unsere Annahme, da? irgend jemand hinter Karellen steht? Wenn nun alle Overlords, wie wir sie genannt haben, in diesen ihren Schiffen hier uber der Erde sind? Sie konnen vielleicht sonst nirgendwo hin und verbergen uns diese Tatsache.“
„Es ist eine geistreiche Theorie“, sagte Stormgren lachelnd, „aber sie steht im Widerspruch zu dem wenigen, was ich uber Karellens Hintergrunde wei? oder zu wissen meine.“
„Und wieviel ist das?“
Nun, er bezeichnet seine Stellung hier oft als etwas Zeitweiliges, das ihn hindert, seine wirkliche Arbeit fortzusetzen, die, wie ich vermute, irgendeine Art Mathematik ist. Einmal habe ich Actons Ausspruch zitiert, da? Macht korrumpiert und da? unbeschrankte Macht unbeschrankt korrumpiert. Ich wollte sehen, wie er sich dazu verhielt. Da stie? er sein abgrundiges Lachen aus und sagte: „Es besteht keine Gefahr, da? mir so etwas geschieht. Erstens einmal kann ich, je eher ich meine Arbeit hier beende, um so eher dorthin zuruckkehren, wo ich hingehore, eine ganze Menge Lichtjahre von hier. Und zweitens habe ich keine unumschrankte Macht, keineswegs. Ich bin einfach Oberkontrolleur.‹ Naturlich kann er mich irregefuhrt haben, dessen kann ich nie sicher sein.“
„Er ist unsterblich, nicht wahr?“
„Ja, nach unsern Ma?staben, obwohl es in der Zukunft irgend etwas gibt, was er zu furchten scheint. Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein mag. Und dies ist wirklich alles, was ich uber ihn wei?.“
„Es ist nicht sehr aufschlu?reich. Meine Theorie ist, da? seine kleine Flotte sich im Weltraum verirrt hat und nach einer neuen Heimat sucht. Wir sollen nicht wissen, wie wenig zahlreich er und seine Gefahrten sind. Vielleicht sind all diese andern Schiffe automatisch, und es ist niemand in ihnen. Sie sind nur eine imponierende Fassade!“
„Sie haben zu viele Zukunftsromane gelesen“, sagte Stormgren.
Van Ryberg lachte etwas verlegen. „Die Invasion aus dem Weltraum‹ ist nicht ganz so verlaufen wie erwartet, nicht wahr? Meine Theorie wurde wenigstens erklaren, warum Karellen sich nie zeigt. Wir sollen nicht erfahren, da? es sonst keine Overlords gibt.“
Stormgren schuttelte in belustigtem Widerspruch den Kopf. „Ihre Erklarung ist wie gewohnlich zu genial, um wahr zu sein. Obwohl wir ihr Vorhandensein nur mutma?en konnen, mu? eine gro?e Zivilisation hinter dem Oberkontrolleur stehen, und zwar eine, die schon seit sehr langer Zeit uber den Menschen Bescheid wei?. Karellen selbst mu? uns seit Jahrhunderten studiert haben. Denken Sie zum Beispiel an seine Kenntnis der englischen Sprache! Er hat mich gelehrt, wie man es mit dem richtigen Tonfall spricht.“
„Haben Sie jemals etwas entdeckt, was er nicht wei??“
„O ja, ziemlich haufig, aber nur Nebensachliches. Ich glaube, er hat ein geradezu vollkommenes Gedachtnis. Einige Dinge jedoch hat er sich nicht bemuht zu lernen. Zum Beispiel ist Englisch die einzige Sprache, die er beherrscht, obwohl er sich in den letzten Jahren eine ganze Menge Finnisch angeeignet hat, nur um mich zu necken. Und Finnisch lernt man nicht so im Handumdrehen. Er kann gro?e Absatze aus unserem Heldenepos Kalewala zitieren, wahrend ich zu meiner Schande gestehen mu?, da? ich nur ein paar Zeilen kann. Er kennt die Biographien aller lebenden Staatsmanner, und zuweilen sind mir die Quellen, die er benutzt hat, bekannt. Seine Kenntnisse der Geschichte und Wissenschaft scheinen vollstandig zu sein; Sie wissen, wieviel wir schon von ihm gelernt haben. Jedes einzelne Gebiet fur sich genommen, glaube ich nicht, da? seine geistigen Gaben au?erhalb der Reichweite menschlicher Leistungen liegen. Aber kein einzelner Mensch konnte all die Dinge zugleich tun, die er tut.“
„Das ist mehr oder weniger das, was ich auch schon festgestellt habe“, stimmte van Ryberg zu. „Wir konnen ewig um Karellen herumreden, aber schlie?lich kommen wir immer zu der gleichen Frage zuruck: Warum, zum Teufel, erscheint er nicht? Bis er es tut, werde ich weiterhin Theorien aufstellen, und die Freiheitsliga wird weiter Unruhe stiften.“ Er sah mit einem rebellischen Blick zur Decke hinauf. „Ich hoffe, Herr Oberkontrolleur, da? irgendein Reporter in einer dunklen Nacht mit einer Rakete zu Ihrem Schiff hinauffliegt und mit einer Kamera durch die Hintertur eindringt. Das ware eine Sache!“
Wenn Karellen zuhorte, gab er doch kein Zeichen. Aber das tat er naturlich nie.
