versuchte.

– »Mein Kind,« sagte er, »du hast recht, dieser Tag soll ein Tag feierlicher Bekenntnisse sein. Ich ahnte nicht, da? deine Worte in so unerwartetem Sinne zutreffen sollten.«

– »Und was ist es, mein Vater, das Sie bewegt?« fragte Marienblume. –»Was hast du, mein Freund?« setzte Clemence hinzu.

»Ursache zu neuen Befurchtungen,« antwortete Rudolf. »Du hast mir deinen Kummer nur zur Halfte bekannt.« – »Lieber Vater,« sagte Marienblume errotend, »bitte, erklaren Sie sich naher.« – »Das kann ich jetzt auch – nachdem du uns hast wissen lassen, wie tief du an deinem Schicksal verzweifelst. Hore mich an, geliebte Tochter. Du haltst dich fur sehr unglucklich – nein, du bist es. Als du beim Beginn unserer Unterredung von einem Auswege sprachst, der dir verbliebe, da habe ich dich verstanden. Nicht wahr, du wolltest in ein Kloster gehn?« – »Mein Vater!«

– »Ist's so, mein Kind?« – »Ja, sofern Sie es mir gestatten,« antwortete Marienblume mit erstickter Stimme.

»Sie wollen uns verlassen!« rief Clemence. – »Das Kloster Sankt-Hermangild ist so nahe bei Gerolstein, da? wir uns oft hatten sehen konnen!« – »Aber bedenken Sie doch, liebes Madchen, diese Gelubde gelten fur immer – Sie sind aber noch nicht achtzehn Jahre alt, und vielleicht kommt eines Tages –« – »O, ich werde diesen Entschlu? nie bereuen – ich werde Ruhe und Vergessen in der Einsamkeit des heiligen Hauses finden, wenn nur Sie, lieber Vater, und Sie, teure Mutter, mir Ihre Liebe erhalten.« »Ein gottgeweihtes Leben mit seinen Pflichten und Trostungen konnte allerdings,« antwortete Rudolf, »deinen Gram lindern, wenn auch nicht heilen. Obwohl es sich dabei auch um mein halbes Lebensgluck handelt, so ware es doch moglich, da? ich deinen Entschlu? billigte.« – »Wie? auch du, Rudolf?« rief Clemence. – »Erlaube mir, mich ganz zu erklaren, liebe Gattin,« antwortete Rudolf, und sich zu seiner Tochter wendend, fuhr er fort: »Ehe wir dieses Aeu?erste beschlie?en, mussen wir prufen, ob sich dir nicht eine andere Zukunft bieten konnte, die deinen und unsern Wunschen besser entsprechen wurde.« Marienblume und Clemence machten eine Bewegung des Erstaunens, und Rudolf fragte, seine Tochter fest anschauend: »Wie stehst du zu deinem Vetter, dem Prinzen Heinrich?«

Marienblume zitterte und wurde blutrot. Nach einem Augenblick des Zauderns warf sie sich schluchzend in ihres Vaters Arme. – »Du liebst?« – »Sie hatten mich ja nie danach gefragt, mein Vater!« antwortete Marienblume, die Tranen trocknend. – »Du liebst ihn also?« fuhr Rudolf fort, seine Tochter an sich druckend. »Du liebst ihn sehr, mein su?es Kind?«

»O, wenn Sie wu?ten, was es mich gekostet hat, Sie von dieser Liebe nichts merken Zu lassen!« entgegnete Marienblume. »Bei der geringsten Frage hatte ich die Wahrheit sagen mussen, allein aus Scham hatte ich es wohl nie gewagt.« – »Und du glaubst, Heinrich wei? darum, da? du seine Liebe zu dir erwiderst?« fragte Rudolf. – »Gro?er Gott, nein, Vater!« rief Marienblume, »das will ich nicht hoffen! Nein, mein Vater, ich glaube auch nicht, da? er mich liebt. O, nein! das ware ein zu gro?es Ungluck fur ihn!«

»Und wie ist es zu dieser Liebe gekommen, mein Engel?« – »Ach, ohne da? ich's gewahr wurde. Sie erinnern sich doch des Portrats eines Pagen?« – »Das im Zimmer der Aebtissin von Sankt-Hermangild hing? Das war Heinrichs Bild.« – »Ja, mein Vater. In der Meinung, dieses Bild stelle einen Knaben dar, der langst nicht mehr unter den Lebenden weilte, machte ich eines Tages in Ihrer Gegenwart, lieber Vater, kein Hehl daraus, wie sehr ich von der Schonheit des Gesichts hingerissen war. Sie sagten mir damals scherzend, das Bild sei das eines Verwandten aus fruheren Zeiten, der schon in jugendlichem Alter hohen Mut und gro?e Gaben gezeigt habe. Seit diesem Tage betrachtete ich das Bild gern und rief mir stets seine Zuge ins Gedachtnis zuruck. Ich tat es ohne jedes Bedenken, denn ich hielt es ja fur das Bild eines langst verstorbnen Vetters. Nach und nach gewohnte ich mich ganz an diesen Gedanken und bildete mir ein, dieses Bild stelle einen Verlobten von mir dar, einen Brautigam jenseits des Grabes, den ich vielleicht droben im Himmel wiedersehen wurde. Und mich dunkte, da? dies die einzige Liebe sei, die sich fur ein Herz geziemte, dem es nicht erlaubt ist, hienieden jemand zu lieben au?er seinem Vater! Verzeihen Sie mir diese traurigen Kindereien –«

