einem Galgenvogel glich, so war er es.
»Bei meiner Ehre, ich habe nichts mit dem Mord zu tun«, winselte er. »Irgend jemand hat jene kleinen Glasfiguren zwischen meinen Sachen versteckt. Es geschah wirklich nur zu dem Zwecke, mich in Verdacht zu bringen. Wie ich bereits gesagt habe, ging ich auf direktem Wege zu meiner Kammer, als ich das Haus betrat. Ich war vollig ahnungslos bis zu dem Zeitpunkt, da Betsy aufschrie. So wahr mir Gott helfe, ich habe nichts damit zu tun.« Poirot erhob sich.
»Wenn Sie mir nicht die volle Wahrheit sagen konnen, mu? ich unsere Unterredung als beendet ansehen.«
»Aber, hochverehrter Herr -!«
»Sie betraten das Mordzimmer und wu?ten, da? Ihr Herr ermordet worden war, und waren bereits im Begriff, das Weite zu suchen, als Betsy ihre grauenvolle Entdeckung machte.« Der Mann starrte Poirot mit herunterhangendem Unterkiefer an.
»Nun, gestehen Sie schon, ist es nicht so? Ich kann Ihnen verraten - auf mein Ehrenwort - Ihre einzige Chance besteht darin, die volle Wahrheit zu sagen.«
»So riskiere ich es eben«, erklarte der Mann plotzlich. »Es war genauso, wie Sie sagten. Ich betrat das Haus und ging geradewegs zu meinem Herrn; ich fand ihn blutuberstromt am Boden liegen. Es galt, klar zu uberlegen. Man wurde sofort meine Vorstrafen feststellen und mich mit Sicherheit dieses Verbrechens beschuldigen. Mein einziger Gedanke war, mich unverzuglich aus dem Staub zu machen, bevor das Verbrechen entdeckt wurde.«
»Und die Jadefiguren?« Der Mann zogerte.»Sehen Sie -«
»Sagen Sie doch schon, Sie nahmen sie rein instinktiv an sich.
Sie haben von Ihrem Herrn gehort, da? sie einen gewissen Wert hatten, und waren der Meinung, nicht halbe Arbeit machen zu wollen. Das kann ich begreifen. Nun beantworten Sie mir bitte folgendes: Nahmen Sie die Figuren an sich, als Sie zum zweiten Male das Zimmer betraten?«
»Ich war nur einmal im Zimmer, das hat mir vollig gereicht.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Absolut sicher.«
»Gut; wann kamen Sie zuletzt aus dem Gefangnis?«
»Vor zwei Monaten.«
»Wie kamen Sie zu dieser Anstellung?«
»Durch eine Hilfsaktion fur entlassene Strafgefangene. Ein Mann erwartete mich, als ich entlassen wurde.«
»Was war das fur ein Mann?«
»So etwas wie ein Geistlicher; weicher schwarzer Hut und eine gewahlte Sprache. Hatte einen zerbrochenen Vorderzahn und trug eine Brille. Saunders war sein Name. Er sagte, er hoffe, da? ich reumutig sei, und er wolle mir deshalb eine gute Stelle verschaffen. Ich trat meinen Posten beim alten Whalley auf seine Empfehlung an.«
»Ich danke Ihnen; ich glaube jetzt alles durchschauen zu konnen. Haben Sie noch etwas Geduld.«
Er blieb beim Ausgang stehen und sagte: »Saunders gab Ihnen ein Paar Schuhe, nicht wahr?« Grant staunte nur. Poirot erhob sich.
»Ja, freilich, doch wie konnen Sie das wissen?«
»Es gehort nun einmal zu meinem Beruf, uber verschiedene Dinge unterrichtet zu sein«, sagte Poirot mit gro?em Ernst. Nach einigen Worten mit dem Inspektor gingen wir zum »Wei?en Hirschen«, um bei Schinken mit Ei, dazu Apfelwein aus Devonshire, die Angelegenheit zu besprechen. »Konnen Sie uns schon irgendwelche Erklarungen geben«, fragte Ingles lachelnd.
»Ja, die Angelegenheit liegt fur mich ziemlich klar, jedoch werden Sie verstehen, da? es nicht so ganz leicht sein wird, Beweise zu erbringen.
Whalley wurde auf Befehl der Gro?en Vier getotet - aber nicht von Grant. Ein durchtriebener Bursche besorgte Grant den Posten und plante mit gro?er Umsicht, ihn zum Sundenbock zu machen - eine nicht zu schwierige Aufgabe bei Grants Vorstrafen. Er gab ihm ein Paar Schuhe, eines von zwei vollstandig gleichen Paaren. Das andere Paar behielt er selbst. Es war alles denkbar einfach. Zu dem Zeitpunkt, als Grant sich au?erhalb des Hauses befand und Betsy zu einem Schwatzchen ausgegangen war (was sie wahrscheinlich jeden Tag zu tun pflegte), fuhr er bei dem Hause vor und trug bei dieser Gelegenheit die gleichen Schuhe. Er betrat die Kuche, ging zum Wohnzimmer, streckte den alten Herrn mit einem Schlag nieder und schnitt ihm den Hals durch. Dann begab er sich zuruck in die Kuche, zog die Schuhe aus, tauschte sie gegen die vor der Tur stehenden aus, verlie? mit Grants Schuhen das Haus und fuhr mit seinem Wagen davon.« Ingles betrachtete Poirot aufmerksam.
