nach dem Tod sehnen.

Um ehrlich zu sein, ich sehne mich bereits danach und habe mich danach gesehnt, seit Elaine Connelly gestorben ist. Muss ich Ihnen das sagen?

Ich schaue mir diese Seiten wieder an, blattere sie mit meinen zitternden, fleckigen Handen durch, und ich frage mich, ob eine Botschaft darin ist wie in diesen Buchern, die aufmuntern und den Leser veredeln sollen. Ich denke zuruck an die Predigten meiner Kindheit, die drohnenden Versicherungen in der Kirche >Gelobt sei Jesus, der Herr ist allmachtig< und ich rufe mir in Erinnerung, wie die Prediger zu sagen pflegten, dass Gott auch einen Spatz sieht, dass Er jedes, auch das letzte Seiner Geschopfe sieht und beobachtet. Wenn ich an Mr. Jingles und die winzigen Holzsplitter denke, die wir in dem Loch im Dachbalken fanden, meine ich, dass es so ist. Doch dieser selbe Gott opferte John Coffey -der auf seine schlichte Art nur versuchte, Gutes zu tun - so grausam, wie jener Prophet des Alten Testaments ein wehrloses Lamm opferte ... wie Abraham seinen eigenen Sohn geopfert hatte, wenn es tatsachlich von ihm verlangt worden ware. Ich denke an Johns Worte, dass Wharton die Detterick- Zwillinge mit ihrer Liebe fureinander totete und dass es jeden Tag geschah, auf der ganzen Welt. Wenn es geschieht, dann lasst Gott es geschehen, und wenn wir sagen: »Ich verstehe das nicht«, erwidert Gott: »Das ist mir gleichgultig«.

Ich denke daran, dass Mr. Jingles starb, wahrend ich ihm den Rucken zuwandte und meine Aufmerksamkeit einem widerwartigen, unfreundlichen Mann galt dessen starkstes Gefuhl anscheinend eine besondere Art von Boshaftigkeit und Neugier ist. Ich denke an Janice, die in ihren letzten Sekunden zitterte, wahrend ich bei ihr im Regen kniete. Hor auf, versuchte ich John an jenem Tag in seiner Zelle zu sagen. Lass meine Hande los. Ich werde ertrinken, wenn du es nicht tust. Ertrinken oder explodieren.

»Sie werden nicht explodieren«, antwortete er, als er meinen Gedanken horte und bei der Vorstellung lachelte. Und das Schreckliche ist, dass es stimmte. Ich bin nicht explodiert. Ich habe wenigstens ein Leiden eines alten Mannes: Ich leide an Schlaflosigkeit. Spat in der Nacht liege ich in meinem Bett und lausche den dumpfen und hoffnungslosen Gerauschen gebrechlicher Manner und Frauen, die sich tiefer ins Alter husten. Manchmal hore ich ein Klingeln, mit dem ein Pfleger gerufen wird, oder das Quietschen von Schuhen auf dem Flur oder Mrs. Javits' kleinen Fernseher, aus dem die Spatnachrichten dudeln. Ich liege hier, und wenn der Mond vor meinem Fenster steht beobachte ich ihn. Ich liege hier und denke an Brutal, an Dean und manchmal auch an William Wharton. Stimmt, Nigger, ich bin so bose, wie du dir nur denken kannst. Ich erinnere mich an Delacroix und glaube ihn sagen zu horen: »Sehen Sie nur, Mr. Edgecombe, ich bringe Mr. Jingles eine neue Trick bei.« Ich denke an Elaine, die an der Tur des Solariums steht und Brad Dolan sagt, dass er mich in Frieden lassen soll. Manchmal dose ich und sehe diese Autobahnbrucke im Regen, und John Coffey steht darunter in den Schatten. Er ist nie nur eine Sinnestauschung in diesen kleinen Traumen. Er ist es immer tatsachlich, mein gro?er Junge. Er steht nur da und beobachtet. Ich liege hier und warte. Ich denke an Janice, wie ich sie verloren habe, wie sie mir im Regen blutig aus den Handen glitt, und ich warte. Jeder von uns muss sterben, ohne Ausnahme, das wei? ich, aber manchmal, o Gott, ist die Green Mile so lang. ENDE

Nachwort des Autors

Ich wei? nicht, wie es bei Ihnen war, aber mir hat es viel Spa? gemacht. Ich bezweifle, dass ich es wiederholen mochte (allein schon, weil einem die Kritiker sechsmal in den Hintern treten statt nur einmal), doch ich mochte die Erfahrung um nichts in der Welt missen. Wahrend ich dieses Nachwort schreibe, bevor Teil 2 von The Green Mile veroffentlicht wird, ist das Experiment mit den Romanen in Fortsetzungen anscheinend ein Erfolg, zumindest was die Verkaufszahlen betrifft. Dafur, treue Leserschaft mochte ich Ihnen danken. Und etwas, das ein bisschen anders ist weckt uns vielleicht alle ein wenig auf - zeigt uns das alte Geschaft des Geschichtenerzahlens in neuem Licht. So empfand ich es jedenfalls.

