abgenommen werden: Wenn ihre letzte Zusammenkunft zu Ende ging, wurde Stormgren Karellens Gesicht sehen.
Vorausgesetzt, da? Karellen ein Gesicht hatte.
Die Nervositat, die Stormgren zuerst empfunden hatte, war langst verflogen. Karellen bestritt fast die ganze Unterhaltung, wobei er die verwickelten Satze baute, deren er sich so gern bediente. Fruher war dies Stormgren als die wunderbarste und sicherlich die unerwartetste aller Gaben Karellens erschienen. Jetzt kam es ihm nicht mehr ganz so wunderbar vor, denn er wu?te, da? es wie die meisten Fahigkeiten des Oberkontrolleurs das Ergebnis einer rein intellektuellen Kraft und nicht einer besonderen Begabung war.
Karellen hatte Zeit fur literarische Komposition, wenn er seine Gedanken zum Tempo der menschlichen Rede verlangsamte.
„Sie oder Ihr Nachfolger brauchen sich keine uberma?igen Sorgen wegen der Freiheitsliga zu machen, selbst wenn sie sich von ihrer jetzigen Mutlosigkeit erholt hat. Sie hat sich im vergangenen Monat sehr ruhig verhalten, und obwohl sie wieder aufleben durfte, wird sie in den nachsten Jahren keine Gefahr sein. In Wirk lichkeit ist die Liga, da es immer wertvoll ist, zu wissen, was die Gegner tun, eine sehr nutzliche Einrichtung. Sollte sie je in finanzielle Schwierigkeiten kommen, wurde ich sie vielleicht sogar unterstutzen.“
Stormgren hatte oft schwer unterscheiden konnen, ob Karellen scherzte oder nicht. Sein Gesicht blieb gleichmutig, und er horte weiter zu.
„Sehr bald wird die Liga wieder einen ihrer Einwande verlieren. Es ist sehr viel, meist etwas kindische Kritik an der besonderen Stellung geubt worden, die Sie in den letzten Jahren eingenommen haben. Ich fand diese Zusammenarbeit in den Anfangszeiten meiner Verwaltung sehr wertvoll, aber jetzt, da sich die Erde in den von mir geplanten Linien bewegt, kann dies aufhoren. In Zukunft werden alle meine Verhandlungen mit der Erde indirekt sein, und das Amt des Generalsekretars kann einen Teil seiner ursprunglichen Bedeutung zuruckgewinnen.
In den nachsten funfzig Jahren wird es viele Krisen geben, aber sie werden vorubergehen. Der Zukunftsplan ist deutlich genug, und eines Tages werden all diese Schwierigkeiten vergessen sein, selbst bei einer Rasse, die ein so langes Gedachtnis hat wie die Ihre.“
Die letzten Worte wurden mit so seltsamem Nachdruck gesprochen, da? Stormgren wie zu Eis gefror. Er war uberzeugt, da? Karellen niemals zufallige Bemerkungen machte; selbst seine Indiskretionen waren bis in die au?ersten Dezimalstellen berechnet. Aber jetzt war keine Zeit, Fragen zu stellen, die bestimmt nicht beantwortet werden wurden, denn schon hatte der Oberkontrolleur das Thema wieder gewechselt.
„Sie haben mich oft nach unsern langfristigen Planen gefragt“, fuhr er fort. „Die Grundung des Weltstaates ist naturlich nur der erste Schritt. Sie werden seine Errichtung noch erleben, aber die Veranderung wird so unmerklich sein, da? wenige es wahrnehmen werden, wenn er kommt. Danach wird es eine Periode langsamer Festigung geben, bis Ihre Rasse auf uns eingestellt ist. Und dann wird der Tag kommen, den wir versprochen haben. Es tut mir leid, da? Sie dann nicht dabei sein werden.“
Stormgrens Augen waren geoffnet, aber sein Blick ging weit uber die dunkle Wand des Bildschirms hinaus. Er blickte in die Zukunft und stellte sich den Tag vor, den er nie erleben wurde:
Wenn die gro?en Schiffe der Overlords endlich auf die Erde herunterkamen und sich der wartenden Welt offneten.
„An jenem Tage“, fuhr Karellen fort, „wird die menschliche Rasse etwas erleben, was man nur eine psychologische Unterbrechung nennen kann.
Aber es wird kein dauernder Schaden angerichtet werden: Die Menschen jener Zeit werden stabiler sein als ihre Gro?vater. Wir werden immer ein Teil ihres Lebens gewesen sein, und wenn sie uns begegnen, werden wir ihnen nicht so. sonderbar, erscheinen, wie wir Ihnen erscheinen wurden.“
Stormgren hatte Karellen nie in so nachdenklicher Stimmung getroffen, aber es uberraschte ihn nicht. Er glaubte nicht, jemals mehr als einige Facetten der Personlichkeit des Oberkontrolleurs gesehen zu haben: Der wirkliche Karellen war unbekannt, und vielleicht konnten menschliche Wesen ihn nicht kennen. Und wieder einmal hatte Stormgren das Gefuhl, da? das wirkliche Interesse des Oberkontrolleurs anderswo lag, und da? er die Erde nur mit einem Bruchteil seines Geistes regierte, so muhelos, wie ein Meister des dreidimensionalen Schachs eine einfache Schachpartie spielte.