»Da taucht noch die Frage auf, wieso ihn niemand gesehen hat.«
»Ah, nach meiner Oberzeugung kann man hier erkennen, mit welcher Schlauheit Nummer vier zu Werke ging. Ein jeder sah ihn - und wiederum sah ihn niemand, denn er benutzte zu seinem Vorhaben einen Metzgerwagen!« Ich stie? einen Ruf der Uberraschung aus. »Die Hammelkeule?«
»Genau das, Hastings, die Hammelkeule. Jedermann konnte beschworen, da? kein Fremder an diesem Morgen
»Verdammt genial zusammengereimt«, sagte Ingles zustimmend.
»Ja, das hat unsere Nummer vier tatsachlich schlau eingefadelt«, bekraftigte Poirot.
»Er ist ebenso schlau wie unser Hercule Poirot«, bemerkte ich leise. Mein Freund warf mir einen mi?billigenden Blick zu. »Deine scherzhaften Bemerkungen sind an dieser Stelle durchaus nicht angebracht, Hastings«, sagte er kurz angebunden. »Habe ich nicht einen Unschuldigen vor dem Galgen gerettet?«
5
Nachdem die Geschworenen Robert Grant, alias Biggs, von der Anklage des Mordes an Jonathan Whalley freigesprochen hatten, hatte ich personlich den Eindruck, da? unser Freund, Inspektor Meadows, doch nicht so ganz von seiner Unschuld uberzeugt war. Die Indizien, die gegen Grant sprachen, die Vorstrafen, die Jadefiguren, die er gestohlen hatte, die Fu?abdrucke, die genau mit seinen Schuhen ubereinstimmten, waren seiner Uberzeugung nach so beweisfuhrend, da? man sie nicht ubersehen konnte. Jedoch Poirot, entgegen seiner sonstigen Abneigung, vor Gericht Aussagen zu machen, hatte die Geschworenen uberzeugt. Zwei Zeugen hatten sich gemeldet, welche einen Metzgerwagen am Montag morgen gesehen hatten, wahrend der ortsansassige Metzger bezeugte, da? sein Wagen nur mittwochs und freitags Hauszustellungen durchfuhrte. Ferner hatte sich eine Frau gemeldet, die sich erinnerte, einen Fleischerei-Angestellten beim Verlassen des Bungalows gesehen zu haben, jedoch konnte sie keine prazise Beschreibung des Mannes liefern. Die einzigen Wahrnehmungen, die ihr im Gedachtnis haften geblieben waren, waren die, da? er glattrasiert und von mittlerer Statur war und da? er ganz das Aussehen eines Metzgers hatte. Bei dieser Beschreibung zuckte Poirot vielsagend mit den Achseln.
»Es ist so, wie ich dir sage, Hastings«, wandte er sich nach der Verhandlung an mich. »Der Mann ist ein Kunstler in seinem Fach. Er verrat sich weder durch einen falschen Bart noch durch eine dunkle Brille. Er andert stets seine au?ere Erscheinung, aber das ist noch nicht alles. Fur jeden besonderen Zweck pa?t er sich jeweils den besonderen Verhaltnissen an. Er lebt sich vollig in seine Aufgabe hinein.«
Sicherlich mu?te ich zugeben, da? der Mann, der uns als Aufseher der Heilanstalt in Hanwell besuchte, ganz genau mit meiner Vorstellung eines Bediensteten der Anstalt ubereinstimmte. Ich hatte niemals fur einen Moment daran gezweifelt, da? er nicht echt gewesen ware.
Es war alles ein wenig entmutigend, und unsere Erlebnisse in Dartmoor schienen uns kein Stuck weitergebracht zu haben. Ich teilte diese Gedanken Poirot mit, aber er wollte nicht zugeben, da? wir nichts erreicht hatten.
»Wir kommen allmahlich weiter«, sagte er. »Fortschritte haben wir jedenfalls schon gemacht. Bei jedem Beruhrungspunkt mit diesem Manne lernen wir ein wenig mehr von seiner geistigen Einstellung und seinen Methoden kennen. Von uns und unseren Planen jedoch wei? er nichts.«
»Und in dieser Beziehung, Poirot«, protestierte ich, »geht es mir genauso wie ihm. Es hat nicht den Anschein, als hattest du irgendwelche neuen Plane, du sitzt da und wartest, bis von seiner Seite etwas Neues