was ich gerade tue, hat symbolische Bedeutung und entspricht bei den Orientalen dem Wunsche, mit einem Fremden seine Sorgen zu teilen. Manchmal mag es zutreffen, in diesem Falle mochte ich nicht hoffen, da? Sie Sorgen haben...» Mit einer gewissen Bedachtigkeit wiederholte er sodann dieselbe Manipulation auf seinem eigenen Teller. Es war zu offensichtlich und lie? keinen Zweifel aufkommen, da? er mich auf die Zahl Vier unmi?verstandlich hinweisen wollte. Ich sah ihn durchdringend an, konnte ihn jedoch in keiner Weise mit einer der zahlreichen Personen identifizieren, die uns in diesem Zusammenhang begegnet waren. Trotzdem war ich davon uberzeugt, da? ich es mit keinem Geringeren als der beruchtigten Nummer vier personlich zu tun hatte. Seine Stimme erinnerte mich undeutlich an den bis zum Halse zugeknopften Fremden, dem wir in Paris begegnet waren.
Ich sah mich um, unschlussig, was ich tun sollte. Meine Gedanken lesend, lachelte er und schuttelte langsam den Kopf. »Ich an Ihrer Stelle wurde das nicht tun«, bemerkte er, »erinnern Sie sich bitte an Ihre ubereilten Handlungen in Paris, und lassen Sie mich Ihnen versichern, da? mein Ruckzug auch jetzt wieder sehr gut gedeckt ist. Stets neigen Sie zu unuberlegten Handlungen, Hauptmann Hastings, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
»Sie Teufel«, zischte ich, mich vor Wut nicht mehr kennend. »Sie sind ein Teufel in Menschengestalt!«
»Sie sind sehr voreilig, ein wenig zu voreilig. Ihr verstorbener Freund wurde Ihnen bei dieser Gelegenheit gesagt haben, da? ein Mann, der seine Ruhe bewahrt, stets im Vorteil ist.«
»Sie wagen es, von ihm zu reden«, rief ich aus, »von dem Manne, den Sie auf dem Gewissen haben. Und Sie wagen es ferner, hierherzukommen...«
»Ich bin hierhergekommen mit einem besonderen und au?erst friedlichen Vorsatz, namlich, Ihnen den Rat zu geben, sofort nach Sudamerika zuruckzukehren. Wenn Sie dies tun, so soll es damit sein Bewenden haben, was die Gro?en Vier betrifft. Sie und die Ihrigen werden dann in keiner Weise mehr belastigt werden. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.« Ich lachte zornig auf.
»Und wenn ich mich weigere, Ihren selbstherrlichen Befehlen Folge zu leisten?«
»Um einen Befehl durfte es sich kaum handeln, wir wollen es lieber als eine Empfehlung bezeichnen.« Eine kalte Drohung lag in seinen Worten.
»Man kann es auch als eine Warnung ansehen«, sagte er leise, »es erscheint ratsam, diese nicht unbeachtet zu lassen!« Sodann, ohne da? ich vorher seine Absicht erkannte, erhob er sich und entschlupfte schnell zur Tur. Ich sprang auf und war in derselben Sekunde hinter ihm, unglucklicherweise kollidierte ich mit einem unformig dicken Herrn, der mir den Weg zwischen den Tischen versperrte. Kaum hatte ich mich von diesem freigemacht - meine Jagdbeute stand schon beim Ausgang -, prallte ich mit einem Kellner zusammen, der ein gro?es Tablett mit Tellern trug und ganz unvermutet aufgetaucht war. Als ich schlie?lich zur Tur gelangte, sah ich keine Spur mehr von dem hageren Manne mit dem gestutzten Bart. Der Kellner erging sich in tausend Entschuldigungen, wahrend der dicke Herr es sich an seinem Tisch bequem machte und seine Mahlzeit bestellte. Nichts deutete darauf hin, da? beide Zwischenfalle nicht rein zufallig gewesen waren, jedoch war ich mir daruber im klaren, da? die Agenten der Gro?en Vier auch hier ihre Hand im Spiel hatten.
