»Doch«, erklarte er. »Ich glaube Ihnen.«
Wir waren in unsere Wohnung zuruckgekehrt.
»Was in aller Welt . «, hub ich an und wurde durch die ma?loseste Bewegung, die ich je bei Poirot sah, zum Schweigen verurteilt. Seine beiden Arme kreisten durch die Luft.
»Ich flehe Sie an, Hastings! Nicht jetzt. Nicht jetzt!«
Und hierauf ergriff er seinen Hut, klatschte ihn sich auf den Kopf, als ob er niemals von Ordnung und Methode gehort habe, und sturmte aus dem Zimmer. Er war auch noch nicht wieder da, als eine Stunde spater Japp erschien.
»Ist der Kleine ausgegangen?«
Ich nickte.
Der Inspektor sank mude in einen Sessel und betupfte seine Stirn mit einem Taschentuch, denn der Tag hatte uns eine ziemliche Hitze beschert.
»Was ist denn blo? in ihn gefahren?« forschte er. »Ich denke, mich ruhrt der Schlag, als er plotzlich auf den Mann zutritt und feierlich sagt: >Ich glaube Ihnen.< Mit dem Pathos eines Mimen! . Offen gestanden, Hauptmann Hastings, ich bin platt.«
Ich war ebenso platt und verhehlte es nicht. »Und dann marschiert er auf und davon und la?t Sie hier allein sitzen! Was sagte er denn?«
»Nichts!«
»Nichts?«
»Gar nichts. Als ich zu sprechen anfing, zappelte er mit den Armen, nahm seinen Hut - und weg war er!«
Wir blickten uns an, und Japp tippte vielsagend gegen seine Stirn. Diesmal neigte ich dazu, ihm beizupflichten. Er hatte schon haufig angedeutet, da? Poirot - wie er es nannte -angekrankelt sei, doch hinterher ergab sich jedesmal, da? der Inspektor nicht verstanden hatte, wo Poirot hinzielte. Aber jetzt sah ich mich gezwungen, zuzugeben, da? auch ich das Verhalten meines Freundes nicht verstand. Wenn nicht angekrankelt, so war er jedenfalls verdachtig wetterwendisch. Nachdem seine hochsteigene Theorie sich siegreich behauptete, sagte er sich plotzlich schnode von ihr los. Ah, das mu?te ja seine warmsten Anhanger bekummern und verdrie?en!
»Sonderbar ist er ja stets gewesen«, bemerkte der Kriminalbeamte. »Immer sah er Menschen und Dinge in einem Licht, in dem kein normaler Sterblicher sie sah. Ich gebe zu, da? er eine Art Genie ist. Jedoch hei?t es, da? Genies ganz nahe an der Grenzlinie stehen und jeden Augenblick Gefahr laufen uberzuschnappen. Ein eindeutig klarer Fall ist unserem lieben Poirot nie gut genug; nein, er will die Dinge moglichst schwierig haben. Und so entfremdet er sich nach und nach dem wirklichen Leben und spielt sein eigenes Spiel.« Japp lachte auf. »Er erinnert mich an ein altes Damchen, das Patience legt. Wenn die Patience nicht aufgeht, betrugt es. Nun, bei unserem Freund ist es gerade umgekehrt. Wenn sie zu leicht aufgeht, betrugt er, um sie schwieriger zu gestalten! So, Hauptmann Hastings, fasse ich ihn und seinen Charakter auf.«
Ich war um eine Antwort verlegen; war auch zu verwirrt und bekummert, um klar denken zu konnen. Im stillen nannte ich Poirots Benehmen unzurechnungsfahig, und da ich sehr an meinem sonderbaren kleinen Freund hing, sorgte ich mich mehr, als ich eingestehen mochte.
Und mitten in dieser dusteren Stille trat Poirot uber die Schwelle.
Er hatte, wie ich mit einem tiefen Dankgefuhl feststellte, seine Ruhe wiedergefunden. Sehr sorgsam nahm er seinen Hut ab, legte ihn samt dem Stock auf ein Seitentischchen und lie? sich in seinem Lieblingssessel nieder.
»Mein guter Japp, ich bin au?erordentlich froh, da? Sie da sind, weil ich so der Muhe enthoben werde, Sie aufzusuchen.« Der Inspektor, in dem sicheren Gefuhl, da? dies lediglich die Einleitung war, erwiderte nichts. Und tatsachlich fuhr mein Freund, langsam und jedes Wort uberlegend, fort:
»Ecoutez, Japp. Wir haben unrecht, durchaus unrecht. Schmerzlich, es zuzugestehen - aber wir haben einen Fehler gemacht.«
»Es ist schon alles in Ordnung«, sagte der Inspektor zuversichtlich.
