sich ganz wohl zu fuhlen, so bin ich doch um ihre Gesundheit besorgt. Prinzessin Juliane ist zu ihren gunsten von dem Posten der Aebtissin zuruckgetreten, und morgen wird daher unser geliebtes Kind zur Oberin gewahlt werden. Es herrscht unter den Nonnen volle Einstimmigkeit, ihr diese Wurde zu ubertragen. Alle sind, seit Amalie ihr Noviziat angetreten, des Lobes voll uber ihre Frommigkeit, ihre Barmherzigkeit und ihre gewissenhafte Befolgung aller Ordensvorschriften. Sie hat im Kloster bald denselben Einflu? uber alle gewonnen, den sie uberall ausubt, ohne es zu wollen oder zu wissen.

Mein Gesprach mit ihr an diesem Morgen hat mich in meiner Befurchtung bestarkt. Sie hat in der Einsamkeit und Strenge des klosterlichen Lebens noch nicht Ruhe und Vergessen gefunden. Indessen wunscht sie sich zu ihrem Entschlu? Gluck; denn sie glaubt damit eine unabweisbare Pflicht erfullt zu haben.

Marienblume betet und unterwirft sich den strengsten und hartesten Kasteiungen, sie pflegt und trostet die armen Kranken, die in das Spital des Klosters gebracht werden, sie besorgt sich ihre Zelle ganz allein und hat das Anerbieten einer Schwester, ihr dabei zu helfen, zuruckgewiesen, sie hat die vertrockneten Zweige ihres kleinen Rosenstocks unter dem Christusbilde aufgehangt, sie ist das geliebte, verehrte Beispiel der ganzen Gemeinde – aber sie hat mir heute morgen bekannt, da? sie in der strengen Ordnung des klosterlichen Lebens doch nicht den erwarteten Trost fande, und da? ihr trotz allem unaufhorlich die Vergangenheit erscheine, nicht nur, wie sie gewesen ist, sondern auch, wie sie hatte sein konnen.

»Nun,« rief ich aus in torichter Hoffnung, »so ist ja immer noch Zeit. Heute lauft deine Probezeit als Novize ab, erst morgen sollst du das feierliche Gelubde ablegen. Noch kannst du frei sein – entsage diesem strengen Leben, da es dir doch nicht den erwarteten Trost bringt. Wenn du einmal doch leiden mu?t, so leide wenigstens in unseren Armen, unsere Liebe lindert dann vielleicht besser deinen Schmerz.«

Sie schuttelte traurig den Kopf und antwortete: »Ohne Zweifel ist es traurig, einsam im Kloster zu leben, wo ich gewohnt war, in jedem Augenblick ein Zeichen Ihrer Zartlichkeit zu empfangen. Ohne Zweifel verfolgen mich auch hier peinvolle Erinnerungen, aber ich habe hier doch auch das Bewu?tsein, einer Pflicht genugt zu haben. Ich sehe eben ein, da? ich mich an jedem andern Orte am falschen Platze befinden wurde, Ihnen und mir selbst zur Qual – denn auch ich habe meinen Stolz. Wenn morgen auch alle erfuhren, aus welchem Schmutze Sie mich gezogen haben, so wurden sie doch, wenn sie mich reuevoll am Fu?e des Kruzifixes liegen sahen, in Rucksicht auf meine Demut und Bu?fertigkeit mir das Vergangene verzeihen. Im andern Falle aber, wenn sie mich wie vor wenigen Monaten inmitten der Pracht und des Glanzes an Ihrem Hofe erblickten – nicht wahr, Sie begreifen, mein Vater? Hier habe ich doch immerhin Anspruch auf eine gewisse Achtung – namlich auf die, die man uberall aufrichtiger Reue entgegenbringt.«

Ach, liebe Clemence! was sollte ich darauf erwidern? Dieses ungluckliche Kind denkt im Punkt der Ehre und des Herzens so scharf und logisch, da? man nichts dagegen vorbringen kann. Man mu? sich da in das Unvermeidliche fugen.

Ich habe sie, wie immer, mit gebrochenem Herzen verlassen. Ich hatte zwar keine Hoffnung in diese Unterredung gesetzt, aber der Gedanke: Heute noch kann sie dem Kloster entsagen, war mir doch gekommen. Du siehst, ihr Wille ist unerschutterlich, und leider mu? ich ihren Grunden beipflichten.

Ich habe es Dir oft gesagt, meine Teuere, wenn nicht Pflichten, die noch heiliger sind als die Pflichten gegen meine Familie, mich in der Mitte meines Volks zuruckhielten, das mich liebt und dessen schutzende Vorsehung ich gewisserma?en sein soll, so ware ich mit Dir, meiner Tochter, Heinrich und Murph fortgezogen, um einsam, glucklich und unbekannt in einem weltfernen Winkel zu leben. Dort, fern von dem herrischen Zwang einer Gesellschaft, die die Wunden, die sie schlagt, die Uebel, die sie mit sich bringt, nicht zu heilen imstande ist, hatten wir unser armes Kind wohl zum Vergessen, zum Glucke geleiten konnen, was hier inmitten des hofischen Zeremoniells unmoglich ist. O herbes Verhangnis! Ich kann nicht abdanken, ohne dem Gluck meines Volkes zu schaden, das auf mich baut! Die guten Leute, sie ahnen nicht, was es mich kostet, sie glucklich zu machen!

Lebe Wohl, meine vielgeliebte Clemence! Welch ein Trost fur mich, da? ich nun wenigstens Dich habe! Was ware ich jetzt ohne Dich! Guter Engel meiner schlimmen Tage, kehre mir bald wieder! – Dir mein Leben und meine Liebe, mein Herz und meine Seele!