„Und dann?“ fragte Stormgren leise.
„Dann konnen wir unsere wirkliche Arbeit beginnen.“
„Ich habe mich oft gefragt, worin diese Arbeit bestehen konnte. Unsere Welt in Ordnung zu bringen und die menschliche Rasse zu zivilisieren, ist nur ein Mittel. Sie mussen aber ein Ziel haben. Werden wir jemals imstande sein, in den Weltraum hinauszukommen und Ihr Universum zu sehen — vielleicht sogar Ihnen bei Ihren Aufgaben zu helfen?“
„Sie konnen es so ausdrucken“, sagte Karellen, und jetzt hatte seine Stimme einen deutlichen, jedoch unerklarlichen Ton von Traurigkeit, der Stormgren seltsam verwirrte.
„Aber wenn Ihr Experiment mit dem Menschen nun doch fehlschlagt? Wir haben solche Dinge in unsern eigenen Bemuhungen um primitive menschliche Rassen erlebt. Sicherlich haben Sie auch Fehlschlage gehabt.“
„Ja“, sagte Karellen so leise, da? Stormgren ihn kaum horen konnte. „Wir haben unsere Fehlschlage erlebt!“
„Und was tun Sie dann?“
„Wir warten — und versuchen es wieder.“
Eine Pause entstand, die etwa funf Sekunden wahrte. Als Karellen wieder sprach, waren seine Worte so unerwartet, da? Stormgren einen Augenblick nicht reagierte.
„Leben Sie wohl, Rikki!“
Karellen hatte ihn uberlistet. Wahrscheinlich war es schon zu spat. Stormgrens Besturzung wahrte nur einen Augenblick. Dann zog er mit einer einzigen schnellen, gut geubten Bewegung die Taschenlampe heraus und pre?te sie gegen die Glasscheibe.
Die Tannen reichten fast bis an den Rand des Sees und lie?en an seinem Ufer nur einen schmalen, wenige Meter breiten Grasstreifen frei. Jeden Abend ging Stormgren, wenn es warm genug war, trotz seiner neunzig Jahre auf diesem Streifen bis zum Landungssteg, um die Sonne jenseits des Sees untergehen zu sehen, und kehrte dann zum Haus zuruck, bevor der kuhle Nachtwind vom Wald heruberwehte. Diese einfache Gewohnheit befriedigte ihn sehr, und er wurde sie fortsetzen, so lange er die Kraft dazu hatte.
Fern uber dem See naherte sich irgend etwas in niedrigem und schnellem Flug von Westen her. Flugzeuge waren in dieser Gegend ungewohnlich, wenn man die transpolaren Linien nicht rechnete, deren Maschinen bei Tag und Nacht stundlich in der Hohe vorbeikamen. Aber man bemerkte sie nie, abgesehen von einem gelegentlichen Dunststreifen im Blau der Stratosphare. Dieses Flugzeug war ein kleiner Hubschrauber, der mit unverkennbarer Zielsicherheit auf ihn zukam. Stormgren blickte den Strand entlang und sah, da? es dort keine Fluchtmoglichkeit gab. Dann zuckte er die Schultern und setzte sich auf die holzerne Bank am Kopf des Landungsstegs.
Der Reporter war so ehrerbietig, da? es Stormgren uberraschte. Er hatte fast vergessen, da? er nicht nur ein alterer Staatsmann war, sondern au?erhalb seines eigenen Landes fast eine sagenhafte Gestalt.
„Herr Stormgren“, begann der ungebetene Gast, „es tut mir sehr leid, Sie belastigen zu mussen, aber ich mochte fragen, ob Sie irgend etwas uber die Dinge au?ern konnten, die wir uber die Overlords gehort haben.“
Stormgren runzelte die Stirn ein wenig. Nach all diesen Jahren teilte er noch immer Karellens Abneigung gegen dieses Wort. „Ich glaube nicht“, sagte er, „da? ich dem, was anderswo geschrieben wurde, viel hinzufugen kann.“
Der Reporter beobachtete ihn mit seltsamer Eindringlichkeit. „Ich dachte, Sie konnten es. Eine ziemlich merkwurdige Geschichte ist uns soeben bekanntgeworden. Es scheint, da? vor fast drei?ig Jahren einer der Ingenieure der Wissenschaftlichen Abteilung ein bemerkenswertes Gerat fur Sie herstellte. Wir fragten uns, ob Sie uns etwas daruber sagen konnten.“
Einen Augenblick schwieg Stormgren, wahrend sein Geist in die Vergangenheit zuruckwanderte. Er war nicht uberrascht, da? das Geheimnis entdeckt worden war. Uberraschend war nur, da? es so lange bewahrt werden konnte.
Er erhob sich und begann den Steg zum Ufer zuruckzugehen. Der Reporter folgte ihm im Abstand von einigen Schritten.
„Die Geschichte“, sagte Stormgren, „enthalt etwas Wahres. Bei meinem letzten Besuch in Karellens Schiff