zwischen verkruppelten Kiefern, und ihre Schatten betupften das durchhangende Dach und die mit

Brettern vernagelten Fenster. Ich ging darauf zu. Elaine blieb einen Moment zuruck, und ich sah ihr

an, dass sie Angst hatte.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Wirklich. Komm mit«

Die Tur hatte keine Klinke - es hatte einst eine gegeben, doch sie war weggerissen worden -, und so

benutzte ich ein gefaltetes Stuck Karton als Keil zwischen Tur und Rahmen, um sie zuzuklemmen. Ich

entfernte jetzt den Keil und betrat den Schuppen. Die Tur lie? ich so weit auf, wie es ging, denn

drinnen war es dunkel.

»Paul, was? ... Oh. Oh« Dieses zweite >Oh< war fast ein Schrei. An einer Seite stand ein Tisch.

Darauf lagen eine Taschenlampe und eine braune Papiertute. Auf dem schmutzigen Boden stand eine

Zigarrenkiste, die ich von dem Mann bekommen hatte, der die Getranke- und Bonbonautomaten des

Altenheims auffullte. Ich hatte ihn danach gefragt, und weil seine Firma auch Tabakprodukte

verkaufte, war es leicht fur ihn gewesen, daran heranzukommen. Ich bot ihm an, dafur zu bezahlen -

als ich in Cold Mountain arbeitete, waren Zigarrenkisten begehrt und wertvoll gewesen, wie ich Ihnen

vielleicht erzahlt habe -, aber er lachte mich nur aus.

Uber den Rand der Zigarrenkiste spahte ein glanzendes, kleines, schwarzes Augenpaar.

»Mr. Jingles«, sagte ich leise. »Komm her. Komm her, alter Junge, und begru?e diese Lady.«

Ich ging in die Hocke - es schmerzte, aber ich schaffte es - und streckte meine Hand aus. Zuerst

dachte ich, er wurde es diesmal nicht schaffen, uber die Seite der Zigarrenkiste zu klettern, doch es

gelang ihm mit einem letzten Sprung. Er fiel auf die Seite, rappelte sich auf und kam zu mir.

Er humpelte leicht mit einem der Hinterbeine; die Verletzung, die Percy ihm zugefugt hatte, war in Mr.

Jingles' alten Tagen zuruckgekehrt. In seinen alten, alten Tagen. Abgesehen von einem runden Fleck

auf seinem Kopf und der Schwanzspitze war sein Fell vollig grau geworden.

Er hopste auf meine Handflache. Ich hob ihn auf, und er streckte sich, um meinen Atem zu

schnuffeln. Seine Ohren waren zuruckgelegt, und seine kleinen schwarzen Augen blickten lebhaft. Ich

hielt Elaine meine Hand hin. Sie schaute die Maus offenen Mundes und mit weit aufgerissenen Augen

staunend an.

»Das kann nicht sein«, sagte sie und blickte zu mir auf. »Oh, Paul, das ... das kann nicht sein!«

»Schau zu«, sagte ich, »und dann sag das noch einmal.«

Ich nahm aus der Tute auf dem Tisch eine Holzspule, die ich selbst bunt angemalt hatte - nicht mit

Buntstiften, sondern mit farbigem Textmarker, eine Erfindung, von der man 1932 nicht einmal

traumte. Es kam jedoch auf das gleiche hinaus. Die Rolle war so knallig bunt, wie Dels Holzspule

gewesen war, vielleicht sogar noch knalliger. Messieurs et Mesdames, dachte ich. Bienvenu au cirque

du mousie!

Ich ging wieder in die Hocke, und Mr. Jingles flitzte von meiner Handflache. Er war alt, aber besessen

wie eh und je. Seit ich die Spule aus der Tute genommen hatte, hatte er fur nichts sonst Augen. Ich

rollte die Spule uber den unebenen Boden, und Mr.' Jingles eilte sofort hinterher. Er rannte nicht mit

seiner fruheren Schnelligkeit, und sein Humpeln war schmerzlich anzusehen, aber warum sollte er

schnell und sicher auf den Fu?en sein? Er war alt, wie ich schon sagte. Ein Methusalem einer Maus.

Mindestens vierundsechzig.

Er erreichte die Spule, als sie an die ferne Wand prallte und zuruckhupfte. Er umrundete sie und legte

sich dann auf die Seite. Elaine wollte zu ihm gehen, doch ich hielt sie zuruck Nach einer Weile kam Mr.

Jingles wieder auf die Fu?e. Langsam, sehr langsam, schob er die Spule mit der Nase zu mir.

Als er zu mir gekommen war - ich hatte ihn auf der Treppe zur Kuche in fast der gleichen Verfassung

gefunden, als hatte er eine weite, erschopfende Reise hinter sich -, war er noch in der Lage gewesen,

die Spule mit den Pfoten zu lenken, wie er es vor all diesen Jahren auf der Green Mile gekonnt hatte.

