»Wirklich? Das scheint interessant zu werden. Hatten Sie etwas dagegen einzuwenden, wenn ich mich Ihnen anschlie?e?«
»Ich wurde es sehr begru?en, in Ihrer Gesellschaft zu reisen, aber wir mussen uns unverzuglich auf den Weg machen. So erreichen wir Dartmoor am Spatnachmittag.« John Ingles war bald reisefertig, und schon sa?en wir in der Eisenbahn, die von Paddington nach dem Westen fuhrt. Hoppaton ist ein kleines Dorf am Rande des Moors, funfzehn Kilometer von Moreton-Hampstead entfernt, und wir erreichten es nach kurzer Fahrt. Es war bereits zwanzig Uhr, jedoch war es ein heller Juliabend. In den engen Stra?en des Dorfes sprachen wir einen alten Bauer an, um uns nach dem rechten Weg zu erkundigen.
Als wir bejahten, wies der Alte auf ein kleines graues Haus am Ende der Stra?e.
»Das dort ist der Bungalow. Wollen Sie den Inspektor sprechen?«
»Welchen Inspektor?« fragte Poirot kurz. »Was meinen Sie damit?«
»Haben Sie denn nichts von der Bluttat gehort? Es soll furchtbar gewesen sein, man spricht von Stromen von Blut.«
»Mon
Kurz darauf lernten wir Inspektor Meadows kennen. Er verhielt sich zuerst ziemlich abweisend, doch als Poirot sich auf Inspektor Japp von Scotland Yard bezog, wurde er zuganglicher.
»Ja, mein Herr, heute morgen wurde der Mord entdeckt. Eine bestialische Tat. Man verstandigte die Polizei in Moreton, und ich fuhr sogleich hierher. Zuerst sah die Sache sehr geheimnisvoll aus. Der alte Herr war ungefahr siebzig und liebte einen guten Tropfen. Er lag am Boden seines Wohnzimmers, hatte eine Beule am Kopf, und seine Kehle war von einem Ohr zum anderen durchgeschnitten. Uberall flo? Blut, wie Sie sich wohl denken konnen. Die Frau, welche fur ihn kochte, Betsy Andrews, sagte aus, da? ihr Herr im Besitze mehrerer kleiner Jadefiguren war, von denen er behauptete, da? sie sehr wertvoll seien, und diese waren verschwunden. Es sah also nach Raubmord aus, und doch hatten wir Bedenken. Au?er Mrs. Andrews, die aus Hoppaton stammt, hatte Mr. Whalley noch einen Diener, einen groben, unzuganglichen Kerl namens Robert Grant. Dieser war eben zu einem benachbarten Bauernhof gegangen, wie jeden Tag, um Milch zu holen, wahrend Betsy gerade vor dem Hause mit einer Nachbarin plauderte. Sie war nicht langer als zwanzig Minuten drau?en - zwischen zehn Uhr und zehn Uhr zwanzig, und in dieser Zeit mu? das Verbrechen geschehen sein. Grant kam als erster zum Haus zuruck. Er ging wie gewohnlich durch die Hintertur, die offenstand - denn niemand halt hier in der Gegend seine Tur verschlossen, schon gar nicht am hellen Tage -, stellte die Milch in die Speisekammer und ging in sein Zimmer, um die Zeitung zu lesen und zu rauchen. Er hatte gar keine Ahnung davon, da? etwas vorgefallen war, wenigstens behauptete er es. Dann kam Betsy zuruck, ging in das Wohnzimmer, sah, was geschehen war, und stie? einen Schrei aus, der Tote hatte erwecken konnen. Das ist alles vollig klar und einleuchtend. Jemand hatte das Haus betreten, wahrend die zwei abwesend waren, und erledigte den alten Herrn. Aber hierbei kam mir der Gedanke, da? es sich doch wohl um einen ziemlich dreisten Burschen gehandelt haben mu?te. Er mu?te von der Dorfstra?e her gekommen oder durch einen der Hintergarten geschlichen sein.
Der Inspektor machte eine bedeutungsvolle Pause. »Ich teile durchaus Ihre Ansicht«, sagte Poirot, »doch was weiter?«
»Nun, Sir, ich sagte mir, da mu? etwas faul sein, und ich begann deshalb, mich etwas umzusehen. Da waren die verschwundenen Jadefiguren. Wurde ein gewohnlicher Landstreicher ihren Wert erkannt haben? Irgendwie erschien es mir als reiner Wahnsinn, eine solche Tat am hellen Tage zu begehen. Angenommen, der alte Herr hatte um Hilfe gerufen?«
»Ich darf wohl annehmen, Inspektor«, sagte Mr. Ingles, »da? ihm die Wunde am Kopf vor seinem Tode beigebracht wurde?«
»Sehr richtig, Sir; zuerst betaubte ihn der Morder, und dann schnitt er ihm den Hals durch. Das ist mir vollkommen klar.
