Die Bibliothek endete in einem kleinen freien Raum, gerade gro? genug fur einen Tisch, zwei Stuhle und einige Kissen. Hier pflegte Rupert wahrscheinlich zu lesen. Auch jetzt las hier jemand, bei unnaturlich schwacher Beleuchtung.
Jean stie? ein leises Achzen aus und umklammerte Georges Hand. Ihr Verhalten war vielleicht entschuldbar. Es war etwas anderes, auf dem Fernsehschirm ein Bild zu sehen, als ihm in Wirklichkeit zu begegnen. George, der selten durch irgend etwas uberrascht werden konnte, zeigte sich sofort der Situation gewachsen.
„Ich hoffe, wir haben Sie nicht gestort, mein Herr“, sagte er hoflich. „Wir hatten keine Ahnung, da? jemand hier ist. Rupert hat uns nichts gesagt.“
Der Overlord legte das Buch nieder, sah sie prufend an und begann dann wieder zu lesen. Es war nichts Unhofliches in diesem Verhalten, da es sich hier um ein Wesen handelte, das gleichzeitig lesen, sprechen und wahrscheinlich noch mehrere andere Dinge tun konnte. Aber auf menschliche Beobachter wirkte dies nichtsdestoweniger beunruhigend schizophren.
„Mein Name ist Raschaverak“, sagte der Overlord liebenswurdig. „Ich furchte, ich bin nicht sehr gesellig, aber von Ruperts Bibliothek kann man sich schwer trennen.“
Jean brachte es fertig, ein nervoses Kichern zu unterdrucken.
Ihr unerwarteter Mitgast las, wie sie bemerkte, alle zwei Sekunden eine Seite. Sie zweifelte nicht daran, da? er jedes Wort in sich aufnahm, und sie fragte sich, ob er wohl mit jedem Auge ein Buch lesen konne. Und dann konnte er naturlich, dachte sie bei sich, noch die Blindenschrift lernen, so da? er die Finger auch noch zum Lesen benutzen konnte. Diese Vorstellung war zu komisch, um sich dabei aufzuhalten. Sie versuchte sie also zu unterdrucken, indem sie an der Unterhaltung teilnahm. Schlie?lich hatte man nicht jeden Tag Gelegenheit, mit einem der Herren der Erde zu sprechen.
George lie? sie plaudern, nachdem sie einmal damit angefangen hatte, und hoffte, da? sie nichts Taktloses sagen wurde. Ebenso wie Jean hatte er noch nie einen leibhaftigen Overlord gesehen. Obwohl diese gesellschaftlich mit Regierungsbeamten, Wissenschaftlern und andern zusammenkamen, die geschaftlich mit ihnen zu tun hatten, hatte er noch nie gehort, da? einer auf einer gewohnlichen Privatgesellschaft zugegen gewesen sei. Man konnte daraus den Schlu? ziehen, da? diese Gesellschaft nicht so privat war, wie sie erschien. Auch da? Rupert einen Apparat besa?, wie er zu der Ausrustung der Overlords gehorte, deutete daraufhin, und George begann sich zu fragen, was eigentlich hinter den Kulissen vorging. Er wurde Rupert ausfragen, wenn er ihn unter vier Augen sprechen konnte.
Da die Stuhle fur Raschaverak zu klein waren, sa? er auf dem Fu?boden, anscheinend ganz bequem, da er die nur einen Meter danebenliegenden Kissen unbeachtet gelassen hatte. Infolgedessen war sein Kopf nur zwei Meter uber dem Fu?boden, und George hatte eine einzigartige Gelegenheit, au?erirdische Biologie zu studieren. Da er unglucklicherweise auch uber irdische Biologie wenig wu?te, konnte er nicht viel Neues erfahren. Nur der sonderbare und keineswegs unangenehme Sauregeruch fiel ihm auf. Er fragte sich, wie wohl die Menschen fur die Overlords rochen, und hoffte das Beste.
Raschaverak hatte nichts eigentlich Menschliches an sich. George konnte verstehen, da? man die Overlords, wenn sie aus der Entfernung von unwissenden, erschrockenen Wilden gesehen worden waren, fur geflugelte Menschen halten konnte, wodurch das herkommliche Bild des Teufels entstanden war. Jedoch so in der Nahe schwand einiges von dieser Augentauschung. Die kleinen Horner — was fur einem Zweck mochten sie wohl dienen, fragte sich George — waren wie in der Beschreibung, aber der Korper war weder wie der eines Menschen noch wie der irgendeines Tieres, das die Erde je gekannt hatte. Die Overlords, die von einem vollig fremden Stammbaum kamen, waren weder Saugetiere, Insekten, noch Reptilien. Es war nicht einmal sicher, da? sie Wirbeltiere waren. Ihr harter au?erer Panzer konnte sehr wohl ihr einziges stutzendes Gerust sein.
Raschaveraks Flugel waren zusammengelegt, so da? George sie nicht deutlich sehen konnte, aber sein Schwanz, der wie ein Stuck gepanzertes Rohr aussah, war zierlich unter ihm zusammengeringelt. Das beruhmte Buschel war nicht so sehr eine Pfeilspitze als vielmehr ein gro?er, flacher Rhombus. Sein Zweck war, wie jetzt allgemein angenommen wurde, beim Flug Stabilitat zu geben, wie die Schwanzfedern eines Vogels. Aus derartigen mageren Tatsachen und Vermutungen hatten die Gelehrten den Schlu? gezogen, da? die Overlords aus einer Welt geringer Schwerkraft und sehr dichter Atmosphare kamen.
