Doch das ist jetzt vorbei.« Er deutete zu den Bogenschutzen auf der Wiese. »Diese Manner kommen aus dem einfachen Volk. Sie gewinnen durch Koordination und Disziplin. Fur sie geht es nicht um Heldenmut und Tapferkeit. Sie erhalten einen Lohn und tun ihre Arbeit. Aber sie sind die Zukunft der Kriegsfuhrung - bezahlte, disziplinierte, gesichtslose Truppen. Die Ritter sind am Ende.«
»Au?er bei den Turnieren«, entgegnete Chris murrisch.
»Das ist so ziemlich das einzige, was ihnen bleibt. Aber sogar dort macht sich der Wandel bemerkbar. All diese Flattenpanzer uber den
Kettenhemden - das ist alles wegen der Pfeile. Durch einen ungeschutzten Mann geht ein Pfeil glatt durch, und er durchdringt auch ein Kettenhemd. Also brauchen die Manner Plattenpanzer. Und die
Pferde ebenfalls. Aber bei einer solchen Garbe...« Marek deutete zu dem surrenden Regen aus Pfeilen. »Da ist es vorbei.«
Chris warf einen Blick zuruck zum Turnierplatz. Und dann sagte er:
»Na, wird aber auch langsam Zeit!«
Marek drehte sich um und sah funf livrierte Pagen, die in Begleitung zweier Wachen in roten und schwarzen Uberwurfen auf sie zukamen.
»Jetzt komme ich endlich aus diesem verdammten Metall heraus.«
Chris und Marek standen auf, als die Manner sie erreicht hatten. »Ihr habt die Regeln des Turniers verletzt, den edlen Ritter Guy Malegant entehrt und das Wohlwollen Lord Olivers mi?braucht. Ihr seid verhaftet und habt mit uns zu kommen.«
»Moment mal«, sagte Chris. »Wir haben
»Ihr habt mit uns zu kommen.«
»Moment mal.«
Der Soldat schlug ihm kraftig auf den Kopf und stie? ihn vorwarts. Marek folgte. Flankiert von den Wachen gingen sie zur Burg. Kate war noch immer auf dem Turnier und suchte nach Chris und Andre. Zuerst dachte sie daran, in den Zelten auf der anderen Seite des Turnierplatzes nachzuschauen, aber dort waren nur Manner — Ritter und Knappen und Pferdeknechte —, und deshalb lie? sie es sein. Das hier war eine fremde Welt, Gewalt lag in der Luft, und sie hatte bestandig das Gefuhl, in Gefahr zu sein. Fast jeder in dieser Welt war jung: Die Ritter, die uber den Platz stolzierten, waren Mitte Zwanzig oder Anfang Drei?ig, und die Knappen und Burschen waren noch Knaben. Kate war gewohnlich angezogen und offensichtlich keine Adlige. Wenn man sie einfach davonschleppen und vergewaltigen wurde, dachte sie, wurde keiner davon Notiz nehmen. Obwohl es Mittag war, merkte sie, da? sie sich verhielt, wie sie es in New Haven bei Nacht tat. Sie versuchte, nie allem zu sein, sondern sich immer in der Nahe einer Gruppe zu bewegen, und um Ansammlungen von Mannern machte sie einen weiten Bogen.
Das Johlen der Menge, die das nachste Ritterpaar anfeuerte, in den Ohren, bahnte sich sich einen Weg hinter die Tribunen. Auch zwischen den Zelten links von ihr keine Spur von Chris oder Marek. Und doch hatten sie den Turnierplatz erst vor wenigen Minuten verlassen. Waren sie in einem der Zelte? Seit einer Stunde hatte sie in ihrem Ohrstopsel nichts mehr gehort; aber das lag sicher daran, da? Chris und Marek Helme trugen, die die Ubertragung blockierten. Aber die Helme hatten sie inzwischen doch bestimmt abgenommen?
Dann endlich entdeckte sie die beiden, ein Stuckchen hugelabwarts sa?en sie an einem maandernden Bach.
Sie ging den Hugel hinunter. Ihre Perucke war hei? und kratzig in der Sonne. Vielleicht konnte sie sie abnehmen und ihre Haare einfach unter eine Kappe stecken. Oder vielleicht sollte sie die Haare noch ein bi?chen kurzer schneiden, dann wurde sie auch ohne Kappe als junger Mann durchgehen.
Konnte interessant sein, dachte sie, fur eine Weile ein Mann zu sein. Gerade uberlegte sie, wo sie eine Schere herbekam, als sie die Soldaten sah, die sich Marek und Chris naherten. Sie ging langsamer. Zwar horte sie noch nichts in ihrem Ohrstopsel, aber sie war so nahe dran, da? sie eigentlich etwas horen mu?te.
War ihr Gerat ausgeschaltet? Das konnte nicht sein. Sie tippte sich ans Ohr.
Sofort horte sie Chris sagen: »Wir haben
Burg. Marek ging neben ihm.
Kate zogerte kurz und folgte ihnen dann.
