war fur Stormgrens Bedurfnisse geraumig genug. Er hatte eine Stellung erreicht, wo weder personliche Besitztumer noch amtliche Zeremonien seinem Ansehen irgend etwas hinzufugen konnten.

Die Nacht war warm, fast druckend, aber der Himmel war klar, und ein heller Mond hing tief im Sudwesten. Zehn Kilometer entfernt gluhten die Lichter von New York am Horizont wie eine Morgenrote, die gerade im Hervorbrechen gefroren war.

Stormgren hob den Blick von der schlafenden Stadt und lie? ihn wieder zu den Hohen emporschweifen, die er als einziger von allen lebenden Menschen durchmessen hatte. Obwohl die Entfernung so gro? war, konnte er den Rumpf von Karellens Schiff im Mondlicht blinken sehen. Er fragte sich, was der Oberkontrolleur jetzt wohl tun mochte, denn er glaubte nicht, da? die Overlords jemals schliefen.

Hoch oben warf ein Meteor seinen schimmernden Speer uber den Himmelsdom. Der leuchtende Schweif gluhte eine Weile schwach. Dann verging er und lie? nur die Sterne zuruck.

Alles war hochst einfach: In hundert Jahren wurde Karellen noch immer die Menschheit dem Ziel zufuhren, das er allein sehen konnte, aber in vier Monaten wurde ein anderer Mann Generalsekretar sein. Daruber war Stormgren an sich nicht traurig, aber es bedeutete, da? ihm wenig Zeit ubrigblieb, wenn er je zu erfahren hoffte, was hinter dem verdunkelten Bildschirm war.

Erst in den allerletzten Tagen hatte er sich einzugestehen gewagt, da? die Heimlichtuerei der Overlords auch ihn qualte. Bis vor kurzem hatte ihn sein Glaube an Karellen vor Zweifeln bewahrt, jetzt aber begannen, wie er etwas verargert dachte, die Proteste der Freiheitsliga ihre Wirkung auf ihn auszuuben. Gewi? war das Gerede uber die Versklavung des Menschen nichts als Propaganda. Wenige Menschen glaubten ernsthaft daran oder ersehnten wirklich eine Rucckehr zu den alten Tagen. Die Menschen hatten sich an Karellens unmerkliche Herrschaft gewohnt, wollten aber voll Ungeduld wissen, wer sie regierte. Wie konnte man ihnen das zum Vorwurf machen?

Obwohl die gro?te, war die Freiheitsliga nur eine der Organisationen, die sich gegen Karellen und folglich auch gegen die Menschen auflehnten, die mit den Overlords zusammenarbeiteten. Die Einwande und die Politik dieser Gruppen waren uberaus verschieden: einige vertraten den religiosen Standpunkt, wahrend andere nur einem Gefuhl der Unterlegenheit Ausdruck gaben. Sie empfanden mit gutem Grund etwa das gleiche, was ein kultivierter Inder im neunzehnten Jahrhundert empfunden haben mochte, wenn er uber den britischen Radscha nachdachte. Die Eindringlinge hatten der Erde Frieden und Wohlstand gebracht, aber wer konnte wissen, womit sie das bezahlen mu?te? Der Verlauf der Geschichte war nicht ermutigend; selbst die friedlichsten Beziehungen zwischen Rassen sehr verschiedenen kulturellen Niveaus hatten oft zur Ausloschung der ruckstandigeren Gemeinschaft gefuhrt. Nationen wie auch Einzelpersonen verloren leicht ihre Widerstandskraft, wenn Anforderungen an sie gestellt wurden, denen sie nicht gewachsen waren. Und die Zivilisation der Overlords, sosehr sie in Geheimnisse gehullt sein mochte, war die gro?te Herausforderung, die der Mensch je erlebt hatte.

Ein leises Knacken ertonte in dem Apparat im Nebenzimmer, als der von der Zentralen Nachrichtenstelle herausgegebene stundliche Bericht eintraf. Stormgren ging hinein und sah zerstreut die Blatter durch. Auf der andern Erdhalfte hatte die Freiheitsliga Veranlassung zu einer nicht sehr originellen Schlagzeile gegeben. „Wird der Mensch von Ungeheuern regiert?“ fragte die Zeitung und zitierte dann: „Auf einer Versammlung in Madras sagte heute Dr. C. V. Krishnan, der Prasident der Ostabteilung der Freiheitsliga: ›Die Erklarung fur das Verhalten der Overlords ist ganz einfach. Ihre korperliche Erscheinung ist so fremd und so absto?end, da? sie sich der Menschheit nicht zu zeigen wagen. Ich fordere den Oberkontrolleur auf, dies abzustreiten, wenn er es kann.“

Stormgren warf das Blatt verachtlich auf den Boden. Selbst wenn diese Behauptung zutrafe, wurde das wirklich etwas ausmachen? Dieser Gedanke war alt, hatte ihn aber nie beunruhigt. Er glaubte nicht, da? es irgendeine biologische Form gabe, an die er, so fremdartig sie auch sein mochte, sich nicht mit der Zeit gewohnen und die er vielleicht sogar schon finden konnte. Auf den Geist, nicht auf den Korper kam es an. Wenn er Karellen nur hiervon uberzeugen konnte, wurden die Overlords vielleicht ihre Politik andern. Sicherlich konnten sie nicht halb so ha?lich sein wie die phantasievollen Zeichnungen, die bald nach ihrem Auftauchen uber der Erde die Zeitungen gefullt hatten.

