gegenuberliegenden Seite des Raumes und offnete eine Tur, die bisher meiner Aufmerksamkeit entgangen war. Ich konnte gerade noch einen schnellen Blick in ein vollstandig eingerichtetes Laboratorium werfen, das mich an Paris erinnerte. Nummer vier sprang gleichfalls auf und verlie? den Raum, kam jedoch nach kurzer Zeit wieder und druckte der Komtesse den Selbstlader von Poirot in die Hand.
»Es besteht zwar keine Gefahr, da? sie uns entkommen«, sagte er grimmig, »aber auf alle Falle haben Sie dieses hier.« Gleich darauf war er wieder drau?en.
Die Komtesse kam zu uns heruber und betrachtete meinen Gefahrten einige Zeit mit gro?ter Aufmerksamkeit. Plotzlich lachte sie hell auf.
»Sie scheinen Ihrem Bruder in nichts nachzustehen, Monsieur Achille Poirot«, sagte sie spottisch.
»Madame, lassen Sie uns doch lieber zum Geschaft kommen. Glucklicherweise hat man uns allein gelassen. Sagen Sie uns Ihren Preis.«
»Ich verstehe nicht recht...«
»Madame, Sie konnen uns zur Flucht verhelfen, da Ihnen die Geheimausgange dieses Labyrinths bekannt sind. Darum frage ich Sie nochmals, was fordern Sie?« Sie lachte abermals.
»Mehr, als Sie jemals zahlen konnten, mein kleiner Mann! Kein Geld der ganzen Welt kann mich erkaufen!«
»Madame, ich habe aber nicht von Geld gesprochen, denn ich verfuge uber etwas Intelligenz. Doch Tatsache ist - da? jedermann seinen Preis hat. Im Austausch gegen Leben und Freiheit biete ich Ihnen die Erfullung Ihres Herzenswunsches.«
»Sind Sie etwa ein Zauberer?«
»Sie konnen mich dafur halten, wenn Sie wollen.« Die Komtesse lie? plotzlich ihren bis dahin hohnischen Ton fallen und sprach mit leidenschaftlicher Verbitterung. »Sie Narr -sprechen uber meinen Herzenswunsch! Konnen Sie mich etwa an meinen Feinden rachen? Konnen Sie mir Jugend, Schonheit und ein frohes Herz wiedergeben? Konnen Sie einen Toten wieder zum Leben erwecken?« Achille Poirot betrachtete sie mit wachsender Aufmerksamkeit. »Welches von den drei Dingen wunschen Sie, Madame? Bitte treffen Sie Ihre Wahl.«
Sie lachte wiederum hell auf. »Wollen Sie mir vielleicht ein Lebenselixier verkaufen? Doch horen Sie, ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Ich hatte einst ein Kind, machen Sie ausfindig, wo es sich befindet - und Sie sind frei.«
»Madame, ich bin einverstanden. Es ist ein guter Vorschlag, und Ihr Kind soll Ihnen wohlbehalten wieder zugefuhrt werden. Auf das Wort von - nun, auf das Wort von Hercule Poirot selbst.«
Wieder nahm uns die seltsame Frau nicht ernst - diesmal lachte sie lange und schmerzlich.
»Mein lieber Poirot, ich glaube Ihnen eine kleine Falle gestellt zu haben. Es ist zwar sehr freundlich von Ihnen, mich in der Hoffnung zu bestarken, mein Kind wiederfinden zu konnen, aber sehen Sie, ich wei? zufallig, da? es eine sehr vage Hoffnung ist, und so wurde unser Handel ein einseitiger sein, nicht wahr?«
»Madame, ich schwore Ihnen bei dem allmachtigen Himmel, da? ich Ihnen Ihr Kind wiederbringen werde.«
»Ich stellte bereits fruher an Sie die Frage, Monsieur Poirot, ob Sie die Toten wieder zum Leben erwecken konnen.«
»Dann ist dieses Kind also tot?«
»Ja, so ist es leider.«
Er ging auf sie zu und ergriff ihr Handgelenk. »Madame, ich, der ich zu Ihnen spreche, schwore Ihnen nochmals, ich werde das scheinbar Unmogliche moglich machen.« Sie starrte ihn unglaubig und fasziniert an. »Sie wollen es mir nicht glauben, so will ich denn meine Worte unter Beweis stellen. Sehen Sie in mein Taschenbuch, welches man mir fortgenommen hat.«
Sie verlie? den Raum und kam mit dem besagten Taschenbuch zuruck. In der anderen Hand hielt sie unausgesetzt den Revolver drohend auf uns gerichtet, und ich fuhlte, da? die Chancen von Achille, sie zu bluffen, auf sehr schwachen Fu?en standen. Die Komtesse war bestimmt keine Narrin, »offnen Sie das Taschenbuch, Madame, und zwar die linksseitige Klappe, ja, so ist es recht. Nun entnehmen Sie das Foto und schauen es sich bitte genau an.«
Verwundert entnahm sie dem Fach etwas, das ein kleines Foto zu sein schien, skeptisch betrachtete sie es, stie? einen Schrei aus, und ich dachte, sie wurde in Ohnmacht fallen. Dann eilte sie auf meinen Gefahrten zu.
