dicht bewachsenen Tannenwaldern erhoben. Die ganze Landschaft war wildromantisch. Schlie?lich erreichten wir nach einer Reihe von Haarnadelkurven eine gerade Stra?e, beiderseits von Tannenwald eingesaumt, und hielten vor einem gro?en Hotel. Wir befanden uns am Ziel unserer Reise.

Die Zimmer fur uns waren reserviert, und unter Harveys Fuhrung nahmen wir Besitz von unserem neuen Quartier. Hier bot sich uns ein freier Ausblick auf die Felsspitzen und die steilen, mit Tannen bewachsenen Abhange. Poirot wies mit einer Handbewegung auf sie hin. »Ist es dort?« fragte er mit leiser Stimme.

»Ja«, antwortete Harvey, »das ist der Ort, der als Felsenlabyrinth bezeichnet wird - er ist umgeben von gigantischem Felsgeroll, das einen ganz phantastischen Eindruck macht, nur ein schmaler Pfad windet sich hindurch. Der Steinbruch befindet sich rechts davon, und wir nehmen an, da? sich der Eingang im Felsenlabyrinth selbst befindet.« Poirot nickte zustimmend.

»Komm, mon ami«, sagte er zu mir, »la? uns hinuntergehen und uns auf der Terrasse an der schonen Sonne warmen.«

»Haltst du das nicht fur etwas gewagt?« fragte ich. Er zuckte mit den Schultern.

Die Sonnenbestrahlung war uberwaltigend, beinahe schon zu stark fur mich. Wir tranken anstatt Tee etwas Kaffee mit Sahne und zogen uns dann wieder auf unsere Zimmer zuruck, um die Koffer auszupacken. Poirot befand sich wieder in seiner fast unnahbaren Verfassung und war ganz in Gedanken versunken. Einige Male schuttelte er stumm den Kopf und seufzte. Ich selbst fuhlte mich ziemlich beunruhigt durch einen Mann, der in Bozen aus dem gleichen Zuge ausgestiegen und von einem Privatwagen abgeholt worden war. Es war ein kleiner Mann; er erregte meine Aufmerksamkeit dadurch, da? er sich in der gleichen Weise wie Poirot eingehullt hatte. Au?er Reisemantel und Halstuch trug er noch eine unformige blaue Brille. Ich war beinahe uberzeugt davon, da? wir in der Person dieses Mannes einen Agenten der Gro?en Vier vor uns hatten. Poirot schien zuerst keinen allzu gro?en Wert auf meine Wahrnehmungen zu legen, doch als ich mich aus dem Schlafzimmerfenster hinauslehnte und ihm mitteilte, da? der Betreffende sich in der Umgebung des Hotels zu schaffen machte, gab er zu, da? doch etwas Wahres daran sein mochte. Ich bat meinen Freund dringend, nicht am gemeinsamen Essen teilzunehmen, doch lie? er meine Einwande nicht gelten. Ziemlich spat betraten wir am Abend den Speisesaal und wurden zu einem Tisch in der Nahe des Fensters geleitet. Als wir uns gerade niederlie?en, wurde unsere Aufmerksamkeit auf einen erschreckten Ausruf und den Larm herunterfallenden Porzellans gelenkt. Eine Schussel voll Hammelfleischragout nebst Gemuse hatte sich uber einen Herrn ergossen, der am Nebentisch sa?. Der Oberkellner eilte sofort herbei und erging sich in einer Flut von Entschuldigungen.

Als der Kellner anschlie?end uns bediente, kam Poirot auf den Vorfall zu sprechen.

»Das war ein fur Sie peinlicher Zwischenfall, aber Sie waren dafur nicht verantwortlich zu machen.«

»Haben Monsieur das gesehen? Nein, das war wirklich nicht meine Schuld, der Herr sprang plotzlich halb von seinem Sitz auf, zuerst war ich der Annahme, er wolle sich auf jemand lossturzen. Ich konnte dies unmoglich voraussehen.« Poirots Augen begannen grun zu leuchten, ein Anzeichen, das ich so gut an ihm kannte, und als der Kellner sich entfernt hatte, sagte er mit leiser Stimme zu mir:

»Siehst du, Hastings, das ist die Auswirkung von Hercule Poirots Wiederauferstehung.«

»Glaubst du etwa...?«

Ich hatte keine Zeit mehr, meine Worte zu beenden, denn Poirots Hand beruhrte mein Knie, und er flusterte mir erregt zu: »Sieh nur, Hastings, sieh seine Manier, mit dem Brot zu hantieren. Das ist unsere Nummer vier!«

Wahrhaftig, der Mann am Nebentisch war auffallend bleich und tupfte mit einem Stuckchen Brot mechanisch auf dem Tischtuch herum. Ich beobachtete ihn eingehend, sein Gesicht, glattrasiert und aufgedunsen, war von einer teigartigen, krankhaft gelblichen Farbe - dicke Sacke lagen unter den Augen, und tiefe Falten, Spuren eines ausschweifenden Lebenswandels, zogen sich von der Nase bis zum Mund. Sein Alter schatzte ich auf vierzig bis funfzig Jahre. In keiner Weise war er mit einer der Gestalten vergleichbar, die er bisher als Nummer vier gespielt hatte. Wenn es nicht die Angewohnheit, mit dem Brot zu spielen, gewesen ware - deren er sich gar nicht bewu?t war -, hatte ich schworen mogen, da? ich den am Nebentisch sitzenden Mann noch nie gesehen hatte. »Er mu? dich erkannt haben«, flusterte ich, »du hattest dich nicht so offentlich zeigen sollen.«

»Mein lieber Hastings, einzig und allein zu diesem Zwecke habe ich wahrend der Dauer von drei Monaten meinen Tod vortauschen mussen!«

»Etwa zu dem Zwecke, unsere Nummer vier in Angst und Schrecken zu versetzen?«

»Nein, sondern um ihn gerade zu diesem Zeitpunkt zu zwingen, voreilig zu handeln und Fehler zu machen. Weiterhin haben wir den gro?en Vorteil... er wei? nicht, da? er erkannt wurde, und wiegt sich bei diesem Gefuhl in Sicherheit. Wie dankbar bin ich Flossie Monro, da? sie uns uber diese seine sonderbare Eigenart Mitteilung machte.«

»Was wird jetzt geschehen?« fragte ich.

