Erste Tatsache: Niemand auf Ruperts Gesellschaft hatte wissen konnen, da? er diese Frage stellen wurde. Er hatte es selbst nicht gewu?t. Es war eine plotzliche Reaktion auf die Umstande gewesen. Daher hatte niemand eine Antwort vorbereiten oder schon im Sinn haben konnen.
Zweite Tatsache: „NGS 549.672“ sagte wahrscheinlich keinem Menschen etwas, au?er einem Astronomen. Obwohl die gro?e Nationale Geographische Vermessung vor einem halben Jahrhundert vollendet worden war, wu?ten nur ein paar tausend Fachleu te von ihrer Existenz. Und wenn man irgendeine beliebige Zahl herausgriff, hatte niemand sagen konnen, wo sich dieser besondere Stern am Himmel befand.
Aber — und das war die dritte Tatsache, die er erst in diesem Augenblick entdeckt hatte — der als NGS 549.672 bekannte kleine und unbedeutende Stern stand genau am richtigen Platz. Er stand im Herzen des Sternbildes Carina, am Ende jener schimmernden Lichtspur, die Jan selbst vor wenigen Nachten gesehen hatte, und die vom Sonnensystem durch die Tiefen des Weltraums fuhrte.
Es konnte unmoglich ein zufalliges Zusammentreffen sein. Auf NGS 549.672 mu?te sich die Heimat der Overlords befinden. Aber diese Tatsache anzuerkennen, hie? Jans Vorstellung von wissenschaftlichen Methoden uber den Haufen werfen. Gut, mochten sie uber den Haufen geworfen werden! Er mu?te die Tatsache hinnehmen, da? Ruperts phantastisches Experiment eine bisher unbekannte Wissensquelle angezapft hatte.
Raschaverak? Das mochte die wahrscheinlichste Erklarung sein. Der Overlord hatte nicht im Kreis gesessen, aber das war weniger bedeutsam. Jan machte sich jedoch keine Gedanken uber die paraphysikalischen Vorgange; er interessierte sich nur dafur, die Ergebnisse zu benutzen.
Uber NGS 549.672 war sehr wenig bekannt. Nichts hatte diesen Stern von einer Million anderer unterschieden. Aber der Katalog gab seine Gro?e an, seine Koordinate und seine Spektralanalyse. Jan wurde einige Nachforschungen anstellen und etliche Berechnungen machen mussen, und dann wurde er, wenigstens annahernd, wissen, wie weit die Welt der Overlords von der Erde entfernt war.
Ein leises Lacheln glitt uber Jans Gesicht, als er sich von der Themse abwandte und zu der leuchtendwei?en Fassade des Zentrums der Wissenschaften zuruckkehrte. Wissen war Macht, und er war der einzige Mensch auf der Erde, der den Ursprung der Overlords kannte. Wie er dieses Wissen anwenden wurde, konnte er sich nicht vorstellen. Es wurde in seinem Geist sicher bewahrt liegen und auf den Augenblick des Schicksals warten.
6
Die menschliche Rasse sonnte sich weiterhin in dem langen, wolkenlosen Sommernachmittag des Friedens und Gedeihens. Wurde es je wieder einen Winter geben? Das war undenkbar. Das Zeitalter der Vernunft, vor zweieinhalb Jahrhunderten von den Fuhrern der Franzosischen Revolution vorzeitig begru?t, war jetzt endlich gekommen. Diesmal war es kein Irrtum.
Es gab naturlich Schattenseiten, aber sie wurden bereitwillig hingenommen. Man mu?te schon sehr alt sein, um zu erkennen, da? die Zeitungen, die der Fernschreiber in jedem Heim druckte, eigentlich ziemlich langweilig waren. Vorbei waren die Krisen, die einstmals Riesenschlagzeilen geliefert hatten. Es gab keine geheimnisvollen Morde, die die Polizei vor ein Ratsel stellten und in Millionen Herzen die moralische Entrustung weckten, die oft unterdruckter Neid war. Die Morde, die jetzt vorkamen, waren niemals geheimnisvoll. Man brauchte nur an einem Knopf zu drehen, und man konnte die Wiederholung des Verbrechens sehen. Da? es Apparate gab, die so etwas fertigbrachten, hatte zunachst unter vollig gesetzestreuen Menschen eine erhebliche Panik hervorgerufen. Dies hatten die Overlords, die die meisten, aber nicht alle Wunderlichkeiten der menschlichen Psychologie kannten, nicht vorausgesehen. Es mu?te genau erklart werden, da? kein solcher „Spion“ imstande ware, die Menschen zu belauern, und da? die sehr wenigen in menschlichen Handen befindlichen Apparate unter strenger Kontrolle sein wurden. Rupert Boyces Projektor zum Beispiel konnte nicht uber die Grenzen des Reservationsgebietes hinaus wirken, so da? er und Maja die einzigen Personen innerhalb seiner Reichweite waren.
Selbst die wenigen ernsthaften Verbrechen, die sich ereigneten, wurden in den Zeitungen und Nachrichten nicht besonders beachtet. Denn wohlerzogene Menschen tragen kein Verlangen danach, uber die gesellschaftlichen Entgleisungen anderer zu lesen.