Plotzlich ertonte Ruperts Stimme aus einem verborgenen Lautsprecher: „Jean! George! Wo, zum Teufel, steckt ihr? Kommt herunter, und schlie?t euch der Gesellschaft an. Die Leute beginnen zu reden!“
„Vielleicht sollte ich auch lieber hinuntergehen“, sagte Raschaverak und stellte sein Buch in das Regal zuruck. Er tat das mit gro?er Leichtigkeit, ohne vom Boden aufzustehen, und George bemerkte zum erstenmal, da? er zwei gegenuberstehende Daumen hatte mit funf Fingern dazwischen. Ich mochte nicht gern nach einem auf Vierzehn beruhenden System rechnen, dachte George.
Als Raschaverak aufgestanden war, bot er ein eindrucksvolles Bild, und als er sich buckte, um nicht gegen die Decke zu sto?en, begriff man, da?, selbst wenn die Overlords sich gern unter menschliche Wesen mischen wollten, die praktischen Schwierigkeiten erheblich sein wurden.
Noch einige Fuhren mit Gasten waren in der letzten halben Stunde angekommen, und der Raum war jetzt ziemlich voll. Raschaveraks Kommen machte die Sache noch viel schlimmer, weil alle aus den Nebenzimmern herbeigeeilt kamen, um ihn zu sehen. Rupert war augenscheinlich entzuckt uber die Sensation. Jean und George waren viel weniger befriedigt, weil niemand ihnen irgend welche Beachtung schenkte. Uberhaupt konnten nur sehr wenige Leute sie sehen, da sie hinter dem Overlord standen.
„Kommen Sie hierher, Raschy, ich mochte Ihnen ein paar Leute vorstellen“, rief Rupert. „Setzen Sie sich auf diesen Diwan, dann brauchen Sie die Decke nicht anzukratzen!“
Raschaverak, der den Schwanz uber die Schulter gelegt hatte, bewegte sich durch den Raum wie ein Eisbrecher, der sich durch Packeis hindurcharbeitet. Als er sich neben Rupert niedergelassen hatte, schien das Zimmer sich wieder zu vergro?ern, und George stie? einen erleichterten Seufzer aus.
„Ich kam mir vor wie im Gefangnis, als er stand. Ich mochte wissen, wie Rupert zu ihm gekommen ist. Dies konnte eine interessante Gesellschaft werden.“
„Stell dir vor, da? Rupert ihn so auch in der Offentlichkeit anredet. Aber er schien es nicht ubelzunehmen. Es ist alles sehr sonderbar.“
„Ich wette, da? es ihm unangenehm war. Das Schlimme an Rupert ist, da? er sich gern hervortut und kein Taktgefuhl hat. Und das erinnert mich an einige der Fragen, die du gestellt hast.“
„Zum Beispiel?“
„Nun: ›Wie lange sind Sie schon hier? Wie kommen Sie mit Oberkontrolleur Karellen aus? Gefallt es Ihnen auf der Erde? ‹ Wirklich, Liebling, so kann man mit Overlords nicht sprechen.“
„Ich sehe nicht ein, warum nicht. Es wird Zeit, da? jemand es tut.“
Ehe ihre Unterhaltung scharf werden konnte, wurden sie von Schonbergers angesprochen, und sie trennten sich rasch. Die beiden Damen gingen fort, um uber Frau Boyce zu sprechen, die Manner entfernten sich nach einer andern Richtung und taten genau das gleiche, wenn auch von einem andern Standpunkt. Benny Schonberger, einer von Georges altesten Freunden, wu?te allerlei uber dieses Thema zu berichten.
„Um Himmels willen, sag es niemandem!“ bat er. „Ruth wei? es nicht, aber ich habe sie mit Rupert bekannt gemacht.“
„Ich finde“, bemerkte George neidisch, „da? sie viel zu gut fur Rupert ist. Aber es kann ja unmoglich lange dauern. Sie wird ihn bald satt bekommen.“ Dieser Gedanke schien ihn au?erordentlich zu erfreuen.
„Das glaube nur ja nicht! Sie ist nicht nur eine Schonheit, son dern eine wirklich nette Person. Es ist hochste Zeit, da? jemand sich Ruperts annimmt, und dafur ist sie gerade die richtige Frau.“
Rupert und Maja sa?en jetzt neben Raschaverak und empfingen ihre Gaste feierlich. Ruperts Gesellschaften hatten selten irgendeinen Brennpunkt, sondern bestanden gewohnlich aus einem halben Dutzend unabhangiger Gruppen, die sich fur ihre eigenen Angelegenheiten interessierten. Diesmal jedoch hatte die ganze Versammlung einen gemeinsamen Anziehungspunkt gefunden. George hatte Mitleid mit Maja. Dies hatte ihr Tag sein mussen, aber Raschaverak hatte sie teilweise in den Schatten gestellt.
„Hor mal“, sagte George, wahrend er ein Brotchen verspeiste, „wie, zum Teufel, hat Rupert einen Overlord erwischt? Ich habe noch nie so etwas gehort, aber er scheint es fur selbstverstandlich zu halten. Er hat es nicht einmal erwahnt, als er uns einlud.“
Benny lachte. „Eine seiner ublichen kleinen Uberraschungen. Du solltest besser ihn fragen. Aber es ist schlie?lich nicht das erstemal vorgekommen. Karellen war auf Gesellschaften im Wei?en Haus, im Buckingham-