Generationen. Es hatte daher weniger Reiz fur die Wenigen, aber mehr Ruhe fur die Vielen. Der westliche Mensch hatte wieder gelernt, was die ubrige Welt nie vergessen hatte: da? in der Mu?e nichts Sundiges ist, solange sie nicht in Faulheit ausartet.
Welche Probleme die Zukunft auch bringen wurde, noch empfand die Menschheit die Zeit nicht als Last. Die Ausbildung war jetzt viel grundlicher und dauerte viel langer. Wenige Menschen verlie?en die Schule vor ihrem zwanzigsten Jahr, und das war nur der erste Abschnitt, da sie normalerweise mit funfundzwanzig fur mindestens drei weitere Jahre in die Schule zuruckkehrten, nachdem Reisen und Erfahrungen ihren Gesichtskreis erweitert hatten. Und selbst spater pflegten sie fur den Rest ihres Lebens gelegentlich Wiederholungslehrgange in den Fachern zu besuchen, die sie besonders interessierten.
Eine andere gro?e Veranderung war die au?erordentliche Beweglichkeit der neuen Gesellschaft. Dank der Vervollkommnung des Luftverkehrs konnte jedermann ohne weiteres uberall hinreisen. Am Himmel war mehr Platz, als je auf den Stra?en gewesen war, und das einundzwanzigste Jahrhundert hatte in gro?erem Ma?stab die gewaltige amerikanische Leistung, eine Nation zu motorisieren, wiederholt: Es hatte der Welt Flugel gegeben.
Allerdings nicht buchstablich. Das gewohnliche Privatflugzeug oder Luftauto hatte uberhaupt keine Flugel oder irgendwelche sichtbaren Fortbewegungsmittel. Selbst die plumpen Rotoren der alten Hubschrauber waren verbannt worden. Noch hatte der Mensch die Antischwerkraft nicht entdeckt: nur die Overlords besa?en dieses au?erste Geheimnis. Ihre Luftautos wurden von Kraf ten angetrieben, die die Gebruder Wright verstanden hatten. Dusenantrieb bewegte die Flugzeuge und hielt sie in der Luft. Was keine Gesetze oder Erlasse der Overlords fertiggebracht hatten, geschah: Die allgegenwartigen kleinen Luftautos hatten die letzten Grenzen zwischen den verschiedenen Stammen der Menschheit beseitigt.
Tiefere Dinge waren auch entschwunden. Es war ein vollig weltliches Zeitalter. Von den Religionen, die vor dem Kommen der Overlords dagewesen waren, blieb nur eine Form eines gelauterten Buddhismus, vielleicht der strengsten aller Religionen, erhalten. Die Glaubensbekenntnisse, die auf Wundern und Offenbarungen beruhten, waren vollig zusammengebrochen. Mit der zunehmenden Bildung hatten sie sich bereits langsam aufgelost, aber eine Weile hatten die Overlords in dieser Sache nichts unternommen. Obwohl Karellen oft gebeten wurde, seine Ansichten uber Religion zu au?ern, pflegte er nichts weiter zu sagen, als da? der Glaube eines Menschen seine eigene Angelegenheit sei, solange die Freiheit der andern nicht beeintrachtigt werde.
Vielleicht hatten die alten Religionen noch Generationen uberdauern konnen, ware die menschliche Neugier nicht gewesen. Es war bekannt, da? die Overlords Zugang zu der Vergangenheit hatten, und mehr als einmal hatten Historiker Karellen ersucht, einen alten Streitfall zu schlichten. Es mag sein, da? er solche Anfragen satt bekam, wahrscheinlicher aber ist, da? er genau wu?te, welche Wirkung seine Gro?mut haben wurde.
Das Gerat, das er der Stiftung fur Weltgeschichte leihweise zur Verfugung stellte, war nichts anderes als ein Fernsehapparat mit fein ausgearbeiteten Vorrichtungen, um die Koordinate in Zeit und Raum zu bestimmen. Er mu?te irgendwie an einen viel verwickeiteren Apparat in Karellens Schiff angeschlossen sein, der nach Prinzipien arbeitete, die sich niemand vorstellen konnte. Man brauchte die Kontrollen nur einzustellen, und ein Fenster in die Vergangenheit tat sich auf. Fast die ganze menschliche Geschichte der vergangenen funftausend Jahre wurde in einem Augenblick zuganglich. Weiter in die Vergangenheit hinein reichte der Apparat nicht, und uberall waren verbluffende Lucken. Sie mochten eine naturliche Ursache haben oder waren auf eine absichtliche Zensur der Overlords zuruckzufuhren.
Obwohl es immer jedem vernunftigen Geist klar gewesen war, da? nicht alle religiosen Schriften der Welt wahr sein konnten, war der Schock dennoch tiefgreifend. Hier war eine Offenbarung, die niemand anzweifeln oder leugnen konnte: Hier, gesehen durch eine unbekannte Magie der Wissenschaft der Overlords, war der wahre Beginn aller gro?en Religionen der Welt. Die meisten von ihnen waren edel und begeisternd, aber das war nicht genug. Alles Gute und alles Schlimme, was sie gebracht hatten, war plotzlich in die Vergangenheit hineingefegt worden und konnte die Gemuter der Menschen nicht mehr beruhren.
Die Menschheit hatte ihre alten Gotter verloren: Jetzt war sie alt genug, keiner neuen zu bedurfen.