Rudolf.«

P. S. Ich verga?, Dir Nachricht von unserm armen Heinrich zu geben. Es geht besser mit ihm, und sein Zustand bietet keinen Anla? mehr zu unmittelbarer Besorgnis. Sein guter Vater, obwohl selbst krank, pflegt ihn aufopfernd.

»Kloster Sankt-Hermangild, 4 Uhr morgens. Erschrick nicht, Clemence, da? ich zu solcher Stunde von solchem Orte an Dich schreibe! Gott sei Dank, die Gefahr ist voruber, aber die Krisis war furchtbar. Als ich Dir gestern geschrieben, ergriff mich ein seltsames Vorgefuhl, und ich dachte daran, wie bla? Amalie gewesen, wie schwach und kranklich sie seit einiger Zeit sei, da? sie die Nacht im Gebet in der weiten, kalten Kirche zubringen sollte, und ich schickte David und Murph zur Prinzessin Juliane mit der Bitte, da? sie den beiden erlauben moge, bis morgen fruh in dem Au?engebaude zu bleiben, wo fruher Heinrich gewohnt hat. So konnte meine Tochter doch augenblickliche Hilfe haben, wenn es, wie ich befurchtete, uber ihre Krafte ginge, diese grausame Pflicht zu erfullen und eine eisige Januarnacht wachend in der Kirche zuzubringen. Ich hatte Marienblume auch geschrieben, ich achtete vollauf die Vorschriften des Ordens, aber sie mochte doch an ihre Gesundheit denken und die Nacht nicht in der Kirche, sondern in ihrer Zelle zubringen. Aber sie antwortete mir darauf, sie fuhle sich sehr wohl imstande, die Vorschrift genau zu erfullen. Ihr Brief beruhigte mich einigerma?en, sollte doch auch ich eine traurige Nachtwache vollbringen.

Als die Nacht herangekommen war, verschlo? ich mich in dem Pavillon, den ich in der Nahe des meinem toten Vater geweihten Monuments erbauen lie?. Gegen ein Uhr morgens horte ich Murphs Stimme. Ich erschrak heftig, denn Murph kam aus dem Kloster.

Wie ich geahnt, hatte das ungluckliche Kind nicht die Kraft gehabt, diese grausame Vorschrift innezuhalten, von der selbst Prinzessin Juliane sie nicht befreien konnte, so strenge sind die Ordensregeln. Um acht Uhr abends war Amalie auf dem kalten Kirchenpflaster niedergekniet, bis Mitternacht hatte sie gebetet – aber um diese Zeit erlag sie der bittern Kalte, der eignen Aufregung und wurde ohnmachtig. Zwei Frauen, die auf Befehl der Aebtissin bei ihr wachten, hoben sie auf und trugen sie in ihre Zelle.

David wurde geholt, und Murph begab sich eilends zu mir. Ich flog hin, Prinzessin Juliane empfing mich und teilte mir mit, da? David den Rat gegeben hatte, mich nicht sogleich zu ihr zu lassen, da mein Anblick sie aufregen konnte. Sie habe sich von der Ohnmacht erholt und befande sich soweit ganz wohl.

Ich furchtete, man sage dies nur, um mir ein gro?es Ungluck zu verheimlichen, aber man versicherte mir aufs neue, da? dem nicht so sei. Ich konnte nun an den Beteuerungen der wurdigen Juliane nicht mehr zweifeln und wartete voller Unruhe auf weitere Nachrichten.

Nach einer Viertelstunde erschien David. Es geht besser, sagte er mir, ja sie hatte ihre Nachtwache durchaus fortsetzen wollen und schlie?lich eingewilligt, auf einem Polster zu knien. Ich war emport, da? man diesem Ansinnen nachgegeben hatte, aber David sagte mir, es sei sehr gefahrlich gewesen, ihr den Willen nicht zu tun. Das einzige, was sich hatte tun lassen, sei, da? Prinzessin Juliane ihr die Erlaubnis gegeben habe, die Kirche schon mit dem Glockenschlag der Morgenhora zu verlassen, um sich auf die Feier vorzubereiten und ein wenig auszuruhen.

»So ist sie jetzt wieder in der Kirche?« fragte ich. – »Ja, gnadiger Herr,« antwortete David. »Die Wache dauert jetzt aber nur noch eine halbe Stunde.«

Ich lie? mich auf unsere Tribune fuhren, von wo aus man das ganze Kirchenschiff ubersehen kann. Dort im Halbdunkel der Kirche, die nur von der ewigen Lampe erhellt wurde, sah ich sie knien, die Hande gefaltet, in inbrunstiges Gebet versunken. – Da kniete auch ich nieder und betete fur mein Kind.

Es schlug drei Uhr – zwei Schwestern, die in Chorstuhlen gesessen und sie bewacht hatten, traten nun auf sie zu und sprachen leise mit ihr. Sie machte das Zeichen des Kreuzes, stand auf und ging durch den Chor. Als sie durch den schmalen Lichtstreifen der Lampe hindurch kam, erschien mir ihr Gesicht so wei? wie der lange Schleier, der sie umfing.

Ich wollte zu ihr, aber ich furchtete, sie von neuem aufzuregen, und schickte statt dessen David. Er kam mit der Nachricht zuruck, sie befande sich ganz wohl und wolle versuchen, etwas zu schlafen. – Ich bleibe in der Abtei, um der heute morgen stattfindenden Zeremonie beizuwohnen. Morgen werde ich den Bericht uber die traurigen Ereignisse dieses verhangnisvollen Tages beenden. Auf baldiges Wiedersehen! Mein Herz ist gebrochen. Beklage mich!

Dein Rudolf.

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