»Was kann schon passieren? Er erkennt den einzigen Mann, den er furchtet und der wie durch ein Wunder von den Toten auferstanden ist, und zwar in dem Augenblick, wo die Endplane der Gro?en Vier zur Ausfuhrung kommen sollen. Madame Olivier und Abe Ryland haben heute hier ebenfalls gespeist und sind vermutlich nach Cortina gefahren. Nur wir allein haben davon Kenntnis, da? sie hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben. Die Frage, die sich Nummer vier in diesem Moment stellt, ist - wieviel uns nun wirklich von den Planen bekannt ist. Dabei wei? er, da? er kein Risiko eingehen darf. Ich mu? beseitigt werden, koste es, was es wolle. Eh bien, er soll getrost den Versuch unternehmen, mich aus dem Wege zu schaffen. Ich werde mich zu wehren wissen!« Als er zu Ende gesprochen hatte, stand der Herr vom Nebentisch auf und verlie? den Raum.

»Jetzt ist er gegangen, um seine diesbezuglichen Vorkehrungen zu treffen«, bemerkte Poirot ruhig. »Wollen wir unseren Kaffee auf der Terrasse trinken, mein Freund? Ich denke, es sitzt sich dort besser, ich will nur auf mein Zimmer gehen, um mir meinen Mantel zu holen.«- Ich ging hinaus auf die Terrasse und war innerlich stark beunruhigt. Poirots Ausfuhrungen hatten nicht meine Zustimmung gefunden. Immerhin konnte uns nichts geschehen, solange wir die Augen offenhielten. Ich beschlo?, dies nicht zu unterlassen.

Es vergingen ungefahr funf Minuten, bis Poirot wieder erschien; unter Wahrung seiner bekannten Vorsichtsma?nahmen gegen Erkaltung war er bis an die Ohren zugeknopft. An meiner Seite Platz nehmend, geno? er genie?erisch seinen Kaffee. »Nur in England trinkt man einen unmoglichen Kaffee«, bemerkte er, »auf dem Kontinent dagegen hat man langst begriffen, wie wichtig seine Zubereitung fur die Gesundheit ist.« Als er geendet hatte, erschien unvermutet der Mann vom Nebentisch auf der Terrasse. Ohne zu zogern, naherte er sich unserem Tische und zog einen Stuhl fur sich heran. »Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen geselle«, sagte er in englischer Sprache. »Nicht im geringsten, Monsieur«, erwiderte Poirot. Ich fuhlte mich hochst unbehaglich. Wir befanden uns zwar auf einer Hotelterrasse, von zahlreichen Gasten umgeben, aber trotzdem erfullte mich Unruhe, denn ich fuhlte instinktiv die Nahe der Gefahr.

Inzwischen plauderte Nummer vier in vollig unbefangenem Ton, man konnte ihn unmoglich fur etwas anderes als einen ganzlich harmlosen Touristen halten. Er beschrieb uns Spaziergange, Autoausfluge und zeigte, da? er mit der Umgebung durchaus vertraut war. Dann zog er seine Tabakspfeife aus der Tasche und begann diese umstandlich zu stopfen und dann anzuzunden. Poirot zog gleichfalls sein kleines Zigarettenetui hervor. Als er eine Zigarette zwischen die Lippen nahm, beugte sich der Fremde mit einem Zundholz heruber.»Darf ich Ihnen behilflich sein?«

In diesem Moment setzte unvermutet die Beleuchtung aus. Ein Zerbrechen von Glas wurde horbar, und etwas wurde unter meine Nase gehalten, das mich fast zum Ersticken brachte.

18

Ich konnte kaum langer als eine Minute ohne Bewu?tsein gewesen sein. Als ich wieder zu mir kam, fuhlte ich, da? ich zwischen zwei Mannern vorwarts geschleppt wurde. Sie hatten mich jeder unter einem Arm gepackt, mich dabei leicht angehoben und mir einen Knebel in den Mund gesteckt. Es war stockdunkel, doch konnte ich feststellen, da? wir uns noch nicht im Freien, sondern noch innerhalb des Hotels befanden. Uberall horte ich durcheinanderlaufende Leute, die in allen erdenklichen Sprachen wissen wollten, was mit dem Licht passiert sei. Jetzt wurde ich eine Treppe hinuntergeschleppt. Wir passierten einen ebenerdigen langen Gang und schlie?lich eine Glastur, anscheinend den hinteren Ausgang des Hotels; nun befanden wir uns im Freien. Nicht viel spater erreichten wir den Tannenwald. Ich nahm eine weitere Gestalt wahr, die sich in der gleichen Verfassung wie ich befand, und erkannte sogleich Poirot, der ebenfalls ein Opfer dieses kuhnen Unternehmens geworden war. Diesmal hatte kuhne Frechheit gesiegt. Nummer vier hatte, wie ich annahm, ein stark wirkendes Betaubungsmittel, wahrscheinlich Athylchlorid verwendet - offenbar hatte er eine kleine Ampulle davon direkt unter unserer Nase zerbrochen. In dem allgemeinen Durcheinander wahrend der Panne hatten alsdann seine Komplizen, die

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