Ich mu? wohl kaum erwahnen, da? ich der mir erteilten Warnung keine Beachtung schenkte, da ich nun einmal fest entschlossen war, fur die gute Sache mein Leben aufs Spiel zu setzen. Auf meine Inserate erhielt ich insgesamt nur zwei Antworten, keine davon gab mir auch nur die Spur von neuen Anhaltspunkten. Beide stammten von Schauspielern, die irgendwann mit Claude Darrell zusammen gearbeitet hatten, keiner von ihnen hatte zu ihm in naherer Verbindung gestanden, und kein neues Licht fiel auf die Frage seiner Identitat. Erst etwa zehn Tage spater horte ich abermals von den Gro?en Vier. Ich spazierte gerade, tief in Gedanken versunken, durch den Hyde Park, als eine Stimme, volltonend und fremdartig klingend, mich aufblicken lie?. »Hauptmann Hastings, wenn ich nicht irre?« Eine gro?e Limousine hielt dicht am Gehweg. Eine Dame beugte sich heraus, sie war mit ausgesuchter Eleganz gekleidet und trug eine wundervolle Perlenkette. Es war dieselbe Dame, deren Bekanntschaft wir erstmals als Komtesse Rossakoff und spater unter verschiedenen Decknamen als eine Agentin der Gro?en Vier kennengelernt hatten. Poirot hatte aus unerfindlichen Grunden stets eine versteckte Vorliebe fur die Komtesse gehabt. Etwas in ihrem liebenswurdigen Wesen hatte den kleinen Mann beeindruckt.
Er scheute sich nicht, gelegentlich einzugestehen, da? sie eine Frau unter Tausenden sei. Da? sie sich uns entgegengestellt hatte, und zwar auf der Seite unserer erbittertsten Feinde, schien seine Einstellung niemals erschuttern zu konnen. »Oh, horen Sie mich bitte an«, sagte die Komtesse, »ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen. Versuchen Sie nicht, mich etwa verhaften zu lassen, denn das ware recht unbedacht von Ihnen.
Sie haben schon immer ein wenig ubereilt gehandelt, oder nicht? Sie sind sehr toricht, wenn Sie die Ihnen zugegangene Warnung in den Wind schlagen. Dies ist nun die zweite Warnung, die Ihnen diesmal durch mich ubermittelt wird. Verlassen Sie unverzuglich England, denn hier konnen Sie absolut nichts erreichen - dies sage ich Ihnen ganz offen. Nie werden Sie Ihr Ziel erreichen!«
»In diesem Falle«, erwiderte ich kuhl, »erscheint es ziemlich ungewohnlich, da? Ihre Partner so eifrig bemuht sind, mich au?er Landes zu wissen.«
Die Komtesse zuckte die Achseln - bezaubernde Achseln, und dazu eine bezaubernde Geste.
»Ich personlich finde es auch ziemlich uberflussig; ich wurde Sie auch gern hierbehalten, damit Sie Ihren neckischen Spielereien nachgehen konnen, doch die Herren Chefs, sehen Sie, sind besorgt, da? einige unbedachte Au?erungen Ihrerseits anderen Leuten mit etwas mehr Verstand von Nutzen sein konnten. Daher - mussen Sie verschwinden.«
Die Komtesse schien nicht viel von meinen Fahigkeiten zu halten, so bemuhte ich mich denn, meine Enttauschung daruber zu verbergen. Ohne Zweifel sollte ihre Haltung dazu dienen, mich zu enttauschen und in mir Minderwertigkeitskomplexe zu erwecken.
