ihr zu sprechen, ihr den Abstand zu zeigen, der zwischen Ihnen beiden liegt.«

»Den Abstand?«

»Ja.«

»Sie vergessen, daß ich Ihnen gestanden habe, ich sei kein Vicomte, ich bin ein Bauer, mein Herr, ein einfacher Bauer und habe mich durch meinen Verstand über meine natürliche Stellung erhoben; nur bitte ich Sie um Stillschweigen. Sie begreifen, daß Herr de Macartie mir seine Tochter nicht geben würde, wenn er wüßte, daß ich ein Bauer bin.«

»Es liegt Ihnen also ungeheuer viel an dieser Heirat?«

»Ich habe Ihnen gesagt, es ist für mich das einzige Mittel, gewagte Spekulationen, die ich zu unternehmen genötigt bin, aufgeben zu können.«

»Ich werde das Mädchen sehen.«

»Heute abend?«

»Heute abend. Wo werde ich sie finden?« »Da, wo ich sie gesehen habe.«

»Auf dem Prellstein?«

»Ja.«

»Sie glauben, sie ist noch dort?«

»Ich bin dessen sicher.«

»Vorwärts.«

Er stand rasch auf und stürzte zur Tür; ich folgte ihm.

Wir gingen hinaus.

Ich wohnte kaum fünfhundert Schritt von ihm. Als wir an die Ecke der Rue Taitbout und der Rue du Helder kamen, blieb er stehen, deutete mit dem Finger auf etwas Gestaltloses, das man kaum im Schatten unterschied, und sagte: »Dort, dort! - Ich kehre durch die Rue du Helder zurück. Das Haus hat, wie Sie wissen, einen Hintereingang ... Gehen Sie zu ihr.«

»Ich gehe.«

»Warten Sie. Ich muß Sie um einen letzten Dienst bitten. Mir scheint, ich bin auf dem Weg, ein Narr zu werden; mir wird schwindelig; alles dreht sich um mich . Ihren Arm, Doktor, führen Sie mich bis zu der kleinen Tür.«

»Gern.«

Ich nahm seinen Arm; er wankte in der Tat wie ein Betrunkener. Ich führte ihn bis zur Tür.

»Ich danke, Doktor, ich danke; ich schwöre, ich bin Ihnen sehr erkenntlich; und wenn Sie einer von den Menschen wären, die sich ihre Dienste bezahlen lassen, so würde ich Ihnen dafür bezahlen, was Sie wollen. Gut, wir sind nun an Ort und Stelle; nicht wahr, Sie kommen morgen und geben mir Antwort? Ich würde mich wohl zu Ihnen bemühen, aber bei Tage wage ich es nicht, ich müßte befürchten, ihr zu begegnen.«

»Ich werde kommen.«

»Adieu, Doktor.«

Er läutete, man öffnete.

»Einen Augenblick«, sagte ich, indem ich ihn zurückhielt. »Der Name dieser Frau?«

»Marie Granger.«

»Gut; auf Wiedersehen.«

Er trat in sein Haus, und ich ging wieder die Rue du Helder hinauf, um in die Rue Taitbout zurückzukehren.

Als ich an die Ecke der zwei Straßen gelangte, da, wo ich die Frau erblickt hatte, hörte ich Lärm und sah eine ziemlich beträchtliche Gruppe, die sich im Schatten bewegte.

Ich lief darauf zu.

Eine vorüberziehende Patrouille hatte die Unglückliche bemerkt, und da sie, befragt, was sie um zwei Uhr morgens hier machte, nicht hatte antworten wollen, führte sie diese Patrouille zur Wache.

Die arme Frau marschierte mitten unter den Nationalgarden und trug ihr weinendes Kind auf dem Arm; doch sie vergoß keine Träne, sie stieß keine Klage aus.

Ich näherte mich sogleich dem Anführer der Patrouille.