Obwohl wenige es bisher bemerkt hatten, war der Sturz der Religion von einem Abnehmen der Wissenschaft begleitet gewesen. Es gab sehr viele Technologen, aber wenige schopferische Arbeiter, die die Grenzen menschlichen Wissens erweiterten. Die Wi?begier blieb erhalten, und die Mu?e, sich ihr hinzugeben, war vorhanden, aber der grundlegenden wissenschaftlichen Forschung war das Herz genommen. Es erschien nutzlos, ein Leben lang nach Geheimnissen zu suchen, die die Overlords wahrscheinlich schon vor langen Zeiten entdeckt hatten.
Dieser Ruckgang war teilweise durch eine ungeheure Blute der beschreibenden Wissenschaften verhullt worden, wie der Zoologie, Botanik und Astronomie. Es hatte nie so viele Laien gegeben, die zu ihrem Vergnugen Tatsachen sammelten, aber es gab wenige Theoretiker, die diese Tatsachen zueinander in Verbindung brachten.
Die Beendigung von Streitigkeiten und Konflikten aller Art hatte auch das tatsachliche Ende der schopferischen Kunst bedeutet. Es gab Myriaden von Kunstlern, jedoch waren seit einer Generation keine wirklich hervorragenden neuen Werke der Literatur, Musik, Malerei oder Bildhauerkunst geschaffen worden. Die Welt zehrte noch von dem Ruhm einer Vergangenheit, die nie zuruckkehren konnte.
Niemand au?er einigen Philosophen machte sich Sorgen daruber. Die Rasse war zu sehr darauf bedacht, die neugewonnene Freiheit zu genie?en, um uber die Genusse der Gegenwart hinauszublicken. Endlich war Utopia Wirklichkeit geworden; seine Neuheit war noch nicht von dem schlimmsten Feind aller utopischen Reiche, der Langeweile, angegriffen.
Vielleicht hatten die Overlords darauf eine Antwort, wie auf alle andern Probleme. Niemand kannte, so wenig wie sie selbst, ein Lebensalter nach ihrer Ankunft ihr endgultiges Ziel. Die Menschheit hatte gelernt, ihnen zu vertrauen und ohne Fragen die ubermenschliche Selbstlosigkeit hinzunehmen, die Karellen und seine Gefahrten so lange von ihrer Heimat fernhielt.
Falls es wirklich Selbstlosigkeit war. Denn immer noch fragten sich einige, ob die Politik der Overlords stets mit dem wahren Wohl der Menschheit ubereinstimmen wurde.
3
Als Rupert Boyce die Einladungen zu seiner Gesellschaft verschickte, war deren Reichweite eindrucksvoll. Um nur das erste Dutzend Gaste zu nennen, waren da: die Familien Forster aus Adelaide, Schonberger aus Haiti, Farran aus Stalingrad, Moravia aus Cincinnati, Ivanko aus Paris und Sullivan aus der Nahe der Osterinsel, aber annahernd vier Kilometer tief auf dem Meeresgrund. Es war sehr schmeichelhaft fur Rupert, da? uber vierzig Gaste erschienen, obwohl er nur drei?ig eingeladen hatte. Blo? die Familie Krause lie? ihn im Stich, aber nur weil sie nicht an die Datumsdifferenz gedacht hatte und deshalb vierundzwanzig Stunden zu spat ankam.
Gegen Mittag hatte sich eine eindrucksvolle Gruppe von Flugzeugen im Park angesammelt, und die spater Eintreffenden wurden eine ganze Strecke zu gehen haben, wenn sie irgendwo einen Landungsplatz gefunden hatten. Die versammelten Fahrzeuge reichten von Ein-Mann-Kabinen bis zu Familien-Cadillacs, die eher wie Luftpalaste als wie vernunftige Flugzeuge aussahen. In diesem Zeitalter konnte man jedoch aus den Beforderungsmitteln keine Schlusse auf die gesellschaftliche Stellung der Gaste ziehen.
„Es ist ein sehr ha?liches Haus“, sagte Jean Morrel, als der Meteor in einer Spirale auf den Boden hinunterging. „Es sieht beinahe aus wie eine Schachtel, die jemand breitgetreten hat“, fugte sie hinzu.
George Greggson, der eine altmodische Abneigung gegen selbsttatige Landungen hatte, stellte den Abstiegsregulator ein, ehe er antwortete.
„Es ist ziemlich schwierig, von hier aus das Haus zu beurteilen“, erwiderte er vernunftig. „Vom Boden aus mag alles ganz anders aussehen.“
George wahlte einen Landeplatz, und sie gingen zwischen einem andern Meteor und irgend etwas nieder, was keiner von ihnen identifizieren konnte. Es sah sehr schnell und, nach Jeans Meinung, sehr unbequem aus. Einer der mit Rupert befreundeten Ingenieure hatte es wahrscheinlich selbst gebaut, dachte sie. Sie hatte die Vorstellung, da? solche Dinger gesetzlich verboten sein mu?ten.
Die Hitze schlug ihnen wie der Hauch einer Lotlampe entgegen, als sie das Flugzeug verlie?en. Sie schien die Feuchtigkeit aus ihren Korpern zu saugen, und George hatte fast das Gefuhl, als berste seine Haut. Es war naturlich zum Teil ihre eigene Schuld. Sie hatten Alaska vor drei Stunden verlassen und hatten daran denken