Das schaffte er jetzt nicht mehr; sein Hinterbein stutzte ihn nicht mehr. Doch mit der Nase war er so

gut wie immer; er musste einfach von einem Ende der Spule zum anderen laufen, um sie auf Kurs zu

halten. Als er bei mir war, nahm ich ihn auf eine Hand - er wog nicht viel mehr als eine Feder - und

die Spule auf die andere. Der Blick seiner glanzenden schwarzen Augen war stets auf die Spule

gerichtet.

»Nicht noch mal, Paul«, sagte Elaine mit gebrochener Stimme. »Ich kann es nicht ertragen, ihn so zu

sehen.«

Ich verstand, wie sie sich fuhlte, aber ich dachte, dass ihr Wunsch falsch war. Mr. Jingles liebte es,

hinter der Spule herzulaufen und sie zu holen; nach all den Jahren liebte er es immer noch so sehr.

Wir sollten alle so glucklich in unseren Leidenschaften sein.

»Es sind auch Pfefferminzbonbons in der Tute«, sagte ich. »Canada Mints. Ich nehme an, er mag sie

noch - er hort nicht auf zu schnuffeln, wenn ich ihm einen Bonbon hinhalte -, aber seine Verdauung

ist zu schlecht geworden, und so isst er sie nicht. Ich bringe ihm statt dessen Toast«

Ich ging wieder in die Hocke und brach ein kleines Stuck von der Toastscheibe ab, die ich aus dem

Solarium mitgenommen hatte, und legte es auf den Boden. Mr. Jingles schnuffelte an dem Stuck

Toast, nahm es dann zwischen die Pfoten und begann zu mampfen. Seinen Schwanz hatte er hubsch

um sich herumgewunden. Er knabberte zu Ende und schaute dann erwartungsvoll auf.

»Manchmal konnen wir alten Knacker mit unserem Appetit uberraschen«, sagte ich zu Elaine und gab

ihr den Rest der Toastscheibe. »Versuch du es.«

Sie brach ein Stuckchen Toast von der Scheibe ab und lie? es zu Boden fallen. Mr. Jingles humpelte

hin, schnuffelte, schaute zu Elaine ... und hob es auf und knabberte.

»Verstehst du?« fragte ich. »Er wei?, dass du kein Aushilfswarter bist kein Springer.«

»Woher kam er, Paul?«

»Keine Ahnung. Eines Tages ging ich raus zu meinem Morgenspaziergang, und da lag er auf der

Kuchentreppe. Ich wusste sofort, wer er war, aber ich besorgte mir eine Spule, um sicherzugehen.

Und ich beschaffte eine Zigarrenkiste fur ihn.

Ausgelegt mit dem weichsten Stoff, den ich finden konnte. Er ist wie wir, Ellie - an den meisten Tagen

eine einzige wunde Stelle. Doch er hat noch nicht all seinen Lebenshunger verloren. Er liebt immer

noch seine Spule, und er liebt es immer noch, wenn er Besuch von seinem alten Blockpartner

bekommt. Sechzig Jahre lang behielt ich die Geschichte von John Coffey fur mich, uber sechzig Jahre,

und jetzt habe ich sie erzahlt. Ich hatte auch so eine Ahnung, warum er zuruckgekommen ist. Um

mich wissen zu lassen, dass ich mich beeilen und es tun soll, solange noch Zeit ist. Weil ich wie

er - dorthin komme.«

»Wohin?«

»Oh, das wei?t du«, sagte ich, und ich beobachtete Mr. Jingles eine Weile schweigend. Dann, aus

keinem Grund, den ich Ihnen nennen kann, warf ich die Spule wieder, obwohl mich Elaine gebeten

hatte, es nicht zu tun. Vielleicht nur, weil in gewisser Weise seine Jagd nach der Spule wie die Version

alter Leute von langsamem und vorsichtigem Sex war - Sie, die jung und uberzeugt sind, dass Sie in

Ihrem Fall im Alter eine Ausnahme sein werden, mogen es vielleicht nicht so sehen, aber sie wollen es

immer noch tun.

Mr. Jingles eilte wieder hinter der Rolle her, unter sichtlichen Schmerzen und mit seiner ebenso

(jedenfalls fur mich) offensichtlichen fruheren Freude.

»Mouseville«, flusterte Elaine und schaute ihm nach.

»Der Zirkus in Mouseville«, stimmte ich lachelnd zu. »Einen Dime fur Erwachsene, freier Eintritt fur

Kinder.«

»John Coffey beruhrte die Maus wie dich. Er heilte nicht nur deine damalige Krankheit, er machte dich

... resistent«

»Das ist eine gute Bezeichnung, finde ich.«

»Resistent gegen Dinge, die schlie?lich den Rest von uns niederwerfen wie einen Baum mit Termiten.

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