarbeiter selbst in offiziellen Dokumenten nur mit dem Vornamen.

Dann bemerkte ich das Wesentliche. Unten prangte der Stempel der Nachtwache und in Gesers Schrift: »Zur Kenntnis genommen, stattgegeben«. Das wurde ja immer schöner!

»Und wenn ich ablehne?«, fragte ich. »Sie müssen wissen, es gefällt mir nicht, wenn mir jemand etwas gebietet.«

Edgar runzelte die Stirn und linste zu dem Formular hinunter. »Unsere Sekretärin ist schon dreihundert Jahre alt«, erklärte er. »Nehmen Sie es nicht übel, Anton. Das ist nur ihre archaische Ausdrucksweise. So wie Rang.«

»Ist es auch Tradition, ohne Familiennamen auszukommen?«, hakte ich nach. »Nur interessehalber.«

Verständnislos sah Edgar auf das Blatt Papier. Abermals runzelte er die Stirn. »Ach, die alte Blausocke…«, meinte er ärgerlich. »Sie hat meinen Familiennamen vergessen, und mich danach zu fragen, hat der Stolz ihr verboten.«

»Das würde mir das Recht geben, die Verfügung in den Komposthaufen zu werfen.«Meine Augen suchten die Datscha nach besagtem Haufen ab, fanden ihn jedoch nicht. »Oder ins Klo. Wenn in der Anordnung kein Familienname steht, heißt das, sie ist nicht rechtskräftig. Oder etwa nicht?«Edgar hüllte sich in Schweigen.

»Und was droht mir, wenn ich die Zusammenarbeit verweigere?«, wiederholte ich meine Frage.

»Nichts Schlimmes«, meinte Edgar bedrückt. »Selbst wenn ich eine neue Verfügung bringe. Eine Beschwerde an Ihren unmittelbaren Vorgesetzten, eine Strafe nach seinem Ermessen…«

»Damit läuft das strenge Papier also auf eine einfach Bitte um Hilfe hinaus? »

»Ja.«Edgar nickte.

Eine Situation ganz nach meinem Geschmack. Die schreckliche Inquisition, mit der Neulinge einander Angst einjagen, stellte sich als zahnlose alte Blausocke heraus!

»Was ist denn überhaupt passiert?«, wollte ich wissen. »Ich bin schließlich im Urlaub. Mit meiner Frau und meiner Tochter. Und meiner Schwiegermutter. Ich bin nicht im Dienst.«

»Das hat Sie aber nicht daran gehindert, Arina zu besuchen«, antwortete Edgar, ohne mit der Wimper zu zucken.

Das hatte ich nun davon! Wieso musste ich das Ganze auch auf die leichte Schulter nehmen…

»Das gehört zu meinen unmittelbaren dienstlichen Verpflichtungen«, konterte ich. »Menschen zu schützen, Dunkle zu kontrollieren. Immer und überall. Woher weiß die Inquisition übrigens von Arina?«

Jetzt war die Reihe an Edgar zu grinsen und die Antwort hinauszuzögern. »Geser hat es uns mitgeteilt«, sagte er schließlich. »Sie haben ihn doch gestern angerufen und ihm alles berichtet, oder? Da es eine ungewöhnliche Situation ist, hielt Geser es für seine Pflicht, die Inquisition in Kenntnis zu setzen. Als Zeichen unserer unverändert freundschaftlichen Beziehungen.«

Das sollte einer verstehen!

Wenn die Hexe irgendwie in die Geschichte mit Gesers Sohn verwickelt war… Oder war sie es am Ende doch nicht?

»Ich muss ihn anrufen«, sagte ich und ging demonstrativ zum Haus. Edgar blieb gehorsam neben der Hängematte stehen. Er linste zwar zu dem Plastikstuhl hinüber, hielt ihn aber nicht für sauber genug. Ich wartete, das Handy ans Ohr gepresst. »Hallo, Anton. »

»Edgar ist zu mir gekommen…«

»Ja, ja, ja«, sagte Geser zerstreut. »Nach deinem Bericht gestern habe ich es für nötig erachtet, die Inquisition über die Hexe zu informieren. Wenn du willst, hilf ihm. Wenn nicht, jag ihn sonst wohin. Seine Verfügung ist nicht rechtskräftig, ist dir das aufgefallen?«

»Ja«, antwortete ich, während ich zu Edgar hinüberschielte. »Was ist mit diesen Werwölfen, Chef?«

»Die überprüfen wir«, erwiderte Geser nach kurzem Zögern. »Noch haben wir nichts.«

»Und noch einmal zu dieser Hexe…«Ich linste zu dem Buch über das Buch. »Ich habe bei ihr ein erstaunliches Buch beschlagnahmt… Fuaran. Phantasie oder Wahrheit?«

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