Abendsonne sie meilenlang uber die Ebenen des Mondes warf. Da alles, was die Overlords taten, von ungeheurem Interesse fur die Menschheit war, beobachtete man ihr Kommen und Gehen sorgfaltig, und die Art ihres Verhaltens — wenn auch nicht die Ursache — begann deutlich zu werden. Einer dieser gro?en Schatten war vor wenigen Stunden verschwunden. Das bedeutete, wie Jan wu?te, da? irgendwo in der Nahe des Mondes ein Overlord-Schiff im Raum lag und irgendwelche Vorkehrungen traf, die notig waren, bevor es zu seiner fernen, unbekannten Heimat reisen konnte.

Er hatte nie eines dieser heimkehrenden Schiffe den Sternen zusteuern sehen. Wenn die Bedingungen gut waren, konnte man es in der halben Welt sehen, aber Jan hatte immer Pech gehabt. Man konnte nie genau sagen, wann die Abreise erfolgte, und die Overlords kundigten sie nicht an. Er beschlo?, noch zehn Minuten zu warten und dann zu der Gesellschaft zuruckzugehen.

Was war das? Nur ein Meteor, der durch den Eridanus abwarts glitt. Jan entspannte sich, bemerkte, da? seine Zigarette ausgegangen war, und zundete sich eine neue an.

Er hatte sie halb zu Ende geraucht, als eine halbe Million Kilometer entfernt der Start erfolgte. Aus dem Herzen des sich verbreiternden Mondscheins begann ein winziger Funke zum Zenit emporzusteigen. Zuerst war seine Bewegung so langsam, da? sie kaum wahrzunehmen war, aber Sekunde fur Sekunde nahm sie an Schnelligkeit zu. Wahrend der Funke hoherstieg, wuchs seine Leuchtkraft, dann plotzlich entschwand er den Blicken. Einen Augenblick spater erschien er wieder und nahm an Schnelligkeit und Helle zu. In einem seltsamen Rhythmus zu- und abnehmend, stieg er noch schneller am Himmel empor und zog einen ununterbrochenen Lichtstreifen zwischen den Sternen. Auch wenn man seine wirkliche Entfernung nicht kannte, war der Eindruck seiner Schnelligkeit atemberaubend; wenn man wu?te, da? das abreisende Schiff irgendwo jenseits des Mondes war, schwindelte es dem Geist angesichts der Schnelligkeit und Energie, die sich hier offenbarten.

Es war ein unwichtiges Nebenerzeugnis dieser Energien, was er jetzt sah, das wu?te Jan. Das Schiff selbst war unsichtbar, diesem emporsteigenden Licht schon weit voraus. Wie ein hochfliegendes Dusenflugzeug einen Dampfschweif hinterlassen kann, so hinterlie? das abreisende Schiff der Overlords seine eigene, besondere Spur. Die allgemein angenommene Theorie, an deren Richtigkeit man kaum zweifeln konnte, lief darauf hinaus, da? die ungeheure Beschleunigung der Sternenfahrt eine ortliche Verzerrung des Raumes verursachte. Was Jan sah, war, wie er wu?te, nichts weniger als das Licht ferner Sterne, das in seinem Auge gesammelt wurde, sobald die Bedingungen langs der Bahn des Schiffes gunstig waren. Es war ein sichtbarer Beweis fur die Relativitat, die Beugung des Lichts in Anwesenheit eines ungeheuren Gravitationsfeldes.

Jetzt schien sich das Ende der riesigen, bleistiftdunnen Linse langsamer zu bewegen, aber das lag nur an der Perspektive. In Wirklichkeit steigerte das Schiff seine Schnelligkeit immer noch, sein Weg wurde nur in der Verkurzung gezeichnet, wahrend es sich selbst zu den Sternen hinausschleuderte. Viele Teleskope wurden seine Bahn begleiten, das wu?te Jan, da die Wissenschaftler der Erde die Geheimnisse der Fahrt zu entdecken versuchten. Dutzende von Schriften waren bereits uber dieses Thema veroffentlicht worden; ohne Zweifel hatten die Overlords sie mit gro?tem Interesse gelesen.

Das gespenstische Licht begann zu verschwinden. Jetzt war es ein erloschender Strich, auf das Herz des Sternbildes Carina gerichtet, wie Jan vorausgesehen hatte. Die Heimat der Overlords mu?te irgendwo dort drau?en sein, aber das Schiff konnte irgendeinen der Tausende von Sternen in jenem Teil des Weltraumes ansteuern. Seine Entfernung vom Sonnensystem konnte man nicht feststellen.

Jetzt war alles vorbei. Obwohl das Schiff seine Reise kaum angetreten hatte, war nichts mehr da, was menschliche Augen sehen konnten. Aber in Jans Geist brannte noch die Erinnerung an den leuchtenden Pfad, ein Signal, das nie erloschen wurde, so lange er Ehrgeiz und Streben besa?.

Die Gesellschaft war vorbei.

Fast alle Gaste waren zum Himmel emporgestiegen und zerstreuten sich jetzt nach den vier Himmelsrichtungen. Es gab jedoch einige Ausnahmen.

Eine dieser Ausnahmen war Norman Dodsworth, der Dichter, der unangenehm betrunken, aber vernunftig genug gewesen war, ohnmachtig zu werden, bevor sich irgendeine Gewaltanwendung als notwendig erwies. Er war, nicht sehr sanft, auf den Rasen gelegt worden, wo, wie man hoffte, eine Hyane ihm zu einem jahen Erwachen verhelfen wurde. Fur alle praktischen Zwecke konnte er daher als abwesend betrachtet werden.