»Verzeihen Sie, mein Herr«, begann ich, »ich kenne diese Frau.«

Sie hob rasch den Kopf und schaute mich an.

»Er ist es nicht«, sagte sie und ließ ihr Haupt wieder sinken.

»Sie kennen diese Frau, mein Herr?« erwiderte der Korporal.

»Ja, sie heißt Marie Granger und stammt aus dem Dorf Trouville.«

»Das ist mein Name, und es ist der meines Dorfes. Wer sind Sie, mein Herr? Im Namen des Himmels, wer sind Sie?«

»Ich bin Doktor Fabien und komme im Auftrag von ihm.«

»Im Auftrag von Gabriel?«

»Ja.«

»Dann, meine Herren, lassen Sie mich gehen. Ich flehe Sie an, lassen Sie mich mit ihm gehen.«

»Sie sind wirklich der Doktor Fabien?« fragte mich der Anführer der Patrouille.

»Hier ist meine Karte, mein Herr.« »Und Sie bürgen für diese Frau?«

»Ich bürge für sie.«

»Dann können Sie sie mitnehmen.«

»Ich danke.«

Ich bot der Unglücklichen den Arm; doch sie zeigte mir mit einer Gebärde ihr Kind, das sie zu tragen genötigt war, und sagte: »Ich werde Ihnen folgen, mein Herr. Wohin gehen wir?«

»Zu mir.«

Zehn Minuten später war sie in meinem Kabinett und saß an demselben Platz, wo eine halbe Stunde zuvor der angebliche Vicomte de Faverne gesessen hatte.

Das Kind schlief in einem Lehnstuhl im Nebenzimmer.

Einige Zeit herrschte Stillschweigen, das sie zuerst unterbrach.

»Nun, mein Herr«, sagte sie, »was soll ich Ihnen erzählen?«

»Was Sie glauben, das ich wissen müßte. Bemerken Sie bitte, daß ich nicht frage, sondern warte, bis Sie sprechen.«

»Ach, was ich Ihnen zu sagen habe, ist sehr traurig, und dennoch hat es kein Interesse für Sie.«

»Jeder körperliche oder seelische Schmerz gehört in meinen Wirkungskreis, fürchten Sie sich also nicht, mir den Ihren anzuvertrauen, wenn Sie glauben, ich könnte ihn erleichtern.«

»Ach, nur er kann ihn erleichtern«, sagte die arme Frau.

»Nun, da er mich beauftragt hat, Sie aufzusuchen, ist noch nicht jede Hoffnung verloren.«

»So hören Sie mich; aber bedenken Sie, daß ich nur eine arme Bäuerin bin.«

»Sie sagen es mir, und ich glaube Ihnen; aus Ihren Worten sollte man jedoch schließen, Sie gehören einem höheren Stand an.«

»Ich bin die Tochter des Schulmeisters, das wird Ihnen alles erklären. Ich habe einen Schein von Erziehung erhalten und kann besser lesen und schreiben, als es die anderen Bäuerinnen tun.«

»Sie haben also dieselbe Heimat wie Gabriel?«

»Ja, nur bin ich vier oder fünf Jahre jünger als er. Ich sehe ihn auch, solange ich mich erinnern kann, mit etwa zwanzig anderen Burschen vom Dorf, die mein Vater versammelte, am Ende einer langen Tafel sitzen, bedeckt von Namen und Zeichnungen, die die Schüler mit ihren Federmessern eingeschnitten haben; mein Vater hat sie Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt. Gabriel war der Sohn eines braven Meiers, der allgemein im Ruf der Ehrlichkeit stand.«

»Lebt sein Vater noch?«

»Ja, mein Herr.«

»Aber er trifft mit seinem Sohn nicht mehr zusammen?«

»Er weiß nicht, wo er ist, und glaubt, er sei nach Guadeloupe abgereist. Doch warten Sie, jeder einzelne Umstand wird der Reihe nach kommen. Entschuldigen Sie, wenn ich sehr ausführlich spreche; aber

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