Inspektor Japp erwiderte nichts, sein Gesicht blieb bewegungslos wie eine Maske.

»Sehen Sie, da druben ist ein handlicher Tisch und Stuhl«, fuhr der junge Mann fort. »Nehmen Sie dort Platz. Dann konnen Sie meine Aussage gleich bequem stenografieren.«

Vermutlich begegnete es dem Beamten Scotland Yards nicht haufig, da? sich ein des Mordes Verdachtiger um die Bequemlichkeit seines Haschers sorgt!

»Und nun zur Sache! Da ich nicht ganz auf den Kopf gefallen bin, nehme ich an, da? mein wunderschones Alibi in Rauch aufgegangen ist, wie? Aus mit den nutzlichen Dortheimers. Taxichauffeur, ja?«

»Uns sind Ihre samtlichen Schritte in jener Nacht bekannt«, sagte Japp steif.

»Ich habe immer die gro?te Bewunderung fur die Tuchtigkeit Scotland Yards gehabt. Aber wissen Sie, Inspektor, wenn ich wirklich eine Gewalttatigkeit geplant hatte, wurde ich bestimmt in kein Taxi geklettert und schnurstracks zum Hause meines Onkels gefahren sein. Und ebenso bestimmt hatte ich das Auto nicht warten lassen. Haben Sie das nicht bedacht . ? Ah, Monsieur Poirot, Ihnen sind wohl derartige Bedenken gekommen?«

»Ja.«

»Ein wohluberlegter Mord wird anders in Szene gesetzt«, fuhr Lord Edgware fort. »Man klebt sich meinetwegen einen roten Schnurrbart an, versteckt sich hinter einer gro?en Hornbrille, fahrt bis zur nachsten Stra?enecke und entlohnt den Chauffeur. Oder nimmt die Untergrundbahn . na, lassen wir das! Fur ein paar tausend Guineas wird Ihnen mein Advokat das besser schildern als ich. Ihre Antwort, Inspektor, wei? ich schon im voraus: keine vorbereitete, sondern aus einem jahen Impuls geborene Tat. Aber auch das stimmt nicht, sondern in Wirklichkeit verhalt sich alles folgenderma?en: Ich brauchte Geld, brauchte es dringend. Wenn ich es nicht bis zum nachsten Tag beschaffte, war ich ein verlorener Mann. Mein Onkel? Er liebte mich nicht, doch ich glaubte, es sei ihm vielleicht an der Ehre seines Namens etwas gelegen. Altere Herren werden bisweilen von solchen Gefuhlen beherrscht. Mein Onkel jedoch erwies sich in seiner schamlosen Gleichgultigkeit als bedauernswert modern.

Was tun? Bei dem alten Dortheimer einen Pumpversuch machen? Ich wu?te, da? er ergebnislos verlaufen wurde. Und seine Tochter heiraten - nein, dazu vermochte ich mich nicht zu uberwinden. Da traf ich durch reinen Zufall meine Kusine in der Oper. Unsere Wege kreuzten sich nur selten, doch standen wir immer auf gutem Fu?. Ich vertraute ihr meine Schwierigkeiten an, da sie ohnehin schon etwas von ihrem Vater gehort hatte, und Geraldine, das liebe brave Kind, drangte mir ihre Perlen auf, die einst Eigentum ihrer Mutter gewesen waren.«

Er schwieg. Mir schien, als musse er einer echten Bewegung Herr werden - war sie aber nicht echt, so wu?te er sie durch ein leichtes Beben der Stimme unwahrscheinlich gut vorzutauschen.

»Nun, ich wies das gro?mutige Anerbieten nicht zuruck. Durch Beleihung der Perlen konnte ich mir das erforderliche Geld verschaffen, Inspektor. Aber gleichzeitig schwor ich meiner Kusine, da? ich sie ihr wiedergeben wurde, und sollte ich auch nur durch harteste Arbeit dazu imstande sein. Leider befanden sich die Perlen jedoch in Regent Gate. Auf diese Art kam Ihr Chauffeur zu seinen Fahrgasten, Inspektor.

Hat er Ihnen berichtet, da? wir auf der entgegengesetzten Seite einige Hauser entfernt halten lie?en? Das geschah, damit niemand durch ein vorfahrendes Auto aufmerksam werden sollte. Geraldine, die ihren Schlussel bei sich hatte, wollte sich moglichst lautlos hinauf in ihr Zimmer begeben und hoffte, da? ihr dies unbemerkt glucken wurde, da Miss Carroll meist um halb zehn zu Bett ging und mein Onkel sicher in der Bibliothek sa?. Ich sah ihr nach, wie sie den Fahrdamm uberquerte, druben an der Hauserreihe entlangschritt und endlich in ihrem vaterlichen Haus verschwand. Und nun, Inspektor, komme ich zu dem Teil meiner Geschichte, den Sie wahrscheinlich fur Schwindel halten werden. Ein Mann bog in die Stra?e ein, ging auf dem jenseitigen Burgersteig an mir voruber, stieg dann gleichfalls die Stufen zu Nr. 17 empor und betrat das Haus. Aus zwei Grunden war ich starr vor Staunen: erstens, weil der Betreffende die Haustur mit einem Schlussel geoffnet hatte, und zweitens, weil ich in ihm einen der bekanntesten Filmschauspieler erkannt zu haben glaubte.

