Im Schein des Feuerzeugs — George liebte solche altmodischen Dinger — konnte er jetzt seinen Gefahrten erkennen, einen auffallend hubschen jungen Neger, dessen Namen man George genannt, den er aber sofort vergessen hatte, ebenso wie die Namen der zwanzig andern vollig fremden Gaste. Dieser junge Mann jedoch kam ihm irgendwie bekannt vor, und plotzlich kam George darauf.

„Ich glaube, wir haben uns noch nicht wirklich kennengelernt“, sagte er, „aber sind Sie nicht Ruperts neuer Schwager?“

„Allerdings, ich bin Jan Rodricks. Jeder sagt, da? Maja und ich uns sehr ahnlich sehen.“

George fragte sich, ob er Jan wegen seines neuen Verwandten bedauern solle. Er beschlo? jedoch, es den armen Jungen allein herausfinden zu lassen; schlie?lich war es ja moglich, da? Rupert diesmal se?haft bleiben wurde. „Ich bin George Greggson. Sie sind zum erstenmal auf einer von Ruperts beruhmten Gesellschaften?“

„Ja. Man lernt sicherlich auf diese Art eine Menge neue Menschen kennen.“

„Und nicht nur Menschen“, fugte George hinzu. „Ich hatte hier zum erstenmal Gelegenheit, einem Overlord gesellschaftlich zu begegnen.“

Der andere zogerte einen Augenblick, ehe er antwortete, und George fragte sich, welche empfindliche Stelle er getroffen habe. Aber die Antwort verriet nichts.

„Ich hatte auch noch keinen gesehen, au?er naturlich im Fernsehen.“

Hier erlahmte die Unterhaltung, und nach einem Augenblick begriff George, da? Jan allein sein wollte. Es wurde auch kalt, und so verabschiedete er sich und begab sich wieder zur Gesellschaft.

Der Dschungel war jetzt still. Als Jan sich gegen die gewolbte Wand der Klimaanlage lehnte, konnte er kein Gerausch weiter horen, als das leise Raunen des Hauses, das durch seine mechanischen Lungen atmete. Er fuhlte sich sehr einsam, was er sein wollte. Er fuhlte sich aber auch sehr enttauscht, und das war etwas, wonach er durchaus kein Verlangen hatte.

4

Kein Utopien kann irgend jemanden auf die Dauer befriedigen. Sobald ihre materielle Lage sich bessert, steigern die Menschen ihre Anspruche und werden unzufrieden mit den Machtbefugnissen und Besitztumern, an die sie fruher in ihren kuhnsten Traumen nicht einmal zu denken gewagt hatten. Und selbst wenn die Au?enwelt alles gegeben hat, was sie vermag, so bleibt immer noch das Suchen des Geistes und die Sehnsucht des Herzens.

Obwohl Jan Rodricks selten sein Gluck zu schatzen wu?te, ware er in einem fruheren Zeitalter noch unzufriedener gewesen. Vor hundert Jahren ware seine Farbe ein furchtbarer, vielleicht sogar erdruckender Nachteil gewesen. Heute bedeutete sie nichts. Wenn die Neger zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts ein gewisses Gefuhl der Uberlegenheit gehabt hatten, so war dieses bereits vergangen. Das bequeme Wort „Nigger“ war in hoflicher Gesellschaft nicht mehr tabu, sondern wurde von allen ohne Verlegenheit be nutzt. Es hatte keinen anderen Gefuhlsinhalt als Republikaner oder Methodist, Konservativer oder Liberaler.

Jans Vater war ein bezaubernder, aber etwas schwachlicher Schotte gewesen, der sich als Berufsmagier einen bedeutenden Namen gemacht hatte.

Sein Tod im fruhen Alter von funfundvierzig Jahren war durch uberma?igen Genu? des beruhmtesten Erzeugnisses seines Landes verursacht worden. Obwohl Jan seinen Vater nie betrunken gesehen hatte, war er nicht uberzeugt, ihn jemals nuchtern gesehen zu haben.

Frau Rodricks, die noch sehr lebendig war, lehrte an der Universitat Edinburgh Hohere Wahrscheinlichkeitstheorie. Es war typisch fur die au?erordentliche Beweglichkeit der Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, da? Frau Rodricks, die kohlschwarz war, in Schottland geboren worden war, wahrend ihr aus seinem Vaterland ausgewanderter blonder Mann fast sein ganzes Leben auf Haiti verbracht hatte. Maja und Jan hatten nie ein richtiges Zuhause gehabt, sondern waren zwischen den Familien ihrer Eltern wie zwei kleine Federballe hin- und hergeflogen. Dieser Zustand war spa?ig gewesen, hatte aber nicht dazu beigetragen, die Unbestandigkeit auszumerzen, die sie beide von ihrem Vater geerbt hatten.

Mit siebenundzwanzig Jahren hatte Jan noch immer mehrere Studienjahre vor sich, ehe er ernsthaft uber seine Laufbahn nachzudenken brauchte. Er hatte ohne jede Schwierigkeit sein Abschlu?examen gemacht, und zwar auf Grund eines Studienplanes, der hundert Jahre vorher sehr sonderbar erschienen ware. Seine Hauptfacher waren Mathematik und Physik gewesen, aber als Nebenfacher hatte er Philosophie und Musik gewahlt. Selbst nach den hohen Anforderungen der Zeit war er ein erstklassiger Amateurpianist.