Aber es war, das wu?te Stormgren, nicht nur die Rucksicht auf seinen Nachfolger, die in ihm das Verlangen weckte, diese Lage der Dinge beendet zu sehen. Er war ehrlich genug, zuzugeben, da? letztlich sein Hauptbeweggrund einfach menschliche Neugier war. Er hatte Karellen als Personlichkeit kennengelernt, aber er wurde sich nie zufriedengeben, bis er nicht auch entdeckt hatte, was fur eine Art Geschopf er war.

Als Stormgren am nachsten Morgen nicht zu gewohnter Stunde erschien, war Pieter van Ryberg uberrascht und etwas argerlich. Obwohl der General-Sekretar oft verschiedene Besuche machte, bevor er in sein Buro kam, gab er doch immer Nachricht, wenn dies der Fall war. An diesem Morgen nun waren, um die Sache noch schlimmer zu machen, mehrere dringende Nachrichten fur Stormgren eingelaufen. Van Ryberg rief ein halbes Dutzend Abteilungen an, um ihn zu finden, gab es dann aber auf.

Gegen Mittag wurde er unruhig und schickte ein Auto zu Stormgrens Haus. Zehn Minuten spater wurde er durch das Heulen einer Sirene erschreckt, und eine Polizeipatrouille kam die Roosevelt-Allee entlanggerast. Die Nachrichtenagenturen mu?ten in diesem Wagen Freunde gehabt haben, denn wahrend van Ryberg das herankommende Auto betrachtete, meldete schon der Rundfunk der Welt, da? van Ryberg nicht mehr Stellvertreter, sondern amtierender Generalsekretar der Vereinten Nationen sei.

Hatte van Ryberg weniger zu tun gehabt, so hatte er es interessant gefunden, das Verhalten der Presse bei Stormgrens Verschwinden zu studieren. Wahrend des vergangenen Monats hatten sich die Zeitungen der Welt in zwei scharf abgegrenzte Gruppen geteilt. Die westliche Presse billigte im ganzen Karellens Plan, alle Menschen zu Weltburgern zu machen. Die ostlichen Lander andererseits machten heftige, aber meist kunstliche Anfalle von Nationalstolz durch. Einige von ihnen waren kaum langer als eine Generation unabhangig gewesen und glaubten, um ihre Errungenschaften betrogen worden zu sein. Die Kritik an den Overlords war weit verbreitet und sehr heftig: Nach einer Anfangszeit au?erster Vorsicht hatte die Presse schnell herausgefunden, da? sie gegen Karellen so grob auftreten konnte, wie sie wollte, ohne da? irgend etwas geschah. Jetzt ubertraf sie sich selbst darin.

Die meisten Angriffe waren, obwohl sehr lautstark, nicht reprasentativ fur die gro?e Masse des Volkes. An den Grenzen, die bald fur immer verschwunden sein wurden, waren die Posten verdoppelt worden, aber die Soldaten betrachteten einander mit einer noch wortlosen Freundlichkeit. Die Politiker und Generale mochten rasen und toben, aber die schweigend wartenden Millionen fuhlten, da? nun endlich ein langes und blutiges Kapitel der Geschichte zum Abschlu? kommen wurde.

Und nun war Stormgren verschwunden, niemand wu?te, wohin. Der Aufruhr legte sich plotzlich, als die Welt erkannte, da? sie den einzigen Mann verloren hatte, durch den die Overlords, aus ihren eigenen sonderbaren Beweggrunden, zur Erde zu sprechen pflegten. Eine Lahmung schien Presse- und Radiokommentatoren zu befallen, aber in diesem Schweigen konnte man die Stimme der Freiheitsliga horen, die angstvoll ihre Unschuld beteuerte.

Es war vollig dunkel, als Stormgren erwachte. Einen Augenblick war er zu schlafrig, um sich bewu?t zu werden, wie ungewohnlich das war. Dann, seine Benommenheit abschuttelnd, setzte er sich mit einem Ruck auf und tastete unsicher nach dem Schalter neben seinem Bett.

In der Dunkelheit stie? seine Hand gegen eine kahle Steinwand, die sich kalt anfuhlte. Er begann sofort zu frosteln, da Geist und Korper durch die Beruhrung mit dem Unerwarteten gelahmt wurden. Er konnte seinen Sinnen kaum trauen, kniete sich im Bett hin und begann mit seinen Fingerspitzen die erschreckend unbekannte Wand abzutasten.

Er hatte das nur einen Augenblick lang getan, als plotzlich ein Knacken ertonte und ein Stuck der Dunkelheit erhellt wurde. Er sah die Umrisse eines Mannes vor dem mattbeleuchteten Hintergrund. Dann schlo? sich die Tur wieder, und die Dunkelheit kehrte zuruck. Alles geschah so schnell, da? er keine Moglichkeit hatte, etwas von dem Raum zu sehen, in dem er lag.

Einen Augenblick spater wurde er von dem Licht einer starken Taschenlampe geblendet. Der Strahl glitt uber sein Gesicht und hielt ihn einen Augenblick fest, dann beleuchtete er das ganze Bett, das, wie er jetzt sah, nur eine auf rohen Brettern liegende Matratze war.

Aus der Dunkelheit sprach ihn eine leise Stimme in ausgezeichnetem Englisch an, aber mit einem Akzent, den Stormgren zunachst nicht erkannte.

,Ah, Herr Generalsekretar, ich freue mich, da? Sie erwacht sind. Hoffentlich fuhlen Sie sich vollig wohl.“

In diesem letzten Satz lag etwas, was Stormgrens Aufmerksamkeit erregte, so da? die argerlichen Fragen,

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