Wie gewohnlich hullte sich Poirot weiterhin in Schweigen - eine seiner aufreizendsten Eigenarten. Es entging mir auch nicht, da? er einen sehr selbstzufriedenen Eindruck machte, wie wenn er einen besonderen Grund dazu hatte.

Ein Tag wie der andere verging, erfullt von angenehmem Nichtstun, doch auf die Dauer zu eintonig. Eine gro?e Hausbibliothek stand uns zur Verfugung, auch unternahmen wir recht schone Spaziergange in die Umgebung, doch manchmal war ich sehr ungeduldig uber die erzwungene Untatigkeit und wunderte mich uber Poirots scheinbare Gleichgultigkeit. Nichts ereignete sich, unser beschauliches Dasein zu storen, und erst Ende Juni horten wir wieder von den Gro?en Vier. Eines Morgens fuhr ein Wagen bei der Villa vor, ein so ungewohnliches Ereignis in unserem friedlichen Dasein, da? ich eilends hinunterlief, um meine Neugier zu befriedigen. Ich fand Poirot bereits im Gesprach mit einem gutaussehenden Herrn etwa in meinem Alter. Er wurde mir sofort vorgestellt. »Dies ist Hauptmann Harvey, mein lieber Hastings, eines der beruhmtesten Mitglieder des englischen Geheimdienstes.«

»Nach meiner Auffassung durchaus nicht beruhmt«, sagte der Herr mit vergnugtem Lacheln. »Nur bei den Leuten meiner naheren Umgebung bekannt, wurde ich eher sagen.«

»Die meisten von Hauptmann Harveys Bekannten und Freunden«, erwiderte Poirot, »halten ihn zwar fur einen sehr liebenswurdigen Menschen, jedoch ohne viel Verstand und ganz und gar vernarrt in den Foxtrott oder wie dieser Tanz hei?t.« Wir beide mu?ten zu Poirots drolligen Feststellungen lachen. »Nun zum Geschaft«, sagte Poirot. »Sie sind also der Meinung, da? unsere Zeit gekommen ist?«

»Dessen sind wir so gut wie sicher, Sir. China ist seit gestern von der ubrigen Welt so gut wie abgeschnitten, und was dort vor sich geht, wei? niemand. Vollkommene Nachrichtensperre, weder drahtlose noch Kabelmeldungen kommen durch - gro?es Schweigen!«

»Li Chang Yen hat seine Macht gezeigt, und was machen die anderen?«

»Abe Ryland kam vor einer Woche in England an und reiste gestern zum Kontinent ab.«

»Und Madame Olivier?«

»Madame Olivier hat gestern abend Paris verlassen.«

»Nach Italien?«

»Ja, nach Italien, Sir; soweit wir feststellen konnten, begeben sie sich zu einer Zusammenkunft, wie Sie bereits vermuteten... aber wie kamen Sie uberhaupt darauf?«

»Ah, das ist durchaus nicht mein Verdienst, sondern das meines guten Freundes Hastings.

Er ist namlich unheimlich intelligent, nur halt er sich stets im Hintergrund.«

Harvey sah mich mit ehrlicher Bewunderung an, wahrend ich mich hochst unbehaglich fuhlte.

»Dann ist also bereits alles im Zuge«, bemerkte Poirot, zwar bleich, doch vollkommen gefa?t, »so ist denn unsere Zeit gekommen. Sind alle Vorkehrungen getroffen?«

»Alle Ihre Anordnungen sind ausgefuhrt, die Regierungen von Italien, Frankreich und England stehen gemeinsam hinter Ihnen.«

»Dann hat sich wirklich eine neue Entente gebildet«, sagte Poirot trocken. »Ich bin froh, da? Desjardeaux endlich begriffen hat und auch auf unserer Seite steht. Eh bien, dann wollen wir starten - oder vielmehr, ich will starten. Du, mein lieber Hastings, wirst hierbleiben - ja, ich mu? diesmal darauf bestehen und meine es wirklich ernst, mein Freund.« Das glaubte ich ihm zwar, doch war ich keinesfalls damit einverstanden, mich auf diese Weise im Hintergrund halten zu mussen. Unsere diesbezugliche Unterredung war daher kurz und bestimmt.

Erst als wir uns im Schnellzug nach Paris befanden, gestand er mir, da? er innerlich froh uber meine Entscheidung sei. »Du hast namlich eine Rolle zu spielen, Hastings, eine ungeheuer wichtige! Ohne dich konnte die Aktion fehlschlagen, nichtsdestoweniger hielt ich es fur meine Pflicht, dich zum Zuruckbleiben aufzufordern.«

»So wird es also ein gefahrliches Unternehmen?«

»Mon ami, wo die Gro?en Vier ihre Hand im Spiele haben, ist es immer ernst.«

Bei der Ankunft in Paris fuhren wir sogleich zu dem Gare de l'Est, wo Poirot schlie?lich unseren Bestimmungsort bekanntgab. Wir befanden uns auf dem Wege nach Bozen in Sudtirol. Wahrend Harvey sich einmal kurz entfernte, nahm ich die Gelegenheit wahr, Poirot zu fragen, wie er dazu kame, den Ort der Zusammenkunft der Gro?en Vier als meine Entdeckung hinzustellen.