Ich schrieb eilig, weil Umfang und Termindruck verlangten, dass ich eilig schrieb. Das war ein Teil des Kitzels, aber es fuhrte vielleicht zu einigen Anachronismen. Die Aufseher und Haftlinge horen in Block E im Radio Allen s Alley, und ich bezweifle, dass Fred Allen 1932 tatsachlich im Rundfunk gesendet wurde. Das mag auch fur Kay Kyser und sein Kollege of Musical Knowledge gelten. Ich will mich nicht herausreden, aber manchmal hat es fur mich den Anschein, dass jungere Geschichte schwerer zu erforschen ist als das Mittelalter oder die Zeit der Kreuzzuge. Ich konnte ermitteln, dass Brutal die Maus auf der Green Mile tatsachlich Steamboat Willy genannt haben kann - der Disney-Comic existierte zu diesem Zeitpunkt fast vier Jahre -, aber ich habe den schleichenden Verdacht, dass das kleine pornographische Comicbuch mit Popeye und Olive Oyl nicht in die Zeit pa?t. Ich werde vielleicht einiges von diesen Dingen in Ordnung bringen, falls und wenn ich mich entscheide, The Green Mile als Einzelband zu bringen - aber vielleicht werde ich die Schnitzer auch drin lassen. Hat schlie?lich nicht auch der gro?e Shakespeare in Julius Caesar den Anachronismus gebracht, dass eine Uhr schlagt, lange bevor die mechanischen Uhren erfunden wurden?

The Green Mile als Einzelband zu veroffentlichen wurde sicher wieder eine einzigartige Herausforderung sein, das ist mir klar geworden - das Buch konnte gewiss nicht herausgebracht werden wie in den Fortsetzungen. Da ich mir Charles Dickens als Vorbild nahm, fragte ich herum, wie Dickens mit dem Problem fertig wurde, die Erinnerung seiner Leserinnen und Leser zu Beginn jeder neuen Episode aufzufrischen. Ich hatte etwas ahnliches wie die Zusammenfassung erwartet, die jeder Fortsetzung in meiner geliebten Saturday Evening Post voranging, und festgestellt, dass Dickens nicht so simpel vorgegangen war; er baute die Zusammenfassung in die jeweilige Folge ein. Wahrend ich uberlegte, wie ich das anpacken sollte, wies meine Frau mich darauf hin (sie norgelt eigentlich nicht herum, aber manchmal berat sie ziemlich unermudlich), dass ich die Geschichte von Mr. Jingles, der Zirkusmaus, nie richtig beendet hatte. Ich fand, dass sie recht hatte, und erkannte, dass ich eine ziemlich interessante >Front Story< schaffen konnte, wenn ich Mr. Jingles zu einem Geheimnis in Paul Edgecombes Alter machte. (Das Ergebnis ahnelt ein wenig der Art der Filmversion von Fried Green Tomatoes.) Eigentlich entpuppte sich alles im Vorspann mit Pauls Geschichte - sein Leben im Altenheim Georgia Pines - zu meiner Zufriedenheit. Besonders gefiel mir, dass Dolan, der Pfleger, und Percy Wetmore in Pauls Gedanken miteinander verflochten wurden. Und das war etwas, das ich nicht geplant hatte; wie bei den glucklichsten Fiktionen ergab es sich einfach und nahm seinen Platz ein.

Ich mochte Ralph Vicinanza danken, der mich uberhaupt erst auf die Idee des >Serien Thrillers< gebracht hat, und all meinen Freunden bei Viking, Penguin und Signet, die mich darin bestarkten, obwohl sie zu Beginn eine Heidenangst hatten (alle Schriftsteller sind verruckt, und naturlich wussten sie das). Ich mochte auch Marsha DiFillippo (sic) danken, die einen ganzen Stenoblock voll mit meinen engen handschriftlichen Notizen abtippte und sich nie beklagte. Nun ... fast nie. Vor allem mochte ich jedoch meiner Frau Tabitha danken, die diese Geschichte las und sagte, dass sie ihr gefiel. Schriftsteller schreiben fast immer mit einem Idealleser im Sinn, nehme ich an, und meine Frau ist meiner. Wir stimmen nicht immer darin uberein in dem, was jeder schreibt (Teufel, wir sind selten einer Meinung, wenn wir zusammen im Supermarkt einkaufen), aber wenn sie etwas gut findet, dann ist es das fur gewohnlich auch. Denn sie ist hart in ihrem Urteil, und wenn ich versuche, zu mogeln oder etwas abzukurzen, merkt sie es immer. Und ich mochte Ihnen, meinen treuen Leserinnen und Lesern, danken.

Wenn Sie irgendwelche Vorschlage zu The Green Mile als Einzelband haben, lassen Sie es mich bitte wissen.

Stephen King 28. April 1996 New York City

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