»Liebste, es war so herzig von Ihnen, zu mir heraufzukommen«, sagte Jane. »Ich lasse mich so gern von einem plotzlichen Einfall lenken. Sie auch?« »Nein«, erwiderte Miss Adams. »Ich bin im Gegenteil dafur, da? ich jeden Schritt, den ich tue, vorher sorgfaltig abwage. Das erspart einem Sorgen und Unannehmlichkeiten.«

»Nun, jedenfalls rechtfertigen die Erfolge Ihre Methode«, lachte Jane, die abweisende Haltung der anderen nicht beachtend. »Selten hat mir etwas einen solchen Genu? bereitet wie Ihre heutige Vorstellung.«

Uber das Gesicht der jungen Amerikanerin glitt ein warmer Schimmer. »Wie wohl mir Ihre Anerkennung tut!« antwortete sie. »Ich brauche Ermutigung - wir alle brauchen sie.«

»Carlotta«, mischte sich der junge Mann mit dem Schnurrbartchen ein, »machen Sie vor Tante Jane Ihren Knicks, sagen Sie >Danke schon< und kommen Sie.«

Die Art, wie er in schnurgerader Richtung durch die Tur steuerte, mu?te man ein Wunder der Konzentration nennen.

»Was fallt ihm ein, mich Tante Jane zu nennen«, entrustete sich unsere schone Wirtin. »Und wie kam er uberhaupt zu mir hereingeschneit? Ich hatte ihn vorher gar nicht bemerkt.«

»Meine Liebe, Sie haben auch nicht notig, ihn zu bemerken«, entgegnete Mrs. Widburn. »Ein unbedeutender junger Dachs ...! Doch jetzt mussen Charles und ich leider lostraben, denn wir haben noch eine andere Verabredung.«

Das Ehepaar Widburn trabte also los, und Martin Bryan schlo? sich ihnen an.

»Nun, Monsieur Poirot?«

»Eh bien, Lady Edgware?« lachelte mein Freund zuruck.

»Um Himmels willen, nennen Sie mich nicht so! Lassen Sie es mich vergessen, wenn Sie nicht der hartherzigste Mann von Europa sind!«

»Aber nein, aber nein, Madame, ich bin nicht hartherzig.«

Hercule Poirot, der unerreichte Detektiv, hat heute abend anscheinend auch zuviel getrunken, spottelte ich im geheimen.

»Dann werden Sie meinen Mann also besuchen? Und ihn meinen Wunschen gefugig machen?«

Und Poirot versprach, jedoch mit kluger Einschrankung:

»Ich werde ihn besuchen.«

»Wenn er Sie dann aber abweist - was wahrscheinlich der Fall sein wird -, mussen Sie einen gescheiteren Plan schmieden. Sie werden doch nicht umsonst als der gescheiteste Mann von England geruhmt, M. Poirot.«

»Oh, Madame, wenn Sie mich hartherzig schelten, fuhren Sie Europa ins Treffen; fur die Gescheitheit hingegen sagen Sie nur England!«

»Wenn Sie meine Angelegenheit zu einem glucklichen Ende fuhren, werde ich sagen: das Universum.«

Der kleine Belgier hob abwehrend die Hand.

»Madame, ich verspreche nichts. Aus psychologischem Interesse jedoch will ich trachten, eine Begegnung mit Ihrem Gatten zuwege zu bringen.«

»Psychoanalysieren Sie ihn, soviel Sie mogen. Moglicherweise bekommt es ihm gut. Aber Sie mussen mir zum Sieg verhelfen, Monsieur Poirot. Ich will meine romantische Idylle nicht nur traumen, sondern erleben.« Und mit einem schwarmerischen Augenaufschlag fugte sie hinzu: »Bedenken Sie doch die Sensation!«

3

Einige Tage spater warf mir Poirot quer uber den Fruhstuckstisch einen Brief zu, den er soeben geoffnet hatte.

»Da mochte ich mal Ihre Meinung horen, mon ami«, au?erte er.

Das Schreiben kam von Lord Edgware, der in steifen, formlichen Worten einen Besuch fur den nachsten Tag um elf Uhr anberaumte.

Ich verhehlte meine Uberraschung nicht.

Poirots Versprechen hatte ich fur eine belanglose, in einem lustigen Augenblick gegebene Zusage gehalten und nicht geahnt, da? er Schritte getan hatte, um sie zu verwirklichen.

»Ja, mein Bester, es war nicht nur der Champagner«, neckte mein Freund, der mit der ihm eigenen Hellsichtigkeit meine Gedanken las. »Schweigen Sie«, schnitt er dann alle meine Verteidigungsversuche ab. »Sie haben gedacht: der arme Alte, er befindet sich in gehobener Stimmung, er verspricht Dinge, die er nicht ausfuhren wird - die er auch gar nicht auszufuhren beabsichtigt. Aber, mein Freund, Sie haben vergessen, da? die Versprechen von Hercule Poirot heilig sind!«

Bei den letzten Worten reckte er sich zu der stattlichsten Hohe auf, die ihm sein kleiner Wuchs erlaubte.