»Weil es nun einmal den Tatsachen entspricht, mein Freund. Wie Mr. Ingles zu diesen Informationen gelangte, wei? ich nicht, aber er hatte davon Kenntnis und hatte seinen Diener beauftragt, uns davon Mitteilung zu machen. Wir befinden uns auf dem Wege zum Karersee, mon ami, der die neue italienische Bezeichnung Lago di Carrezza hat. Du siehst jetzt, wie deine Angaben mit Largo, Cara Zia und auch Carrozza ihre Erklarung finden - das Wort Handel hat jedoch nur in deiner Einbildung bestanden. Moglicherweise hat diese Information, da sie aus der >Hand< unseres Freundes Ingles stammte, zu dieser Ideenverbindung beigetragen.«

»Karersee...«, murmelte ich, »habe noch nie davon gehort.«

»Das ist es ja gerade, was ich stets behaupte, die Englander haben nun einmal keine Ahnung von Geographie. Aber auf jeden Fall ist Karersee allgemein bekannt als schoner Sommeraufenthalt, tausenddreihundert Meter hoch gelegen, im Herzen der Dolomiten.«

»Und in diesem weltentlegenen Winkel soll das Rendezvous der Gro?en Vier stattfinden?«

»Sagen wir lieber, hier haben sie ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Sie haben das Startsignal erhalten, und nun ist es ihre Absicht, aus der Offentlichkeit zu verschwinden, um aus der Weltabgeschiedenheit der Berge ihre Befehle zu erteilen. Ich habe bereits meine Nachforschungen angestellt - es werden dort umfangreiche Sprengungen und Steinbrucharbeiten durchgefuhrt; die Firma, anscheinend eine italienische, steht in Wirklichkeit unter der Regie von Abe Ryland. Ich mochte sogar behaupten, da? bereits umfangreiche unterirdische Gange in den Bergen entstanden sind, geheim und schwer zuganglich. Von dort werden die Leiter der Organisation drahtlos ihre Befehle an ihre Agenten ergehen lassen, die zahlenma?ig zu Tausenden in jedem Lande verfugbar sind. Und von jener Felsenspitze aus, inmitten der Dolomiten, werden die neuen Diktatoren der Welt ihre Macht ergreifen. Besser gesagt, sie beabsichtigen dies, doch haben sie nicht mit Hercule Poirot gerechnet!«

»Glaubst du wirklich im Ernst an all dies, Poirot? Hast du dabei nicht daran gedacht, da? der Zivilisation ganz andere Moglichkeiten durch ihre gro?en Armeen und die Fortschritte der Technik zur Verfugung stehen, um sich zu wehren?«

»Wie ist es denn in Ru?land gewesen, mein lieber Hastings? Dies soll ein Ru?land von weit gro?eren Ausma?en sein - und dazu kommt noch die drohende Gewi?heit, da? Madame Oliviers Versuche bereits weiter vorgeschritten sind, als die Offentlichkeit jemals annehmen kann. Ich bin sogar beinahe sicher, da? sie in gewissem Umfang Erfolg hatte, atomare Krafte freizumachen und sie fur ihre Zwecke auszunutzen. Ihre Experimente mit dem Nitrogen der Luft waren sehr bemerkenswert, und ferner hat sie Versuche gemacht bezuglich der drahtlosen Konzentration von Energie, so da? Strahlen von unwahrscheinlicher Intensitat auf einen von ihr vorher bestimmten Punkt gerichtet werden konnen. Genaue Anhaltspunkte, wie weit ihre Forschungen gediehen sind, hat niemand, aber ihre Erfolge sind weitaus gro?er, als allgemein angenommen wird. Sie ist ein Genie, diese Frau - sie hat sogar die Curies in den Schatten gestellt. Rechnet man dazu die Macht von Rylands beinahe unbeschrankten Geldmitteln und als Kronung des Ganzen zur Leitung der Operationen den Kopf von Li Chang Yen und den ausgeklugeltsten kriminellen Charakter, der je existierte - eh bien, dann hat dies nichts mehr mit Zivilisation zu tun.«

Seine Worte hatten mich sehr nachdenklich gestimmt. Obgleich Poirot in seinen Darstellungen gelegentlich zu Ubertreibungen neigte, so war er niemals ein Bangemacher gewesen. Zum ersten Male war ich mir wirklich ernstlich bewu?t, in welch verzweifeltem Kampf wir uns befanden. Harvey gesellte sich bald wieder zu uns, und wir lie?en unser Gesprachsthema fallen.

Etwa um die Mittagszeit erreichten wir Bozen und setzten von dort die Fahrt im Autobus fort.

Mehrere gro?e Stra?enkreuzer standen auf dem Parkplatz im Zentrum der Stadt, einer davon war fur uns bestimmt. Poirot, ungeachtet der Hitze des Tages, hatte sich mit einem grauen Reisemantel und Wollschal fast ganz unsichtbar gemacht, seine Augen und Ohrenspitzen waren alles, was von ihm sichtbar blieb. Ich war im Zweifel, ob diese Vermummung nur auf das Konto seiner ubertriebenen Furcht vor Erkaltungen zu setzen war. Die Wagenfahrt dauerte einige Stunden und war wirklich wundervoll. Zuerst fuhrte uns der Weg an riesenhaften Felsgebilden und einem brausenden Wasserfall vorbei. Dann durchfuhren wir ein fruchtbares Tal, welches sich einige Meilen erstreckte, und weiter ging es in vielen Kurven aufwarts, bis die kahlen, felsigen Bergspitzen sich aus

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