Dank der Psychologie der Overlords und den Jahren der sorgfaltigen Vorbereitung wurden nur wenige Menschen ohnmachtig. Aber uberall in der Welt gab es noch manche, die einen furchtbaren Augenblick lang das alte Entsetzen auf die Seele einsturmen fuhlten, bis der Verstand es fur immer verbannte.
Ein Irrtum war nicht moglich. Die lederartigen Flugel, die kleinen Horner, der buschige Schwanz, alles war vorhanden. Die schrecklichste aller Legenden war aus unbekannter Vergangenheit lebendig geworden. Aber jetzt stand sie in dunkler Majestat da, wahrend das Sonnenlicht auf dem gewaltigen Korper blinkte und auf ihren Armen vertrauensvoll zwei Kinder ruhten.
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Funfzig Jahre sind eine genugend lange Zeit, um eine Welt und ihre Bevolkerung fast bis zur Unkenntlichkeit zu verwandeln. Fur diese Aufgabe ist nichts weiter erforderlich als eine gesunde Kenntnis der sozialen Aufbauarbeit, ein klarer Blick fur das erstrebte Ziel — und Macht.
Diese Dinge besa?en die Overlords. Obwohl ihr Ziel verborgen war, waren ihre Kenntnisse offenkundig und ebenso ihre Macht.
Diese Macht nahm viele Formen an, von denen wenige von den Volkern, deren Schicksale die Overlords jetzt regierten, erkannt wurden. Die in ihren gro?en Schiffen verkorperte Macht war fur jedes Auge deutlich genug sichtbar gewesen. Aber hinter dieser Entfaltung schlummernder Kraft standen andere und feinere Waffen.
„Alle politischen Probleme“, hatte Karellen einmal zu Stormgren gesagt, „konnen durch die richtige Anwendung der Macht gelost werden.“
„Das klingt wie eine ziemlich zynische Bemerkung“, hatte Stormgren zweifelnd erwidert. „Es klingt etwas zu sehr nach: ›Macht ist Recht.‹ In unserer eigenen Vergangenheit blieb die Anwendung der Macht bemerkenswert erfolglos.“
„Das entscheidende Wort ist ›richtig’. Sie haben niemals wirkliche Macht oder die Kenntnisse besessen, die notig sind, um sie anzuwenden. Wie in allen Problemen, gibt es wirksame und unwirksame Behandlungsweisen. Nehmen Sie zum Beispiel an, da? eine Ihrer Nationen unter Fuhrung eines fanatischen Herrschers sich gegen mich zu emporen versuchte. Die hochst unwirksame Antwort auf eine solche Bedrohung waren einige Milliarden PS in Gestalt von Atombomben. Wenn ich genugend Bomben anwendete, ware die Losung vollstandig und endgultig. Sie wurde aber auch, wie ich bemerkte, unwirksam sein, wenn sie keine andern Mangel besa?e.“
„Und die wirksame Losung?“
„Die erfordert etwa soviel Kraft wie ein kleiner Radiosender und eine ahnliche Geschicklichkeit, ihn zu bedienen. Denn es kommt auf die Anwendung der Macht an, nicht auf ihren Umfang. Wie lange, glauben Sie, wurde wohl die Laufbahn eines Diktators dauern, wenn standig, wo er auch ware, eine Stimme leise in seinem Ohr flusterte? Oder wenn ein gleichbleibender Ton, laut genug, um alle andern Gerausche zu ersticken und ihn am Schlafen zu hindern, Tag und Nacht sein Gehirn erfullte? Nichts Brutales, das werden Sie zugeben. Aber in der endgultigen Wirkung genauso unwiderstehlich wie eine Tritiumbombe.“
„Ich verstehe“, hatte Stormgren gesagt, „und es wurde keinen Ort geben, wo man sich verbergen konnte?“
„Keinen Ort, wohin ich nicht meine Helfer schicken konnte, wenn ich mich stark genug dazu fuhlte. Und deshalb werde ich niemals wirklich harte Ma?nahmen anzuwenden brauchen, um meine Stellung zu behaupten.“
Damals hatten die gro?en Schiffe nur als Symbole gedient, und jetzt wu?te die Welt, da? alle au?er einem Trugbilder waren. Aber durch ihre blo?e Anwesenheit hatten sie die Geschichte der Erde verandert. Jetzt war ihre Aufgabe erfullt, und ihre Leistung wurde durch die Jahrhunderte widerhallen.
Karellens Berechnungen waren zutreffend gewesen. Die Betroffenheit uber die Begegnung war schnell vorbeigegangen, obwohl viele, die auf ihr Freisein von Aberglauben stolz waren, niemals imstande gewesen waren, einem der Overlords ins Gesicht zu sehen. Hier war irgend etwas Sonderbares, etwas, was jenseits aller Vernunft oder Logik war. Im Mittelalter hatten die Menschen an den Teufel geglaubt und ihn gefurchtet. Aber dies war das einundzwanzigste Jahrhundert. Konnte es sein, da? es eben doch so etwas wie ein Rassengedachtnis gab?