»Es ware naturlich ein leichtes, Sie einfach verschwinden zu lassen«, fuhr sie fort, »aber zeitweise bin ich au?erordentlich sentimental, und so habe ich mich fur Sie eingesetzt Sie haben druben irgendwo eine nette Frau, soviel mir bekannt ist. Und weiterhin wurde der arme kleine Mann, der leider nicht mehr unter uns Lebenden weilt, sicher erfreut sein, zu wissen, da? weiter kein Grund vorliegt, Sie zu beseitigen. Ich mochte ihn schon immer gern, wissen Sie... er war sehr klug... au?erordentlich gescheit! Hatte er nicht in einem Kampf von vier gegen einen gestanden, so ware er uns uberlegen gewesen, dessen bin ich fest uberzeugt. Ich darf es offen eingestehen: ich habe in ihm meinen Meister gefunden! Auch habe ich als Zeichen meiner Bewunderung zu seinem Begrabnis einen gro?en Kranz mit karmesinroten Rosen geschickt - dies sind namlich meine Lieblingsblumen.«
Schweigend und mit wachsendem Unmut horte ich zu. »Im Moment machen Sie auf mich den Eindruck eines Esels, der seine Ohren an den Kopf legt und nach hinten ausschlagt. Nun, ich habe Sie nochmals gewarnt. Denken Sie daran, eine dritte Warnung wird Ihnen gegebenenfalls durch den Zerstorer personlich zugehen.«
Darauf gab sie ein Zeichen, und der Wagen scho? davon. Ich registrierte mechanisch seine Nummer, erkannte jedoch sofort die Zwecklosigkeit meines Beginnens. Die Gro?en Vier durfte man keinesfalls unterschatzen, nicht einmal in Nebensachlichkeiten.
Etwas ernuchtert ging ich heim, denn einiges war in mir doch haftengeblieben von dem Redeflu? der Komtesse. Soviel stand jedenfalls fest, ich befand mich zur Zeit in standiger Lebensgefahr. Obwohl ich keinesfalls die Absicht hatte, den Kampf aufzugeben, hielt ich es doch zunachst fur besser, auf der Stelle zu treten und jede erdenkliche Vorsicht walten zu lassen. Wahrend ich mir nochmals alles uberlegte und nach dem besten Wege suchte, um wieder in Aktion zu treten, lautete das Telefon. Ich durchquerte das Zimmer und griff zum Horer. »Hallo, wer spricht dort?« Eine frische Stimme antwortete.
»Hier ist das St.-Giles-Hospital. Wir haben einen Chinesen hier, der auf der Stra?e mit einem Messer verletzt und hier eingeliefert wurde. Sein Zustand ist sehr bedenklich, und wir rufen bei Ihnen an, weil wir in seinen Taschen einen Zettel mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse gefunden haben.« Zwar war ich sehr erstaunt, doch sagte ich nach einer kurzen Pause der Uberlegung, da? ich mich sofort auf den Weg machen wolle. Das St.- Giles-Hospital befand sich, soviel mir bekannt war, unten bei den Hafenanlagen, und deshalb kam ich zur Erkenntnis, da? es sich vielleicht um einen chinesischen Seemann handeln konnte.
Ich war schon eine Weile unterwegs, als mich ein plotzlicher Verdacht uberkam. Handelte es sich vielleicht wieder einmal um eine Falle? Denn wo immer ein Chinese auftauchte, konnte Li Chang Yen seine Hand im Spiel haben. Ich erinnerte mich an das Ergebnis, in welchem ich als Koder fur Poirot benutzt wurde. Handelte es sich wieder um eine List meiner Feinde? Nach reiflicher Uberlegung kam ich jedoch zu der Uberzeugung, da? man hinter einem Besuch im Hospital wohl nichts Derartiges vermuten konnte. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich wohl weniger um ein Komplott als vielmehr um einen ihrer Schachzuge. Der sterbende Chinese wurde mir wahrscheinlich etwas mitzuteilen haben, was mich zum Handeln zwang und mich in die Hande der Gro?en Vier