sagte Malin und stellte die Koffer mitten in der Kuche ab. Der Herd war das erste, was sie sah, als sie hereinkam. Er war verrostet und machte den Eindruck, als ware er zum letzten Mal um die Jahrhundertwende in Betrieb gewesen. Aber Melcher war voller Zuversicht.

»Oho, solche alten eisernen Herde, die sind phantastisch. Da ist nur ein bi?chen Geschicklichkeit beim Feuermachen notig, und das krieg ich hin. Aber zuerst wollen wir uns alles ubrige ansehen.«

Das ganze Schreinerhaus hatte etwas von Jahrhundertwende an sich, von ubel zugerichteter Jahrhundertwende. Unachtsame Mieter waren viele Sommer hindurch mit etwas, was vor langer Zeit einmal ein gepflegtes und recht wohlhabendes Handwerkerhaus gewesen sein mochte, grob umgegangen. Selbst in seinem Verfall hatte das Haus jedoch etwas erstaunlich Behagliches an sich, was sie alle spurten.

»Das wird ein Spa?, in dieser Bude zu wohnen«, versicherte Pelle. Er mu?te Malin schnell einmal drucken, dann sauste er hinter Johann und Niklas her, um alles auszuforschen, was es hier bis unters Dach hinauf auszuforschen gab.

»Schreinerhaus«, sagte Malin. »Was meinst du, Papa, was das fur ein Schreiner gewesen ist, der hier gelebt hat?«

»Ein junger, frohlicher Schreiner, der etwa 1908 heiratete und mit seiner hubschen jungen Frau hier einzog und Schranke und Stuhle und Tische und Banke fur sie schreinerte, ganz wie sie es haben wollte, und der ihr einen schmatzenden Ku? gab und sagte: ›Es soll Schreinerhaus hei?en und hier auf Erden unser Zuhause sein.‹«

Malin starrte ihn an.

»Wei?t du es, oder spinnst du nur?«

Melcher lachelte ein bi?chen verlegen.

»Hm – ja – ich spinne nur. Es hatte mir allerdings besser gefallen, wenn du gesagt hattest ›dichten‹.«

»Meinetwegen auch ›dichten‹«, sagte Malin. »Aber wie dem auch sei, vor langer Zeit mu?te hier jedenfalls jemand gelebt haben, der uber diese Mobel glucklich gewesen ist und sie abgestaubt und blank poliert und freitags das Haus geputzt

hat. Wem gehort es eigentlich jetzt?«

Melcher uberlegte.

»Irgendeiner Frau Sjoberg oder Frau Sjoblom oder so ahnlich. Eine alte Frau …«

»Da hast du vielleicht deine Schreinersfrau«, sagte Malin und lachte. »Sie wohnt jetzt in Norrtalje«, sagte Melcher. »Ein Mann mit Namen Mattsson vermietet fur sie den Besitz an Sommergaste – zumeist an Rauber mit abscheulichen kleinen Kindern, die Krallen an den Fingern haben, wie es scheint.«

Er sah sich in dem Raum um, der fruher einmal die gute Stube der Schreinerfamilie gewesen sein mochte. Jetzt war es keine ganz so gute Stube mehr, doch Melcher war zufrieden.

»Hier«, sagte er, »hier soll unsere Wohnstube sein.«

Er streichelte begeistert den wei?getunchten offenen Kamin.

»Und hier sitzen wir dann abends vor dem Holzfeuer und horen das Meer drau?en rauschen.«

»Wahrend die Ohren im Luftzug flattern«, sagte Malin und zeigte auf das Fenster, in dem eine Scheibe kaputt war.

Sie hatte noch immer die kleine Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen, aber Melcher, der das Schreinerhaus schon in sein Herz geschlossen hatte, sorgte sich nicht um so etwas Bedeutungsloses wie eine zerbrochene Fensterscheibe.

»Keine Sorge, mein Kind. Dein tuchtiger Vater setzt morgen eine neue Scheibe ein. Nur keine Sorge!«

Malin war nicht ganz ohne Sorge, denn sie kannte Melcher, und sie dachte mit einer Mischung von Ungeduld und Zartlichkeit: Er glaubt selber daran, der gute Kerl, tatsachlich, er vergi?t es namlich ein uber das andere Mal. Wenn er aber eine neue Fensterscheibe einsetzt, so hei?t das, da? er drei andere dabei kaputtmacht. Ich mu? diesen Nisse Grankvist fragen, ob es hier jemanden gibt, der mir helfen kann.

Laut sagte sie: »Ich glaube, nun mussen wir die Armel hochkrempeln. Wie war es doch, Papa, wolltest du nicht Feuer in der Kuche machen?«

Melcher rieb sich die Hande vor Tatendrang.