Es wurde naturlich allgemein angenommen, da? die Overlords oder Wesen der gleichen Art in heftigen Konflikt mit den Menschen der alten Zeit geraten seien. Der Zusammensto? mu?te in ferner Vergangenheit erfolgt sein, denn er hatte in der bekannten Geschichte keine Spuren hinterlassen. Hier war ein weiteres Ratsel, und Karellen wurde nicht zu seiner Losung beitragen.
Obwohl die Overlords sich jetzt den Menschen gezeigt hatten, verlie?en sie selten ihr einziges Schiff. Vielleicht fanden sie es wegen ihrer Gro?e unbequem auf der Erde, und das Vorhandensein der Flugel wies darauf hin, da? sie von einer Welt mit viel geringerer Schwerkraft kamen. Sie wurden nie ohne einen Gurtel gesehen, der mit allerlei komplizierten Geraten ausgestattet war, die nach der allgemeinen Annahme ihr Gewicht regelten und sie befahigten, sich miteinander zu verstandigen. Das unmittelbare Sonnenlicht war ihnen unangenehm, und sie hielten sich nie langer als einige Sekunden darin auf. Wenn sie fur langere Zeit ins Freie gehen mu?ten, trugen sie dunkle Brillen, die ihnen ein etwas groteskes Aussehen gaben. Obwohl sie imstande zu sein schienen, irdische Luft zu atmen, trugen sie bisweilen kleine Gaszylinder bei sich, aus denen sie sich gelegentlich erfrischten.
Vielleicht erklarten diese rein korperlichen Probleme ihr Sichfernhalten. Nur ein kleiner Teil der menschlichen Rasse war jemals wirklich einem leibhaftigen Overlord begegnet, und niemand konnte ahnen, wie viele von ihnen sich in Karellens Schiff befanden. Nicht mehr als funf waren jemals gleichzeitig zusammen gesehen worden, aber es konnten Hunderte, ja sogar Tausende von ihnen an Bord des gewaltigen Raumschiffes sein.
In mancher Hinsicht hatte das Erscheinen der Overlords mehr Fragen aufgeworfen als gelost. Ihr Ursprung war noch immer unbekannt, ihre Biologie ein Gegenstand endloser Erwagungen. Uber viele Dinge gaben sie freimutig Auskunft, aber in anderen Punkten konnte ihr Verhalten nur als geheimnisvoll bezeichnet werden. Im ganzen aber erregte das bei niemandem Ansto? au?er bei den Wissenschaftlern. Der Durchschnittsmensch war, obwohl er den Overlords vielleicht lieber nicht begegnete, ihnen doch dankbar fur das, was sie fur seine Welt getan hatten.
Im Vergleich mit der Lebensweise aller fruheren Zeitalter herrschte jetzt ein utopischer Zustand. Unwissenheit, Krankheit, Armut und Furcht gab es tatsachlich nicht mehr. Die Erinnerung an den Krieg verschwand in der Vergangenheit, wie ein Alptraum mit dem Morgendammern vergeht. Bald wurde die Kriegserinnerung au?erhalb der Erfahrung aller lebenden Menschen liegen.
Indem die Krafte der Menschheit in konstruktive Bahnen gelenkt wurden, war das Gesicht der Welt neu gestaltet worden. Es war, fast buchstablich, eine neue Welt. Die Stadte, die fur fruhere Generationen gut genug gewesen waren, hatte man umgebaut oder geraumt, und man benutzte sie als Museumsstucke, wenn sie keinen besseren Zweck mehr erfullten. Schon viele Stadte waren auf diese Weise geraumt worden, denn das ganze System von Industrie und Handel hatte sich vollig verandert. Die Produktion erfolgte zum gro?en Teil automatisch: Die Roboterfabriken erzeugten in so unendlichen Stromen Waren, da? alle gewohnlichen Bedarfsartikel sozusagen umsonst zur Verfugung standen. Die Menschen arbeiteten fur die Luxusdinge, die sie zu haben wunschten, oder sie arbeiteten uberhaupt nicht.
Es war eine Welt. Die alten Namen der alten Lander wurden noch benutzt, waren aber nichts weiter als bequeme postalische Einteilungen. Es gab auf der Erde niemanden, der nicht Englisch sprechen, der nicht lesen konnte, der nicht einen Fernsehapparat besa?, der nicht in vierundzwanzig Stunden auf die andere Seite des Planeten gelangen konnte.
Verbrechen kamen praktisch nicht mehr vor. Sie waren unnotig und unmoglich geworden. Wenn niemand irgend etwas entbehrt, hat es keinen Sinn, zu stehlen. Uberdies wu?ten alle etwaigen Verbrecher, da? sie der Wachsamkeit der Overlords nicht entgehen konnten. In den fruheren Tagen ihrer Herrschaft hatten diese zum Schutz von Gesetz und Ordnung so wirksam eingegriffen, da? diese Lehre nie vergessen worden war.
Obwohl Verbrechen aus Leidenschaft nicht ganz ausgestorben waren, horte man nur selten von ihnen. Jetzt, nach der Beseitigung so vieler psychologischer Probleme, war die Menschheit viel gesunder und weniger unvernunftig.
Eine der bemerkenswertesten Veranderungen war eine Verlangsamung des wahnsinnigen Tempos, das fur das zwanzigste Jahrhundert so charakteristisch gewesen war. Das Leben lief jetzt mit mehr Mu?e ab als seit