Gabriel kam an diesem Abend freudetrunken zu mir.
>Marie<, sagte er zu mir, >Marie, wir sind gerettet; ehe ein Monat vergeht, reise ich nach Paris; ich erhalte einen guten Platz, schreibe dir sodann, und du kommst zu mir.<
Ich dachte nicht einmal daran, ihn zu fragen, ob ich als seine Frau zu ihm kommen sollte, so fern war mir der Gedanke, Gabriel könnte mich täuschen.
Ich bat ihn nur um die Erklärung dieser Zusage, die noch ein Rätsel für mich war. Er erzählte mir alles, sprach von der Protektion des Abgeordneten und zeigte mit ein gedrucktes Papier.
>Was für ein Papier ist das?< fragte ich.
>Eine Banknote von fünfhundert Franc<, antwortete er.
>Wie<, rief ich, >dieser Papierfetzen ist fünfhundert Franc wert?<
>Ja<, sagte Gabriel, >und wenn wir zwanzig davon hätten, wären wir reich.<
>Das wären zehntausend Franc<, versetzte ich.
Mittlerweile verschlang Gabriel das Papier mit den Augen.
>Woran denkst du, Gabriel?< fragte ich.
>Ich denke, daß solch eine Banknote nicht schwerer nachzuahmen ist als ein Kupferstich.<
>Ja ... aber das muß ein Verbrechen sein?<
>Schau<, sagte Gabriel.
Und er zeigte mir die zwei Zeilen, die am unteren Rand des Geldscheines zu lesen waren: >Das Gesetz bestraft den Fälscher mit dem Tode.<
>Ah, ohne das<, rief er, >hätten wir bald zehn und zwanzig und fünfzig.<
>Gabriel<, meinte ich bebend, >was sagst du da?<
>Nichts, Marie, ich scherze.<
Und er steckte die Banknote wieder in die Tasche.
Acht Tage später fanden die Wahlen statt.
Trotz der Rundschreiben wurde der Kandidat nicht gewählt. Nach dessen Niederlage begab sich Gabriel zu ihm, um ihn an sein Versprechen zu erinnern; doch der Kandidat war schon abgereist.
Gabriel kehrte verzweifelt zurück; aller Wahrscheinlichkeit nach würde der gescheiterte Kandidat das Versprechen vergessen, das er dem armen Schreiber der Bürgermeisterei geleistet hatte.
Plötzlich schien ein Gedanke in Gabriel zu keimen, lächelnd verweilte er dabei, und nach einem Augenblick sagte er zu mir: >Zum Glück habe ich das Original von dem einfältigen Rundschreiben behalten.<
Und er zeigte mir dieses Original, von der Hand des Kandidaten geschrieben und unterzeichnet.
>Was wirst du damit machen?< fragte ich.
>O mein Gott! Gar nichts; nur dürfte mich dieses Papier bei Gelegenheit in seine Erinnerung zurückrufen.<
Dann sprach er nicht mehr von diesem Gegenstand, er schien das Rundschreiben vergessen zu haben.
Acht Tage danach kam der Bürgermeister zu Thomas Lambert mit einem Brief in der Hand. Dieser Brief war von dem gescheiterten Kandidaten.
Gegen alle Erwartung hatte er sein Versprechen gehalten und schrieb, er habe bei einem der ersten Bankiers von Paris eine Kom-misstelle für Gabriel gefunden, nur sollte er erst einmal drei Monate lang als Überzähliger dienen.
Dieses Opfer an Zeit und Geld war unerläßlich; später sollte Gabriel dann sogar achthundert Franc Gehalt bekommen.
Gabriel eilte, mir diese Neuigkeit mitzuteilen; doch während sie ihn mit Freude erfüllte, versetzte sie mich in tiefe Betrübnis.
Wohl hatte ich mich zuweilen, durch die Träume Gabriels angeregt, wie er nach Paris gesehnt; aber ich wäre doch nur nach Paris gegangen, um denjenigen, den ich liebte, nicht zu verlassen; mein ganzer Ehrgeiz beschränkte sich darauf, Gabriels Frau zu werden, und das schien mir viel sicherer in dem demütigen, eintönigen Dasein des Dorfes als im raschen, glühenden Wirbel der Hauptstadt.