»Ganz recht. Frauen und Kindern kann man so was nicht anvertrauen.«

»Sehr schon«, sagte Malin. »Dann gehen Frauen und Kinder hinaus und sehen nach, wo der Brunnen ist. Denn hier gibt es doch hoffentlich einen?« Sie horte die Jungen im oberen Stock herumtrampeln und rief: »Kommt, alle meine Bruder! Wir wollen Wasser holen!«

Es hatte aufgehort zu regnen, jedenfalls im Augenblick. Die Abendsonne machte mehrmals einen tapferen, aber vergeblichen Versuch, durch die Wolken zu brechen, von der Amsel in dem alten Mehlbeerbaum lebhaft ermuntert. Der Vogel flotete unverdrossen, bis er die Melchersonschen Kinder mit ihren Wassereimern durch das nasse Gras stapfen sah. Da verstummte er.

»Ist es nicht hubsch, da? das alte Schreinerhaus seinen eigenen Schutzbaum hat?« sagte Malin und streichelte im Vorubergehen den rissigen Stamm des Baumes.

»Wofur hat man einen Schutzbaum?« fragte Pelle.

»Um ihn gern zu haben«, entgegnete Malin.

»Um darauf herumzuklettern, wie du siehst«, sagte Johann.

»Und das wird so ungefahr das erste sein, was wir morgen fruh tun«, verkundete Niklas. »Ich mochte wissen, ob Papa was extra zahlen mu?te, weil es hier so einen feinen Kletterbaum gibt.«

Malin lachte, aber die Jungen dachten sich noch mehr Sachen aus, von denen sie meinten, Melcher habe dafur extra zahlen mussen. Den Steg und den alten Kahn, der daran festgemacht lag. Den roten Schuppen, den sie naher untersuchen wollten, sobald sie Zeit hatten. Den Boden, den sie bereits durchstobert hatten und der voller aufregender Dinge war.

»Und den Brunnen, wenn er einigerma?en gutes Wasser hat«, schlug Malin vor.

Aber Johann und Niklas fanden nicht, da? man fur den extra zahlen musse.

»Dagegen konnten ein paar Groschen fur den, der das Wasser reinschleppen mu?, gar nicht schaden«, sagte Johann und hob den ersten Eimer an.

Pelle schrie vor Begeisterung auf.

»Guckt mal, ein kleiner Frosch, ganz unten drin!«

Malin stie? einen Schreckensschrei aus, und Pelle sah sie erstaunt an. »Was ist denn mit dir? Magst du etwa keine su?en kleinen Frosche?«

»Nicht im Trinkwasser«, sagte Malin.

Pelle zappelte vor Eifer.

»Oh, darf ich den nicht haben?«

Dann wandte er sich an Johann.

»Glaubst du, Papa hat was extra zahlen mussen, weil im Brunnen Frosche sind?«

»Kommt darauf an, wie viele da sind«, sagte Johann. »Wenn gro?ere Mengen drin sind, hat er sie bestimmt ganz billig gekriegt.«

Er warf Malin einen Blick zu, um zu sehen, wie viele Frosche sie ertragen konnte. Sie schien aber gar nicht zuzuhoren.

Malins Gedanken waren in eine andere Richtung geflattert. Sie mu?te an den frohlichen Schreiner und seine Frau denken. Ob sie in ihrem Schreinerhaus zusammen glucklich gewesen waren? Ob sie wohl Kinder bekommen hatten, die mit der Zeit auf dem Mehlbeerbaum herumgeklettert und vielleicht manchmal ins Wasser gefallen waren? Ob damals im Juni ebenso viele Heckenrosen im Garten gebluht hatten und ob der Pfad zum Brunnen ebenso wei? von heruntergefallenen Apfelbluten gewesen war wie jetzt?

Dann fiel ihr plotzlich ein, da? der frohliche Schreiner und seine Frau Gestalten waren, die Melcher sich ausgedacht hatte. Aber sie beschlo?, trotzdem an sie zu glauben. Sie beschlo? noch etwas anderes. Mochten noch so viele Frosche im Brunnen sein und noch so viele Fensterscheiben zerbrochen, mochte das Schreinerhaus noch so verfallen sein – nichts sollte sie daran hindern, gerade hier und gerade jetzt mit dem Glucklichsein anzufangen. Denn jetzt war Sommer. Es mu?te immer Juni sein und Abend. Vertraumt und still wie dieser. Und ohne einen Laut. Drau?en vor dem Steg kreisten die Mowen, eine stie? ein paar schrille Schreie aus. Aber sonst nichts als dieses unfa?bare Schweigen, das einem gleichsam in den Ohren sauste. Uber dem Wasser lag ein weicher Regenschleier, alles war von so wehmutiger Schonheit. Von allen Buschen und Baumen tropfte es, und die Luft roch nach noch mehr Regen und nach Erde und Salzwasser und nassem Gras.

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