Die durchschnittliche Arbeitswoche betrug jetzt zwanzig Stunden, aber diese zwanzig Stunden waren keine leichte Sache. Es gab nur noch wenige Arbeiten rein mechanischer Art. Die Gehirne der Menschen waren zu wertvoll, um sie fur Aufgaben zu verschwenden, die einige tausend Transistoren, etliche photoelektri sche Zellen und ein Kubikmeter gedruckter Schaltungen bewaltigen konnten. Es gab Fabriken, die wochenlang arbeiteten, ohne von einem einzigen menschlichen Wesen besucht zu werden. Menschen wurden gebraucht, um Storungen zu beseitigen, um Entscheidungen zu treffen, um neue Unternehmungen zu planen. Das ubrige besorgten die Roboter.
So viel Freizeit hatte noch vor hundert Jahren ein furchtbares Problem bedeutet. Die Erziehung hatte die meisten dieser Schwierigkeiten beseitigt, denn ein gutausgerustetes Gehirn ist gegen Langeweile gesichert. Das allgemeine kulturelle Niveau ware fruher phantastisch erschienen. Es gab keine Beweise dafur, da? die Intelligenz der menschlichen Rasse sich verbessert hatte, aber zum erstenmal war einem jeden die Moglichkeit gegeben, das Gehirn, das er besa?, voll auszunutzen.
Die meisten Menschen hatten zwei Wohnsitze, in weit auseinanderliegenden Teilen der Welt. Nachdem jetzt die Polargebiete erschlossen waren, begab sich ein betrachtlicher Teil der menschlichen Rasse alle sechs Monate von der Arktis zur Antarktis, auf der Suche nach dem langen Polarsommer, der keine Nachte kannte. Andere waren in die Wuste gegangen, auf die Berge oder sogar ins Meer. Es gab keinen Ort auf dem Planeten, wo Wissenschaft und Technik einem nicht ein behagliches Heim schaffen konnten, wenn man es nur lebhaft genug wunschte.
Einige der ausgefallensten Wohnsitze lieferten die wenigen Sensationsberichte in den Zeitungen. Auch in der bestgeordneten Gesellschaft wird es immer Unfalle geben. Vielleicht war es ein gutes Zeichen, da? die Leute es lohnend fanden, wegen eines hubschen Hauses nahe dem Gipfel des Mount Everest oder hinter dem Gischt der Viktoriafalle ihr Leben zu wagen und sich gelegentlich auch den Hals zu brechen. Infolgedessen mu?te immer irgend jemand von irgendwo gerettet werden. Es war eine Art Spiel geworden, fast ein planetarischer Sport.
Die Menschen konnten sich solchen Launen hingeben, weil sie Zeit und Geld hatten. Die Abschaffung der bewaffneten Streitkrafte hatte mit einem Schlage den tatsachlichen Reichtum der Welt fast verdoppelt, und die vermehrte Produktion hatte das ubrige getan. Infolgedessen konnte man den Lebensstandard der Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts schwer mit dem irgendwelcher ihrer Vorganger vergleichen. Alles war so billig, da? man die Din ge, die man zum Leben brauchte, als eine Dienstleistung des Staates umsonst bekam, so wie fruher Stra?en, Wasser, Stra?enbeleuchtung und Kanalisation geliefert worden waren. Ein Mensch konnte reisen, wohin er wollte, essen, was er mochte — ohne irgendwie Geld dafur zu zahlen. Er hatte dieses Recht dadurch erworben, da? er ein produktives Mitglied der Gemeinschaft war.
Es gab naturlich einige Drohnen, aber die Anzahl der Menschen, die einen genugend starken Willen haben, um sich einem Leben volliger Tragheit hinzugeben, ist viel kleiner, als im allgemeinen angenommen wird. Die Erhaltung solcher Schmarotzer war eine erheblich geringere Belastung als die Heere der Fahrkartenkontrolleure, der Verkaufer, der Bankangestellten, der Makler und so weiter zu versorgen, deren Hauptaufgabe, genau betrachtet, darin bestand, Summen von einem Buch ins andere zu ubertragen.
Fast ein Viertel der Gesamttatigkeit der menschlichen Rasse wurde, wie berechnet worden war, jetzt fur verschiedene Sportarten aufgewandt, die von so se?haften Beschaftigungen wie Schach bis zu so halsbrecherischen Unternehmungen wie Schilaufen in den Bergen reichten. Eine unerwartete Folge davon war das Aussterben des berufsma?igen Sportsmannes. Es gab zu viele glanzende Amateure, und die veranderten wirtschaftlichen Bedingungen lie?en das fruhere System veraltet erscheinen.
Nachst dem Sport war die Unterhaltung in allen ihren Zweigen die gro?te Industrie. Langer als hundert Jahre hatte es Menschen gegeben, die Hollywood fur den Mittelpunkt der Welt hielten. Sie konnten diese Behauptung jetzt besser begrunden als je zuvor, aber man konnte ruhig sagen, da? ihnen die meisten Filme des Jahres 2050 im Jahre 1950 geistig viel zu hoch erschienen waren. Es hatte einen Fortschritt gegeben: Die Eintrittskasse war nicht mehr entscheidend fur die Produktion.
Aber bei all den Zerstreuungen und Ablenkungen auf einem Planeten, der auf dem besten Wege schien, ein einziger riesiger Spielplatz zu werden, gab es immer noch einige Menschen, die Zeit fanden, eine alte und niemals