»Selbstverstandlich, selbstverstandlich. Ich wei? das«, beeilte ich mich zu versichern. »Ich habe auch nur gedacht, da? Ihre Urteilskraft leicht ... leicht - wie soll ich mich ausdrucken? -nun, leicht beeinflu?t gewesen sei.«

»So ...? Ich habe aber nicht die Gewohnheit, meine Urteilskraft >beeinflussen< zu lassen, Hastings, wie Sie so schon sagen. Der beste und trockenste Champagner, das goldhaarigste und verfuhrerischste Weib - nichts beeinflu?t die Urteilskraft von Hercule Poirot. Nein, mon ami, mein Interesse ist geweckt worden - voila!«

»Bezuglich Jane Wilkinsons Liebesaffare?«

»Janes Liebesaffare, um bei Ihrem Ausdruck zu bleiben, ist eine sehr landlaufige Angelegenheit - eine Stufe in der erfolgreichen Laufbahn einer bildschonen Frau. Wenn der Herzog von Merton ihr weder Titel noch Reichtum zu bieten hatte, wurde die romantische Zuneigung dieser Dame zu einem vertraumten Monch schnell erloschen. Nein, Hastings, was mich kitzelt, ist die Psychologie der Sache. Das Rankespiel der Charaktere. Ich begru?e den Zufall, der es mir erlaubt, Lord Edgware in einer personlichen Zwiesprache zu studieren.«

»Sie erwarten doch wohl aber nicht, da? Ihnen Ihr Auftrag glucken wird?«

»Warum nicht? Jeder Mensch hat seine Achillesferse. Bilden Sie sich nicht ein, Hastings, da? ich, weil ich den Fall vom psychologischen Standpunkt aus betrachte, nicht mein Bestes dransetzen werde, die mir gewordene Mission zur Befriedigung der Auftraggeberin durchzufuhren. Es bereitet mir immer Vergnugen, meine Fahigkeiten spielen zu lassen.«

Ich hatte schon vor einem Hinweis auf die kleinen grauen Zellen gezittert und atmete dankbar auf, als er mir erspart blieb.

»Dann werden wir also morgen gegen elf nach Regent Gate gehen«, sagte ich.

»Wir?« Spottisch zog Hercule Poirot seine Augenbrauen zu einem Dreieck empor.

»Mein Lieber, Sie werden meine Begleitung doch nicht zuruckweisen!« rief ich. »Ich bin immer mit Ihnen gegangen.«

»Wenn es sich um ein Verbrechen handelte, einen mysteriosen Giftfall, einen gra?lichen Mord - ah, in solchen Dingen schwelgt Ihre Seele. Doch nur eine gesellschaftliche Regelung?«

»Kein Wort mehr!« sagte ich emport. »Ich komme mit.«

Poirot schmunzelte noch vergnugt, als uns, ein Besucher gemeldet wurde, der sich als Martin Bryan entpuppte.

Bei hellem Tageslicht sah der Schauspieler alter aus. Gewi?, er war noch schon, doch wies diese Schonheit bereits Mangel und Zerstorungen auf. Sollte er etwa Rauschgiften huldigen? Es umgab ihn eine gewisse nervose Spannung, die diese Vermutung rechtfertigte.

»Guten Morgen, Monsieur Poirot«, gru?te er in frohlicher Leichtigkeit. »Freut mich, zu sehen, da? Sie und Hauptmann Hastings zu einer vernunftigen Stunde fruhstucken. Nebenbei -sind Sie jetzt sehr beschaftigt?«

»Nein«, versicherte der kleine Belgier liebenswurdig. »Im Augenblick drangt mich kein wichtiges Geschaft.«

»Wer's glaubt!« lachte Bryan. »Wirklich kein Geheimauftrag von Scotland Yard? Keine heiklen Nachforschungen fur irgendeine Konigliche Hoheit ...?«

»Sie verwechseln Dichtung und Wirklichkeit, mein Lieber«, gab Poirot zuruck. »Ich kann beschworen, da? ich gegenwartig vollkommen ohne Beschaftigung bin, obgleich ich keineswegs zum alten Eisen gehore. Dieu merci!«

»Dann habe ich Gluck gehabt, Monsieur Poirot. Darf ich Sie wohl ein wenig anstellen?«

Poirot betrachtete den Frager eingehend, ehe er forschte:

»Ist es ein Problem, das Sie fur mich haben?«

»Etwas Ahnliches. Ein Problem - und wiederum auch keins.«

Martin Bryan schlug eine nervose Lache an, und wahrend Poirot ihn unentwegt betrachtete, bot er ihm mit

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