Einfalle und ihrer noch sonderbareren Freunde. Er hatte nicht die Absicht, Naomi oder Joy oder Elsa oder — wie hie? sie doch? — Denise vollig zu verlassen, aber jetzt war die Zeit fur etwas Bestandigeres gekommen. Er zweifelte nicht, da? Jean ihm zustimmen wurde, denn ihre Gefuhle waren von Anfang an ganz klar gewesen.

Hinter seinem Entschlu? stand noch ein anderer Umstand, uber den er sich nicht klar war. Das Erlebnis dieses Abends hatte seine Verachtung und seinen Skeptizismus in bezug auf Jeans eigentumliche Interessen geschwacht. Er wurde diese Tatsache nie zugeben, aber es war so, und damit war die letzte Schranke zwischen ihnen beseitigt.

Er sah Jean an, wie sie bla?, aber gefa?t im Liegesessel des Flugzeugs lehnte. Unter ihnen war Dunkelheit, uber ihnen Sterne. George hatte keine Vorstellung, wo sie sich befinden mochten, und es kummerte ihn auch nicht. Das war die Aufgabe des Roboters, der ihr Flugzeug nach Hause steuerte und, wie die Schalttafel anzeigte, in siebenundfunfzig Minuten mit ihnen landen wurde.

Jean erwiderte sein Lacheln und zog sanft ihre Hand aus der seinen. „La? mich nur mal den Blutkreislauf wiederherstellen“, bat sie, sich die Finger reibend. „Du mu?t mir glauben, wenn ich dir sage, da? ich mich jetzt wieder vollig wohl fuhle.“

„Was meinst du denn, was geschehen ist? Du erinnerst dich doch sicherlich an irgend etwas?“

„Nein — es ist eine vollige Leere. Ich horte Jan seine Frage stellen, und dann machtet ihr alle so viel Larm um mich. Es war bestimmt eine Art Trance. Schlie?lich.“

Sie hielt inne; dann beschlo? sie, George nicht zu sagen, da? ihr so etwas schon ofter geschehen war. Sie wu?te, wie er uber diese Dinge dachte, und wollte ihn nicht weiter aufregen und — vielleicht vollig abschrecken.

„Schlie?lich? Was meinst du?“ fragte George.

„Ach, nichts! Ich frage mich nur, was der Overlord bei der ganzen Sache gedacht haben mag. Wir haben ihm wahrscheinlich mehr Material geliefert, als er uberhaupt haben wollte.“

Jean erschauerte leicht, und ihre Augen verschleierten sich. „Ich habe Angst vor den Overlords, George. Oh, ich meine nicht, da? sie bose sind, oder sonst etwas Torichtes. Ich bin uberzeugt, da? sie es gut meinen und das tun, was nach ihrer Meinung das beste fur uns ist. Ich frage mich nur, was fur Plane sie in Wirklichkeit mit uns haben.“

George ruckte unbehaglich auf seinem Platz hin und her. „Das fragen sich die Menschen, seit die Overlords auf die Erde gekommen sind“, erwiderte er. „Sie werden es uns sagen, wenn wir reif dafur sind, und offen gestanden bin ich nicht neugierig. Au?erdem habe ich Wichtigeres zu bedenken.“ Er wandte sich zu Jean und ergriff ihre Hande. „Was meinst du, ob wir morgen zum Archiv gehen und einen Vertrag uber — sagen wir funf Jahre unterzeichnen?“

Jean sah ihn fest an und kam zu der Uberzeugung, da? ihr im ganzen gefiel, was sie sah. „Sagen wir uber zehn Jahre“, erwiderte sie.

Jan wartete seine Zeit ab. Er hatte keine Eile, und er wollte nachdenken. Es war fast, als scheue er sich, irgendwelche Prufungen vorzunehmen, damit die phantastische Hoffnung, die in seinen Geist eingedrungen war, nicht allzuschnell zerstort wurde. Solange er noch im Ungewissen war, konnte er wenigstens traumen.

Au?erdem, um uberhaupt etwas unternehmen zu konnen, mu?te er mit der Bibliothekarin des Observatoriums sprechen. Sie kannte ihn und seine Interessen aber zu gut und wurde sicherlich durch seine Bitte beunruhigt sein. Wahrscheinlich wurde es keinen Unterschied machen, aber Jan war entschlossen, nichts dem Zufall zu uberlassen. In einer Woche wurde die Gelegenheit besser sein. Er war ubervorsichtig, das wu?te er, aber das steigerte seinen schulerhaften Eifer. Jan furchtete auch die Lacherlichkeit genau so sehr wie irgend etwas, was die Overlords tun konnten, um seine Plane zu durchkreuzen. Falls er sich da auf ein torichtes Unternehmen einlie?, sollte niemand jemals etwas davon erfahren.

Er hatte einen triftigen Grund, nach London zu reisen. Die Vorbereitungen waren schon vor Wochen getroffen worden. Obwohl er zu jung war und noch nicht die genugenden Eigenschaften besa?, als Delegierter hinzugehen, war er doch einer der drei Studenten, die es fertiggebracht hatten, in die offizielle Gruppe aufgenommen zu werden, die zum Kongre? der Internationalen Astronomischen Union fuhr. Jetzt hatte er Ferien, und es ware straflich, die Gelegenheit ungenutzt zu lassen, da er London seit seiner Kindheit nicht besucht hatte. Er wu?te, da? sehr wenige der Dutzende von Schriften, die man der Internationalen Astronomischen Union vorlegen wurde, fur ihn das geringste Interesse hatten, selbst wenn er sie verstehen konnte. Wie ein Delegierter bei irgendeinem wissenschaftlichen Kongre? wurde er die Vortrage horen, die ihm wichtig erschienen, und wurde die ubrige Zeit damit verbringen, mit anderen Enthusiasten zu sprechen, oder wurde sich einfach London ansehen.