Aber wie, zum Teufel, ist es hinein- und wieder herausgekommen? Ein Fremder fallt in einem kleinen Ort wie diesem sehr schnell auf. Ich glaubte zuerst, da? uberhaupt kein Fremder dagewesen war, und untersuchte die ganze Umgebung. Es hatte in der vergangenen Nacht geregnet, und ich fand deutliche Fu?abdrucke nach der Kuche und wieder heraus. Im Wohnzimmer waren nur zwei verschiedene Fu?spuren; die von Betsy Andrews gingen bis zur Tur. Mr. Whalley hatte Hausschuhe getragen. Ein anderer aber war in die Blutlachen getreten, und so verfolgte ich diese Spuren - entschuldigen Sie bitte, Sir.«
»Keine Ursache«, sagte Mr. Ingles mit einem leichten Lacheln, »Ihre Kombinationen sind vollkommen richtig.«
»Ich verfolgte diese Spuren bis zur Kuche - jedoch nicht daruber hinaus, das ist Punkt 1. Auf der Schwelle von Grants Tur fand ich einen dunklen Fleck, und zwar einen Blutfleck, Punkt 2. Sodann untersuchte ich Robert Grants Stiefel, die er ausgezogen hatte und die genau zu den gefundenen Fu?spuren pa?ten, Punkt 3. Dieses lie? in mir die Uberzeugung aufkommen, da? kein Fremder an der Tat beteiligt war. Ich forderte Grant auf, die Wahrheit zu bekennen, und nahm ihn in Gewahrsam. Was, glauben Sie, fand ich in seinem Schrank versteckt? Die kleinen Jadefiguren und eine auf seinen Namen ausgestellte Fahrkarte. Abraham Biggs, alias Robert Grant, vor funf Jahren wegen eines schweren Verbrechens und Hausfriedensbruch vorbestraft.« Der Inspektor hielt triumphierend inne. »Was sagen Sie dazu, meine Herren?«
»Ich denke«, sagte Poirot, »da? der Fall anscheinend sehr klar liegt, eigentlich ein wenig zu klar.
Dieser Biggs, alias Grant, mu? ein ausgemachter Idiot sein, nicht wahr?«
»Oh, das ist er auf jeden Fall, ein roher, ungebildeter Bursche, der keine Ahnung davon hat, was Fu?abdrucke bedeuten.«
»Sicher liest er keine Kriminalromane! Nun, Inspektor, ich gratuliere Ihnen. Vielleicht durfen wir einmal den Tatort besichtigen?«
»Ich werde Sie sogleich dorthin fuhren und mochte gern, da? Sie sich die Fu?spuren ansehen.«
»Ja, ich mochte sie auch gern sehen. Das ist wirklich alles sehr interessant und sehr durchdacht.«
Wir machten uns auf den Weg, Mr. Ingles und der Inspektor gingen voraus, wahrend Poirot und ich etwas zuruckblieben, um einige Worte zu wechseln, ohne da? der Inspektor es horen konnte.
»Wie denkst du nun wirklich daruber, Poirot? Glaubst du, da? mehr dahintersteckt, als es den Anschein hat?«
»Das ist gerade die gro?e Frage,
4
Der Inspektor zog den Schlussel aus der Tasche und offnete die Tur zum Bungalow. Nach einem schonen, trockenen Sommertag konnten unsere Schuhe kaum irgendwelche Spuren hinterlassen. Trotzdem reinigten wir sie sorgfaltig auf der Matte, bevor wir hineingingen. Eine Frau kam uns aus dem dammerigen Flur entgegen und sprach einige Worte zum Inspektor, der sich ihr zuwandte und Poirot uber die Schulter zurief: »Sehen Sie sich gut um, Monsieur Poirot, und ubersehen Sie nichts. Ich bin in ungefahr zehn Minuten wieder zuruck. Nebenbei, hier sind Grants Stiefel.« Wir gingen in das Wohnzimmer, wahrend des Inspektors Schritte drau?en verhallten. Ingles Aufmerksamkeit wurde durch einige chinesische Raritaten gefesselt, die auf einem Tisch in der Ecke standen. Er ging hinuber, um sie sich anzusehen, und schien Poirots Untersuchungen vergessen zu haben, wahrend ich meinen Freund mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtete. Der Boden war mit einem dunkelgrunen Linoleum belegt, auf