Als er mir seine Freudenbotschaft mitteilte, begann ich also zu weinen.
Gabriel warf sich vor mir auf die Knie und suchte mich durch seine Versprechungen und Beteuerungen zu beruhigen; doch ein tiefes furchtbares Gefühl sagte mir, daß ihm Paris mehr wert wäre als ich. Gabriels Abreise war indessen noch nicht entschieden.
Thomas Lambert ließ sich herbei, ein kleines Opfer zu bringen. Der Bürgermeister lieh ihm, wohlverstanden, gegen Unterpfand, fünfhundert Franc, und da niemand etwas von der Freigebigkeit des Kandidaten wußte, so war Gabriel im Besitz von tausend Franc.
Wir erzählten allen Leuten im Dorf, daß Gabriel noch an demselben Abend nach Pont l'Eveque abreisen würde, von wo ihn ein Wagen zunächst nach Rouen bringen sollte; doch unter uns wurde beschlossen, er sollte einen Umweg machen und zurückkommen, um die Nacht bei mir zuzubringen.
Ich würde das Fenster meines Zimmers offenlassen.
Es war das erstemal, daß ich ihn so empfing, und ich hoffte bei dieser letzten Zusammenkunft ebenso stark gegen mich und mein Herz zu sein, wie ich es immer gewesen war.
Ach, ich täuschte mich. Ohne diese Nacht wäre ich nur unglücklich gewesen. Durch diese Nacht war ich verloren.
Bei Tagesanbruch verließ mich Gabriel; wir mußten uns trennen. Ich führte ihn durch die Gartentür, die zu den Dünen ging.
Hier erneuerte er mir alle seine Versprechungen, hier schwur er mir, er würde nie eine andere Frau nehmen als mich, und er schläferte wenigstens meine Befürchtungen ein, wenn er auch nicht meine Gewissensbisse zu beschwichtigen vermochte.
Wir verließen uns. Ich verlor ihn an der Ecke der Mauer aus dem Blick; doch ich lief ihm nach, um ihn noch einmal zu sehen.
Mit raschem Schritt eilte er den Fußpfad entlang, der zur Landstraße führte.
Es kam mir vor, als läge in der Eile seiner Schritte etwas, das seltsam mit meinem Schmerz kontrastierte.
Ich rief ihm etwas nach.
Er wandte sich um, schwang sein Taschentuch zum Zeichen des Abschieds und ging seines Weges.
Als er sein Taschentuch zog, verlor er, ohne es zu bemerken, ein Papier aus seiner Tasche.
Ich rief ihn noch einmal; doch ohne Zweifel aus Furcht, sich erweichen zu lassen, setzte er seinen Weg fort.
Ich lief ihm nach, kam zu der Stelle, wo er das Papier verloren hatte, und fand es auf der Erde.
Es war ein Geldschein von fünfhundert Franc, nur war es ein anderes Papier als das, welches ich gesehen hatte. Da raffte ich alle meine Kräfte zusammen und rief zum letztenmal; er wandte sich um, sah mich mit der Banknote winken, blieb stehen, durchwühlte seine Taschen, gewahrte, daß er etwas verloren hatte, und kehrte eiligst zu mir zurück.
>Halt<, sagte ich, >du hast etwas verloren, und ich bin sehr glücklich, daß ich dich nun doch noch einmal umarmen kann.<
>Deinetwegen allein komme ich zurück, liebe Marie, denn diese Banknote hat keinen Wert<, erwiderte er lachend.
>Wie, sie hat keinen Wert?<
>Nein, das Papier ist diesem nicht gleich.<
Und er zog den anderen Schein aus der Tasche.
>Nun, was für ein Schein ist es denn?<
>Einer, den ich zu meinem Vergnügen nachgeahmt habe und der völlig wertlos ist; du siehst es wohl, liebe Marie, ich komme nur deinetwegen zurück.<
Und um mir die Richtigkeit des Gesagten zu beweisen, zerriß er den Schein in kleine Stücke und warf sie weg. Dann erneuerte er mir noch einmal seine Versprechungen und Beteuerungen, und da die Zeit drängte und er fühlte, daß ich nicht mehr die Kraft hatte, mich aufrecht zu halten, setzte er mich an den Grabenrand, gab mir einen letzten Kuß und ging.