London hatte sich in den letzten funfzig Jahren ungeheuer verandert. Dort waren jetzt kaum zwei Millionen Menschen und hundertmal soviel Maschinen. Es war kein gro?er Hafen mehr, denn da jedes Land fast seinen ganzen Bedarf selbst erzeugte, hatte sich das ganze System des Welthandels verandert. Es gab einige Waren, die bestimmte Lander noch immer am besten herstellten, aber sie wurden auf dem Luftwege unmittelbar an ihren Bestimmungsort gebracht. Die Handelswege, die einstmals in den gro?en Hafen und spater auf den Flugplatzen zusammengelaufen waren, hatten sich schlie?lich zu einem verwickelten Spinnennetz erweitert, das die ganze Welt umfa?te und keine gro?eren Knotenpunkte hatte.

Aber einige Dinge hatten sich nicht verandert. Die City war noch immer ein Mittelpunkt fur Regierung, Kunst und Studium. In dieser Beziehung konnte keine Hauptstadt des Kontinents mit ihr wetteifern, nicht einmal Paris, so sehr es auch das Gegenteil behauptete. Ein Londoner aus dem vorigen Jahrhundert hatte sich noch immer — wenigstens im Zentrum der Stadt — ohne Schwierigkeiten zurechtfinden konnen. Neue Brucken fuhrten uber die Themse, aber an den alten Stellen. Die gro?en ha?lichen Bahnhofe waren verschwunden, in die Vororte verbannt. Aber das Parlamentsgebaude war unverandert. Nelsons Auge blickte noch immer auf Whitehall, die Sankt-Pauls- Kathedrale erhob sich noch immer auf Ludgate Hill, obwohl ihr jetzt hohere Bauten die Vorherrschaft streitig machten.

Und die Wache marschierte noch immer vor dem Buckingham-Palast auf und ab.

All diese Dinge, dachte Jan, konnten warten. Es war Ferienzeit, und er wohnte mit seinen beiden Studiengenossen in einem der Studentenhauser der Universitat. Bloomsbury hatte in den letzten hundert Jahren seinen Charakter ebenfalls nicht verandert; es war noch immer eine Insel von Hotels und Pensionshausern, obwohl sie sich nicht mehr so nahe zusammendrangten oder so endlose, gleichformige Reihen von ru?bedeckten Mauern bildeten.

Erst am zweiten Tag des Kongresses fand Jan seine Chance. Die Hauptschriften verlas man in dem gro?en Versammlungsraum des Wissenschaftszentrums, nicht weit von der Konzerthalle, die so viel dazu getan hatte, London zur Musikmetropole der Welt zu machen. Jan wollte den ersten Vortrag dieses Tages horen, der, wie das Gerucht ging, die gangige Theorie von der Bildung der Planeten vollig zerstoren sollte.

Vielleicht tat er das wirklich, aber Jan war kaum kluger, als er nach der Pause ging. Er eilte hinunter und sah sich auf dem Plan an, wohin er sich begeben mu?te.

Ein humorvoller Beamter hatte die Koniglich Astronomische Gesellschaft im obersten Stock des Gebaudes untergebracht, eine Ma?nahme, die die Mitglieder des Rates voll zu schatzen wu?ten, da sie ihnen einen prachtvollen Blick auf die Themse und den ganzen nordlichen Teil der Stadt sicherte. Hier schien niemand zu sein. Jan aber, der seine Mitgliedskarte wie einen Pa? bereit hielt, falls man ihn anhalten sollte, hatte keine Schwierigkeit, die Bibliothek zu finden.

Er brauchte fast eine Stunde, um das zu finden, was er sehen wollte, und um zu begreifen, wie man die gro?en Sternenkataloge mit ihren Millionen von Eintragungen benutzte. Er zitterte ein wenig, als er sich dem Ende seiner Suche naherte, und war froh, da? niemand hier war, der seine Nervositat bemerkte.

Er stellte den Katalog in seine Reihe zuruck und sa? lange Zeit ganz still, wahrend er auf die Bucherwand vor sich blickte, ohne sie zu sehen. Dann ging er langsam auf die stillen Gange hinaus, vorbei am Sekretariat — dort war jetzt jemand, der emsig Bucherpakete offnete — und stieg die Treppen hinunter. Er vermied den Fahrstuhl, denn er wollte frei und unbeschrankt sein. Er hatte noch einen zweiten Vortrag horen wollen, aber das war jetzt nicht mehr wichtig.

Seine Gedanken wirbelten noch immer durcheinander, als er zur Kaimauer hinuberging und seine Blicke die Themse auf ihrem gemachlichen Lauf zum Meer folgen lie?. Fur einen Menschen, der wie er in orthodoxer Wissenschaft geschult war, hielt es schwer, sich mit dem Beweis zufriedenzugeben, der ihm jetzt in die Hande gefallen war. Seine Wahrheit wurde er nie feststellen konnen, aber die Wahrscheinlichkeit war uberwaltigend. Wahrend er langsam an der Flu?mauer entlangging, ordnete er die Tatsachen eine nach der anderen.

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