»Wo ist er, sagen Sie mir um Himmels willen, wo befindet er sich?«
»Erinnern Sie sich meines Vorschlages, Madame!«
»Ja, selbstverstandlich, ich will Ihnen nun glauben, wir mussen uns beeilen, bevor man zuruckkommt.« Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn schnell, jedes laute Gerausch vermeidend, aus der Kammer. Ich folgte ihnen unmittelbar. Von dem Vorraum gelangten wir zu dem Tunnel, den wir zuvor passiert hatten und der sich nach kurzer Zeit gabelte. Sie bog nach rechts ein. Wieder und immer wieder gelangten wir an Abzweigungen, doch sie fuhrte uns mit unfehlbarer Sicherheit und stets wachsender Eile weiter. »Wenn wir nur noch zur Zeit kommen«, keuchte sie au?er Atem. »Wir mussen uns im Freien befinden, bevor die Explosion erfolgt.«
Und weiter hasteten wir, keine Sekunde verlierend. Ich berechnete, da? dieser Tunnel rechts durch den Berg fuhren mu?te und wir an der entgegengesetzten Seite ins Freie gelangen mu?ten. Der Schwei? rann mir vom Gesicht, doch die Angst trieb uns immer weiter vorwarts.
Dann erblickte ich endlich, ganz weit entfernt, einen Schimmer von Tageslicht. Als wir uns diesem Punkte naherten, sah ich grunes Buschwerk durchschimmern. Dort angekommen, bogen wir es beiseite und suchten uns einen Durchgang. Endlich atmeten wir auf, wir befanden uns im Freien und im Lichte der bereits einsetzenden Morgendammerung. Poirots Belagerungsring bestand wirklich und funktionierte tadellos. Als wir aus dem Dickicht hervorbrachen, sturzten sich drei Manner auf uns, lie?en uns jedoch mit einem Ausruf der Verwunderung gleich wieder frei. »Schnell fort«, rief Poirot uns allen zu, »wir haben wirklich keine Zeit zu verlieren!« Aber noch hatte er diese Worte kaum beendet, da erzitterte der Erdboden unter unseren Fu?en, ein furchtbares Rollen ertonte, und der ganze Berg schien in sich zusammenzusturzen. Kopfuber flogen wir durch die Luft.
Als ich endlich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem fremden Bett und einem fremden Raum. Jemand sa? am Fenster, drehte sich nach mir um und kam zu meinem Bett. Es war -Achille Poirot - oder konnte es jemand anders sein? Eine mir wohlbekannte ironische Stimme verjagte alle Zweifel, die ich noch hatte haben konnen.
»Ja, du tauschst dich nicht, mein Freund, ich bin es wirklich. Bruder Achille ist wieder heimgegangen - in das Land des Mythos. Wahrend der ganzen Zeit bist du ausschlie?lich nur in meiner Gesellschaft gewesen. Nicht nur Nummer vier ist in der Lage, sich zu maskieren. Ich hatte meine Augen mit Belladonna behandelt und meinen Schnurrbart geopfert. Ferner besitze ich eine richtige Narbe, deren Beibringung mir vor zwei Monaten betrachtliche Schmerzen verursacht hat, denn ich konnte mir doch keinen Betrug unter den Adleraugen von Nummer vier leisten. Und endlich, dein Wissen und Glauben an die Existenz meines Bruders Achille... unbezahlbar war die Hilfe, die du mir unbewu?t hast zuteil werden lassen, der halbe Erfolg des ganzen Coups ist auf dein Konto zu setzen! Die gro?te Schwierigkeit lag darin, die Anwesenden glauben zu machen, da? Hercule Poirot die Leitung der Operationen au?erhalb des Labyrinths in Handen hatte. Meine Angaben, das Anisol sowie den Kordon betreffend, stimmten zwar genau.«
»Aber sage mir doch um Himmels willen, warum hast du nicht in Wirklichkeit einen Doppelganger eingesetzt?«
»Und dich damit einer solch drohenden Gefahr auszusetzen, ohne personlich an deiner Seite stehen zu durfen? Da hast du aber eine schone Auffassung von den Grundsatzen deines Freundes. Beilaufig erwahnt, hatte ich zu jeder Zeit die Gewi?heit auf einen Ausweg mit Hilfe der Komtesse.«
»Wie in aller Welt hast du es fertigbekommen, sie auf unsere Seite zu bringen? Du hast doch da einen ziemlich plumpen Schwindel angewandt... in bezug auf das tote Kind.«
»Da verfugt die Komtesse aber uber einen weit gro?eren Scharfblick als du, mein lieber Hastings, das mu? ich schon sagen. Im ersten Augenblick wurde sie getauscht durch meine Maske, doch das wahrte nicht lange. Als sie bemerkte: >Sie scheinen Ihrem Bruder in nichts nachzustehen, Monsieur Achille Poirotc, da wu?te ich bereits, da? sie meine Tarnung durchschaut hatte. Dann war die Zeit gekommen, meine letzte Trumpfkarte auszuspielen.«
»Etwa das Marchen, einen Toten wieder zum Leben zu erwecken?«
»Genau das - aber du konntest ja nicht wissen, da? ich das Kind seit langem schon in Sicherheit