Castelgard war verlassen, die Laden und Werkstatten geschlossen, und in den leeren Stra?en hallten die Schritte. Alle waren beim Turnier, was es Kate viel schwieriger machte, Marek und Chris und den Soldaten zu folgen. Sie mu?te weit zuruckbleiben und immer warten, bis sie in die nachste Stra?e einbogen, dann hastete sie ihnen fast im Laufschritt nach, bis sie sie wieder sah und sich erneut hinter einer Ecke verstecken mu?te.
Sie wu?te, da? ihr Verhalten verdachtig wirkte. Aber es war niemand da, der sie sah. Hoch oben in einem Fenster sa? eine alte Frau mit geschlossenen Augen in der Sonne. Aber sie schaute nie nach unten. Vielleicht schlief sie sogar.
Auch die Wiese vor der Burg war verlassen. Die Ritter auf ihren stolzierenden Pferden, die Ubungsgefechte, die flatternden Banner, alles war verschwunden. Die Soldaten uberquerten die Zugbrucke. Als sie ihnen folgte, horte sie einen Aufschrei der Menge auf dem Turnierplatz au?erhalb der Mauern. Die Wachen drehten sich um und riefen den Soldaten auf der Mauerkrone etwas zu; anscheinend fragten sie, was da unten los war. Die Soldaten hatten den Turnierplatz im Blick, sie riefen etwas herunter. All dies war begleitet von Fluchen, offensichtlich waren Wetten abgeschlossen worden. In dem Durcheinander konnte sie unbemerkt durchs Tor schlupfen. Sie stand in dem kleinen au?eren Burghof. Pferde waren an einem Pfosten angebunden, aber unbewacht. Im Au?enhof waren keine Soldaten zu sehen, alle standen oben auf der Mauerkrone und schauten dem Turnier zu.
Marek und Chris waren nirgends zu entdecken. Da Kate nicht wu?te, was sie sonst tun sollte, ging sie zur Tur, die in den Festsaal fuhrte. Auf einer Wendeltreppe links davon horte sie Schritte. Sie stieg die Treppe hoch, immer im Kreis, aber die Schritte wurden schwacher. Anscheinend waren sie nach unten gegangen, nicht nach oben.
Sie kehrte sofort um. In engen Windungen fuhrte die Treppe nach unten und endete in einem niedrigen, feuchten und modrigen Steinkorridor mit Zellen auf beiden Seiten. Die Turen waren offen, die Zellen alle leer. Irgendwo vor ihr, hinter einer Biegung des Gangs, hallten Stimmen, Metall klirrte.
Sie bewegte sich vorsichtig weiter. Mit Hilfe ihrer Erinnerung an die
Ruine, die sie vor wenigen Wochen so sorgfaltig erforscht hatte,
versuchte sie, im Geiste diesen Burgteil zu rekonstruieren. Aber an diesen Gang konnte sie sich nicht erinnern. Vielleicht war er schon
Jahrhunderte zuvor eingesturzt.
Wieder metallisches Klirren und hallendes Gelachter.
Dann Schritte.
Sie brauchte einen Augenblick, bis sie merkte, da? sie auf sie zu kamen. Marek lie? sich auf das durchweichte, glitschige und faulig stinkende Stroh fallen. Chris rutschte auf dem Matsch aus und stolperte neben ihn. Die Zellentur wurde zugeworfen. Sie befanden sich am Ende eines Gangs mit Zellen auf allen drei Seiten. Durch die Gitterstangen sah Marek, wie die Wachen lachend davongingen. Einer sagte: »He, Paolo, was glaubst du, wo du hingehst? Du bleibst hier und bewachst sie.« »Warum? Die konnen doch hier nicht raus. Ich will das Turnier sehen.« »Es ist deine Wache. Und Lord Oliver will, da? sie bewacht werden.« Proteste und Fluche waren zu horen. Dann wieder Gelachter und sich entfernende Schritte. Der stammigere der Wachen kam zuruck, starrte sie durch die Gitterstabe an und fluchte. Er wirkte nicht sehr glucklich -sie waren schuld daran, da? er das Turnier verpa?te. Er spuckte auf den Boden ihrer Zelle und ging dann ein paar Schritte zu einem holzernen Hocker. Ihn selbst konnte Marek nun nicht mehr sehen, aber seinen Schatten auf der gegenuberliegenden Wand. Es sah aus, als stocherte er in seinen Zahnen.
Marek stellte sich dicht an die Stangen und versuchte, in die anderen Zellen zu schauen. In der rechten Nachbarzelle konnte er nichts erkennen, aber in der Zelle direkt gegenuber sah er eine Gestalt, die, an die Wand gelehnt, in der Dunkelheit sa?. Als seine Augen sich an das trube Licht gewohnt hatten, erkannte er, da? es der Professor war.
30:51:09
Stern sa? im privaten E?zimmer von ITC. Es war ein kleiner Raum mit einem einzigen Tisch. Auf dem wei?en Tischtuch standen vier Gedecke. Gordon sa? ihm gegenuber und a? hungrig Ruhreier mit Schinken. Stern sah zu, wie Gordons Burstenschnitt auf und nieder wippte, wahrend er Eier mit der Gabel in sich hineinschaufelte.