Dieser Sache mu?te ich auf den Grund gehen! Zufallig trug ich meinen eigenen Schlussel zu Nr. 17 in der Tasche. Ich hatte ihn vor drei Jahren verloren oder glaubte ihn wenigstens verloren, bis er mir vor zwei Tagen unerwartet in die Hande gefallen war. Ihn, wie ursprunglich beabsichtigt, meinem Onkel vormittags zuruckzugeben, war in der Hitze unserer Auseinandersetzung unterblieben, und beim Umkleiden hatte ich ihn mit dem gesamten anderen Tascheninhalt in die Frackhose gesteckt.

Ich befahl dem Chauffeur zu warten, rannte quer uber die Stra?e bis zu Nr. 17, sprang die Stufen empor und offnete die Tur. Einsam und verlassen lag die Halle. Keinerlei Anzeichen eines soeben eingetretenen Besuchers. Ich schaute mich nach allen Seiten um und schlich mich hinauf zur Bibliothek. War der Mann bei meinem Onkel, so wurde man ja Stimmengemurmel horen. Aber nicht ein Laut drang zu mir hinaus.

Und plotzlich schalt ich mich einen Dummkopf. Naturlich hatte mich die Entfernung und die zu dieser Stunde mangelhafte Stra?enbeleuchtung genarrt, und der Mann war gar nicht in Nr. 17, sondern wahrscheinlich in dem Nebenhaus verschwunden. Oh, ich Einfaltspinsel ...! Was sollte mein Onkel denken, wenn er unerwartet die Tur offnete und mich hier stehen sah? Welche Unannehmlichkeiten mu?ten Geraldine durch meine Unbesonnenheit erwachsen! Und alles das, weil irgend etwas in dem Gebaren des Mannes bei mir die Vorstellung erweckt hatte, er gehe krumme Wege .

Ich ging auf den Fu?spitzen zur Haustur zuruck, und im gleichen Augenblick kam Geraldine mit den Perlen in der Hand die Treppe herab. Als sie mich sah, fuhr sie selbstverstandlich zusammen, und ich zog sie rasch nach drau?en und erklarte ihr den Zusammenhang.

Dann ging's so schnell wie moglich zur Oper zuruck, wo wir gerade beim Aufziehen des Vorhangs unsere Platze wieder einnahmen. Niemand ahnte etwas von unserer Abwesenheit, denn in der warmen Sommernacht hatten viele Besucher im Freien Luft geschopft.«

Er machte eine Pause und holte tief Atem.

»Ich wei?, Inspektor, da? Sie mir jetzt entgegnen werden, warum ich Ihnen das nicht sofort erzahlte. Aber nun mochte ich Sie fragen: Wurden Sie leichtherzig zugeben, da? Sie in der fraglichen Stunde am Schauplatz des Verbrechens gewesen sind, wenn man Ihnen ohnedies schon triftige Grunde fur den Mord vorrechnen kann?

Und selbst wenn man mir und Geraldine Glauben schenkte, so doch nur nach langwierigen Vernehmungen, nach Weiterungen und Scherereien aller Art, nach qualvollem Hin und Her. Wir hatten nichts mit dem Mord zu tun, wir hatten nichts gesehen, nichts gehort. Auf Ehre und Gewissen versichere ich Ihnen, da? ich glaubte, Tante Jane sei die Schuldige. Weshalb sollte ich mir selbst Ungelegenheiten bereiten?«

»Miss Marsh willigte in dieses ... hm, Vertuschen?«

»Ja. Sobald ich von dem Mord erfuhr, ging ich zu ihr und beschwor sie, uber unseren Abstecher nach hier Schweigen zu bewahren und auf Befragen zu erklaren, da? wir in der letzten Pause zusammen gewesen und ein wenig drau?en im Freien umherspaziert waren. Sie begriff meine Lage und ging ohne weiteres auf meinen Vorschlag ein. Ich wei?, Inspektor, da? es einen verflucht schlechten Eindruck macht, wenn ich erst jetzt mit der Wahrheit herausrucke. Aber es ist die Wahrheit. Ich kann Ihnen Namen und Adresse des Mannes geben, der mir am anderen Morgen Geraldines Perlen belieh. Und wenn Sie meine Kusine fragen, wird sie Ihnen jedes Wort bestatigen.«

Lord Edgware lehnte sich in seinen Stuhl zuruck und blickte Japp an. Doch dessen Gesicht behielt dieselbe maskengleiche Ausdruckslosigkeit.

»Sie sagen, Lord Edgware, da? Sie glaubten, Jane Wilkinson habe den Mord begangen?« warf er hin.

»Wurden Sie es etwa nicht gedacht haben, Inspektor? Nach des Butlers Erzahlung?«

»Und Ihre Wette mit Miss Adams?«

»Wette mit Miss Adams ...? Carlotta Adams meinen Sie? Was hat sie damit zu schaffen?« »Leugnen Sie, da? Sie ihr die Summe von zehntausend Dollar boten, damit sie in jener Nacht Jane Wilkinson hier verkorperte?«

Ronald starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an.

»Zehntausend Dollar? Unsinn . ! Jemand hat Ihnen einen Baren aufgebunden, Inspektor. Als ob ich vor ein paar Tagen zehntausend Dollar anzubieten hatte! Hat sie Ihnen das gesagt? Oh, verdammt - ich verga?, sie ist ja tot.«

»Ja«, mischte sich Poirot ruhig ein. »Sie ist tot.«

Ronald blickte uns drei der Reihe nach an. Sein Gesicht hatte seine frischen Farben verloren, und in den Augen lauerte Angst. »Ich verstehe kein Wort von allem«, sagte er. »Was ich Ihnen erzahlte, ist unverfalschte Wahrheit. Aber mir scheint, Sie glauben mir nicht - keiner von Ihnen.«

Und da trat zu meinem grenzenlosen Staunen Hercule Poirot vor.

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