»Es ist keineswegs in Ordnung. Es ist klaglich, jammerlich und druckt mir das Herz ab.«
»Gramen Sie sich nicht uber den jungen Herrn, Monsieur Poirot. Er hat die Strafe, die seiner wartet, redlich verdient.«
»Nicht seinetwegen grame ich mich - sondern Ihretwegen.«
»Meinetwegen ...? Das ist wirklich nicht notig.«
»So ...? Wer hat Ihnen denn diesen Tip gegeben? Ich, Hercule Poirot. Mais oui, ich setzte Sie auf die Fahrte; ich lenkte Ihre Aufmerksamkeit auf Carlotta Adams, ich erwahnte Ihnen gegenuber den Brief nach Amerika. Ich, ich, und uberall ich.«
»Auch ohne Sie ware ich zu diesem Ziel gelangt«, erklarte Japp kuhl. »Sie landeten dort nur ein bi?chen vor mir - das ist alles.«
»Cela se peut. Aber das vermag mich nicht zu trosten. Wenn Ihnen Schaden erwuchse, wenn Ihr Prestige litte, weil Sie meine kleinen Ideen beachteten, so wurde ich mich bitterlich tadeln.«
Japp blickte sehr verschmitzt drein. Ich denke, da? er Poirots Reden auf wenig lautere Quellen zuruckfuhrte und sich einbildete, der kleine Belgier mi?gonne ihm die Lorbeeren, die ihm die erfolgreiche Aufklarung des Falles bescheren wurde.
Und meine Vermutung wurde durch die Antwort des Inspektors bestatigt.
»Seien Sie ruhig, Monsieur Poirot«, sagte er. »Ich werde nicht verfehlen, Ihre verdienstvolle Mitwirkung hervorzuheben.«
»Darum handelt es sich doch nicht«, rief Hercule Poirot verzweifelt. »Mich verlangt es nicht nach Anerkennung. Und au?erdem wird es keine geben.« Ungeduldig netzte er die Lippen mit der Zunge. »Es ist ein Mi?erfolg, den Sie sich vorbereiten, mon ami, und ich, Hercule Poirot, bin die Ursache.«
Angesichts dieser Trubsal brach Japp in ein schallendes Gelachter aus. Er lachte und lachte, bis ihm die Tranen in den Augen standen.
»Verzeihung, Monsieur Poirot«, prustete er, indem er sich die Augen wischte. »Wenn Sie sich anschauen konnten, wurden Sie auch lachen. Hahaha! Wie eine sterbende Ente im Gewittersturm sehen Sie aus . ! Einigen wir uns also: Sowohl das Verdienst als auch den Tadel werden wir in dieser Affare bruderlich teilen. Es mag sein, da? ein geschickter Anwalt den edlen Lord herausrei?t - Geschworene sind unberechenbar. Aber auch das wird mir keinen Schaden tun. Auch ein Freispruch wird die Tatsache nicht verschleiern, da? wir den richtigen Mann auf die Anklagebank brachten. Und wenn, durch irgendeinen Zufall, das dritte Hausmadchen plotzlich Wahnvorstellungen bekommen und sich der Tat bezichtigen sollte, so werde ich meinen Leidenskelch schlucken und mich nicht beklagen, da? Sie mich aufs Glatteis fuhrten. Genugt Ihnen das?«
Poirot sah ihn sanft und traurig an.
»Fast mochte man Sie um diese Zuversicht beneiden! Nie machen Sie halt und fragen sich: Kann es so sein? Nie zweifeln Sie oder wundern Sie sich. Nie denken Sie: Das ist zu leicht!«
»Sehen Sie, Monsieur Poirot, jetzt beruhren Sie den Punkt, wo Sie immer entgleisen. Warum soll eine Sache nicht leicht sein?«
Mein Freund stie? einen tiefen Seufzer aus, hob beide Hande hoch und lie? sie wieder auf die Armlehne fallen.
»C'est fini!« klang es mutlos. »Ich will kein Wort mehr daruber verlieren.«
»Wunderbar!« sagte Japp herzlich. »Mochten Sie nun erfahren, was ich derweilen getan habe?«
»Gewi?.«
»Ich sprach mit Miss Marsh, deren Schilderung sich genau mit der ihres Vetters deckt. Da? die beiden unter einer Decke stecken, glaube ich nicht. Meine Ansicht geht dahin, da? er sie tauschte. Die Kunde von seiner Verhaftung hat sie ubrigens vollkommen niedergeschmettert.«
»Und die Perlen?«
»Das hat seine Richtigkeit. Am folgenden Morgen verschaffte er sich in aller Herrgottsfruhe durch ihre Beleihung das Geld. Aber finden Sie, da? dadurch die Anklage gegen ihn entkraftet wird? Ich stelle mir folgendes vor: Der Mordplan entstand, als Ronald Marsh in der Oper seiner Kusine ansichtig wurde. Blitzartig zuckte es in seinem Kopf auf, obwohl der junge Mann etwas Ahnliches wohl doch bereits erwogen hatte. Warum trug er sonst