Im ersten Jahr nach ihrer Ankunft hatten die Overlords den Gang des menschlichen Lebens weniger beeinflu?t, als man hatte erwarten konnen. Ihr Schatten war uberall, aber es war ein unaufdringlicher Schatten. Obwohl es wenige Gro?stadte auf der Erde gab, wo man nicht eines der Silberschiffe am Zenit glanzen sah, nahm man sie nach einer kleinen Weile als ebenso selbstverstandlich hin wie die Sonne, Mond oder Wolken. Die meisten Menschen waren sich wahrscheinlich nur dunkel bewu?t, da? das standige Steigen ihres Lebensstandards den Overlords zu verdanken war. Wenn sie einmal daruber nachdachten, was selten geschah, erkannten sie, da? diese schweigenden Schiffe — zum erstenmal in der Geschichte — der ganzen Welt Frieden gebracht hatten, und sie waren gebuhrend dankbar dafur.
Aber dies waren unauffallige Wohltaten, die hingenommen und bald vergessen wurden. Die Overlords blieben in der Ferne und verbargen ihre Gesichter vor der Menschheit. Karellen konnte Achtung und Bewunderung befehlen; aber er konnte nichts Tieferes erzielen, solange er seine jetzige Politik verfolgte. Es war schwer, keinen Groll gegen diese Olympier zu empfinden, die nur uber die Radiofernschreiber im Hauptquartier der Vereinten Nationen zu den Menschen sprachen. Was zwischen Karellen und Stormgren vorging, wurde nie offentlich bekanntgegeben, und bisweilen fragte sich Stormgren, warum der Oberkontrolleur diese Unterhaltungen notwendig fand. Vielleicht wollte er wenigstens zu einem menschlichen Wesen eine unmittelbare Beziehung haben; vielleicht erkannte er, da? Stormgren diese Form der personlichen Unterstutzung brauchte. Wenn dies die Erklarung war, so wu?te der Generalsekretar sie zu schatzen. Es war ihm einerlei, ob die Freiheitsliga ihn verachtlich als „Karallens Laufjungen“ bezeichnete.
Die Overlords hatten nie mit einzelnen Staaten und Regierungen verhandelt. Sie hatten die Organisation der Vereinten Nationen so hingenommen, wie sie sie vorgefunden hatten; sie hatten Anweisung gegeben, die notigen Radioausrustungen zu beschaffen und hatten ihre Befehle durch den Generalsekretar aussprechen lassen. Der sowjetische Delegierte hatte in langen Ausfuhrungen und bei unzahligen Gelegenheiten mit Recht darauf hingewiesen, da? dies nicht in Ubereinstimmung mit der Charta sei. Karellen schien das nicht zu kummern.
Es war erstaunlich, da? so viele Mi?brauche, Torheiten und Ubel durch diese Botschaften vom Himmel beseitigt werden konnten. Als die Overlords gekommen waren, wu?ten die Nationen, da? sie einander nicht mehr zu furchten brauchten, und sie ahnten, noch ehe der Versuch unternommen wurde, da? die vorhandenen Waffen nutzlos sein wurden gegen eine Zivilisation, die Brucken zwischen den Sternen bauen konnte. Damit war mit einem Schlage das gro?te Hindernis fur das Gluck der Menschheit beseitigt worden.
Die Overlords schienen den verschiedenen Regierungsformen gleichgultig gegenuberzustehen, vorausgesetzt, da? die Regierungen nicht Zwang ausubten oder korrupt waren. Auf der Erde gab es noch immer Demokratien, Monarchien, wohlwollende Diktaturen, Kommunismus und Kapitalismus. Dies war eine Quelle gro?er Uberraschungen fur viele einfache Gemuter, die uberzeugt waren, da? ihre Lebensform die einzig mogliche sei. Andere glaubten, da? Karellen nur darauf warte, ein System einzufuhren, das alle vorhandenen Gesellschaftsformen hinwegfegen wurde; daher hatten sie sich nicht mit kleineren politischen Reformen abgegeben. Aber dies waren, wie alle andern Theorien uber die Overlords, blo?e Vermutungen. Niemand kannte ihre Motive, und niemand wu?te, welcher Zukunft sie die Menschheit entgegenfuhren wollten.
2
Stormgren schlief schlecht in dieser Nacht, was sonderbar war, da er bald die Burde des Amtes fur immer ablegen wurde. Er hatte der Menschheit vierzig Jahre und den Overlords funf Jahre lang gedient, und wenige Manner konnten auf ein Leben zuruckblicken, das ihnen die Erfullung so vieler Wunsche beschert hatte. Vielleicht erfullte ihn das mit Besorgnis, da? er in den Ruhejahren, die vor ihm lagen, keine Ziele mehr haben wurde, die seinem Leben einen Reiz gaben. Nachdem seine Frau gestorben war und die Kinder selbst eine Familie gegrundet hatten, schienen sich seine Bindungen an die Welt gelockert zu haben. Es mochte auch sein, da? er sich allmahlich mit den Overlords identifizierte und sich auf diese Weise von der Menschheit zu losen begann.
Dies war wieder eine jener ruhelosen Nachte, in denen seine Gedanken wie eine Maschine zu kreisen begannen, deren Regulator versagt. Statt noch langer um Schlaf zu kampfen, erhob er sich widerstrebend vorn Bett. Er zog seinen Schlafrock an und begab sich auf den Dachgarten seiner bescheidenen Wohnung. Unter seinen unmittelbaren Untergebenen war nicht einer, der nicht eine viel luxuriosere Wohnung besessen hatte, aber diese