Die andern noch verbliebenen Gaste waren George und Jean. Dies war durchaus nicht nach Georges Sinn: Er wollte nach Hause. Er mi?billigte die Freundschaft zwischen Rupert und Jean, wenn auch nicht aus den ublichen Grunden. George hielt sich voll Stolz fur einen praktischen Charakter mit gesundem Verstand und betrachtete das Interesse, das Jean und Rupert zueinanderzog, nicht nur als kindisch in diesem Zeitalter der Wissenschaft, sondern eher als ziemlich ungesund. Da? irgend jemand noch den geringsten Glauben an das Ubernormale haben sollte, erschien ihm ungewohnlich, und da? er Raschaverak hier getroffen, hatte sein Vertrauen in die Overlords erschuttert.

Es war jetzt unverkennbar, da? Rupert irgendeine Uberraschung geplant hatte, wahrscheinlich mit Jeans Billigung. George fand sich verdrie?lich damit ab, da? irgendein Unsinn kommen wurde.

„Ich habe alles mogliche versucht, bevor ich hierauf gekommen bin“, sagte Rupert stolz. „Das gro?e Problem ist, die Reibung zu vermindern, so da? man vollige Freiheit der Bewegung hat. Die altmodische Methode mit dem Tischrucken ist nicht schlecht, aber man hat sie jetzt seit Jahrhunderten benutzt, und ich war uberzeugt, da? die moderne Wissenschaft etwas Besseres finden konnte. Und hier ist das Ergebnis. Zieht eure Stuhle heran. Sind Sie ganz sicher, da? Sie nicht mitmachen mochten, Raschy?“

Der Overlord schien den Bruchteil einer Sekunde zu zogern. Dann schuttelte er den Kopf. Ob sie diese Gewohnheit auf der Erde gelernt hatten? fragte sich George.

„Nein, danke“, erwiderte er. „Ich mochte lieber zusehen. Ein andermal vielleicht.“

„Gut — Sie haben viel Zeit, spater Ihre Meinung zu andern.“

Ob wir viel Zeit haben? dachte George und sah finster auf seine Uhr.

Rupert hatte seine Freunde zu einem kleinen, aber massiven, vollig kreisrunden Tisch gefuhrt, der eine glatte Platte aus Kunststoff hatte. Diese Platte hob er ab, so da? man einen glitzernden See aneinandergelegter Kugellager sah. Der ziemlich hohe Tischrand hinderte sie am Herunterfallen, und George konnte sich unmoglich vorstellen, welchen Zweck sie haben sollten. Die Hunderte von reflektierten Lichtpunkten bildeten ein faszinierendes und hypnotisch wirkendes Muster, und er hatte das Gefuhl eines leichten Schwindels.

Als sie ihre Stuhle heranzogen, griff Rupert unter den Tisch und zog eine Scheibe von etwa zehn Zentimetern Durchmesser heraus, die er auf die Kugellager legte. „So“, sagte er. „Jetzt legt eure Finger auf diese Scheibe, und sie bewegt sich ohne jeden Widerstand.“

George sah die Vorrichtung mit tiefem Mi?trauen an. Er bemerkte, da? die Buchstaben des Alphabets in regelma?igen Abstanden, aber ohne besondere Anordnung, am Au?enrand des Tisches angebracht waren. Au?erdem waren die Zahlen Eins bis Neun wahllos zwischen den Buchstaben verstreut, und zwei mit „Ja“ und „Nein“ beschriebene Karten befanden sich an entgegengesetzten Seiten des Tisches.

„Mir kommt das wie Hokuspokus vor“, murmelte er. „Es wundert mich, da? in diesem Zeitalter jemand so etwas ernst nimmt.“ Er fuhlte sich etwas wohler, nachdem er diesen sanften Protest geau?ert hatte, der sich ebensosehr gegen Jean wie gegen Rupert richtete. Rupert gab nicht vor, mehr als ein gewisses wissenschaftliches Interesse fur diese Phanomene zu haben. Er war vorurteilslos, aber nicht leichtglaubig. Jean andererseits — nun, George machte sich zuweilen einige Sorgen um sie. Sie schien wirklich anzunehmen, da? hinter Gedankenubertragung und Hellsehen etwas steckte.

Erst als George seine Bemerkung gemacht hatte, wurde ihm klar, da? sie auch eine Kritik Raschaveraks einschlo?. Er sah sich nervos um, aber der Overlord schien unberuhrt. Was naturlich uberhaupt nichts bewies.

Alle hatten jetzt ihre Platze eingenommen. In Uhrzeigerrichtung sa?en Rupert, Maja, Jan, George und Benny Schonberger um den Tisch. Ruth Schonberger sa? au?erhalb des Kreises mit einem Notizbuch. Sie hatte augenscheinlich etwas dagegen, an dem Versuch teilzunehmen, was Benny zu einigen spottischen Bemerkungen uber Leute veranla?t hatte, die den Talmud noch ernst nahmen. Jedoch schien sie durchaus bereit zu sein, als Protokollfuhrerin mitzuwirken.

„Hort jetzt zu“, begann Rupert. „Skeptikern wie George wollen wir es ganz deutlich erklaren. Einerlei, ob es hier irgend etwas Ubernormales gibt oder nicht — es funktioniert! Ich personlich glaube, da? es eine rein mechanische Erklarung gibt. Wenn wir die Hande auf die Scheibe legen — auch wenn wir es zu vermeiden versuchen, ihre Bewegungen zu beeinflussen — beginnt uns das Unterbewu?tsein allerlei Streiche zu spielen. Ich habe unzahlige dieser Seancen analysiert, und ich habe nie Antworten bekommen, die nicht irgendeiner in der

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