In drei Jahren wurde er seinen Doktor der Physik machen, mit Astronomie als zweitem Fach. Das wurde sehr harte Arbeit erfordern, aber Jan war damit ganz zufrieden. Er studierte an der vielleicht am schonsten gelegenen Universitat der Welt: an der Universitat Kapstadt am Fu? des Tafelberges.

Er hatte keine materiellen Sorgen, und doch war er unzufrieden und sah keinen Ausweg aus seiner Lage. Um alles noch schlimmer zu machen, hatte Majas eigenes Gluck, obwohl er es ihr nicht im mindesten neidete, die Hauptursache seiner eigenen Note hervorgehoben.

Denn Jan litt noch immer an der romantischen Illusion, der Ursache von so viel Elend und so viel Poesie, da? jeder Mensch nur eine wirkliche Liebe in seinem Leben hat. In ungewohnlich spatem Alter hatte er sein Herz zum ersten Male verloren, an eine Dame, die mehr wegen ihrer Schonheit als wegen ihrer Bestandigkeit bekannt war. Rosita Tsien behauptete, vollig wahrheitsgema?, das Blut der Mandschu-Kaiser in ihren Adern zu haben. Sie hatte noch immer viele Untertanen, darunter den gro?ten Teil der Wissenschaftlichen Fakultat in Kapstadt. Jan war von ihrer zarten, blumenhaften Schonheit gefangengenommen worden, und die Angelegenheit war weit genug vorgeschritten, um ihre Beendigung um so bitterer zu machen. Er konnte sich nicht denken, was schiefgegangen war.

Er wurde naturlich daruber hinwegkommen. Andere Manner hatten ahnliche Katastrophen uberlebt, ohne nicht wiedergutzumachenden Schaden zu nehmen, und hatten sogar einen Punkt erreicht, an dem sie sagen konnten: „Ich bin uberzeugt, ich hatte es bei einer solchen Frau nie wirklich ernst meinen konnen.“ Aber eine solche Einstellung lag noch in ferner Zukunft, und im Augenblick stand Jan mit dem Leben auf ganz schlechtem Fu?.

Sein anderer Kummer war weniger leicht zu heilen, denn er betraf die Einengung seines eigenen Ehrgeizes durch die Overlords. Jan war ein Romantiker, nicht nur im Herzen, sondern mit dem Verstand. Gleich so vielen andern jungen Mannern hatte er, seit die Eroberung der Luft gesichert war, seine Traume und Phantasien die unerforschlichen Ozeane des Weltraums durchschweifen lassen.

Vor hundert Jahren hatte der Mensch seinen Fu? auf die Leiter gesetzt, die ihn zu den Sternen fuhren konnte. Gerade in diesem Augenblick — konnte es ein Zufall sein? — war ihm die Tur zu den Planeten vor der Nase zugeschlagen worden. Die Overlords hatten nur wenige Verbote fur menschliche Betatigungen erlassen — das Verbot, Krieg zu fuhren, war vielleicht die gro?e Ausnahme — aber die Forschung auf dem Gebiet des Weltraumflugs hatte einfach aufgehort. Der Vorsprung, den die Overlords durch ihre Wissenschaft erlangt hatten, war zu gro?. Fur den Augenblick wenigstens hatte der Mensch den Mut verloren und sich daher anderen Tatigkeitsgebieten zugewendet. Es hatte keinen Sinn, Raketen zu entwickeln, wenn die Overlords unendlich uberlegene Fortbewegungsmittel hatten, die auf Prinzipien beruhten, uber die sie nirgends etwas verlauten lie?en.

Einige wenige hundert Menschen hatten den Mond besucht, um ein Mondobservatorium zu errichten. Sie waren als Passagiere in einem kleinen, von den Overlords geliehenen Schiff mit Raketenantrieb gereist. Es lag auf der Hand, da? man aus dem Studium dieses primitiven Gefahrts wenig lernen konnte, selbst wenn die Besitzer es vorbehaltlos den wi?begierigen irdischen Gelehrten uberlie?en.

Der Mensch war daher noch immer ein Gefangener auf seinem eigenen Planeten. Es war ein viel schonerer, aber viel kleinerer Planet als vor hundert Jahren. Als die Overlords Krieg, Hunger und Krankheit abschafften, hatten sie auch das Abenteuer abgeschafft.

Der aufgehende Mond begann den ostlichen Himmel mit einem blassen, milchigen Schein zu ubergie?en. Dort oben, im Bereich des Pluto, das wu?te Jan, war der Hauptstutzpunkt der Overlords. Obwohl die Versorgungsschiffe seit mehr als siebzig Jahren verkehrt haben mu?ten, war erst zu Jans Lebzeiten jede Verheimlichung fallengelassen worden, und sie waren in voller Sicht der Erde abgefahren. In dem zweihundertzolligen Teleskop konnte man die Schatten der gro?en Schiffe deutlich sehen, wenn die Morgen- oder

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