»Im Gegenteil, armes Kind,« sagte Clemence tief ergriffen, »nichts ist ruhrender.« – »Nun verstehe ich,« setzte Rudolf hinzu, »warum du mir eines Tages mit kummervoller Miene vorwarfst, ich hatte dir uber dieses Bild nicht die Wahrheit gesagt.« – »Ja, lieber Vater, stellen Sie sich meine Besturzung vor, als eines Tages mir die Aebtissin sagte, das Bild sei das ihres noch lebenden Neffen, eines Verwandten von uns. Ich suchte nun meine Gefuhle zu unterdrucken, aber desto mehr ergriffen sie von meinem Innern Besitz. Und nun horte ich auch, wie oft Sie, mein Vater, Charakter und Geist des Prinzen Heinrich lobten. Ich liebte ihn nun wohl, allein ich trostete mich bei dem Gedanken, da? dieses traurige Geheimnis kein Mensch auf Erden erfahren sollte. Ich – ich Verworfne wagte zu lieben? Hatte ich mich nicht damit zu begnugen, Sie und meine Mutter zu lieben, denen ich alles verdankte? Da endlich sah ich bei jenem Feste, das Sie der Erzherzogin Sophie gaben, meinen Vetter zum erstenmale. Er glich dem Bilde so sehr, da? ich ihn sogleich erkannte, und am selben Abend stellten Sie, mein Vater, ihn mir vor und gestatteten uns jene Vertraulichkeit im Verkehr, die bei unserer nahen Verwandtschaft erlaubt war.«

»Und dann gewannt Ihr Euch lieb?« – »Ach, lieber Vater, er sprach von seiner Bewunderung fur mich, von seiner Achtung, seiner Anhanglichkeit, und dann hatten Sie mir ja auch schon soviel von seinen Vorzugen erzahlt –«. – »Er verdiente es auch. Es gibt keinen edleren Charakter, kein besseres, mutigeres Herz!«

»Ach, loben Sie ihn nicht so, mein Vater, ich bin ohnedies schon unglucklich genug. Mit jedem Tage ward ich mir mehr der Gefahr bewu?t, in der ich mich befand, indem ich mit dem Prinzen Heinrich zusammentraf, und doch gab es keinen Ausweg. Obwohl ich blindes Zutrauen zu Ihnen, mein Vater, hegte, fand ich doch nicht das Herz, Ihnen meine Befurchtungen mitzuteilen. Ich bot alle meine Kraft auf, diese Liebe zu verbergen, und ich hatte in diesen Tagen, wo Prinz Heinrich und ich wie Bruder und Schwester miteinander verkehrten, Augenblicke wahren Glucks, in denen ich die Vergangenheit verga?: allein diesen seligen Momenten folgte um so tiefere Verzweiflung, wenn ich dann wieder in die Gewalt meiner Erinnerungen zurucksank. Verfolgten sie mich schon mitten unter den Huldigungen von Leuten, die mir gleichgiltig waren, wie sehr erst, wenn Prinz Heinrich mir die zartesten Schmeicheleien zuflusterte. O, was stand ich aus, wenn Prinz Heinrich mich einmal uber meine Kindheit befragte! Lugen mu?te ich – immer lugen und dabei immer mich furchten vor dem Blicke dessen, den ich liebte, zittern vor ihm, wie der Verbrecher vor seinem unerbittlichen Richter! O, mein Vater, ich wei?, die Schuld traf mich allein, denn ich hatte kein Recht zu solch einer Liebe, aber ich habe diese ungluckliche Leidenschaft auch durch tausend Qualen gebu?t. Als dann Prinz Heinrich abreiste, erkannte ich erst, wie sehr ich ihn eigentlich liebte. Diese verhangnisvolle Liebe macht das Ma? meines Elends voll. Nun wissen Sie alles, mein Vater, und nun sagen Sie selbst, was bleibt mir noch anderes ubrig, als ins Kloster zu gehn?«

»Es gibt noch eine andere Zukunft fur dich, mein Kind – und diese andere Zukunft ist ebenso heiter und schon, wie das Kloster traurig und ode.« – »Was sagen Sie, mein Vater?« – »Hore nun auch mich an! Du fuhlst wohl, meine Liebe zu dir sieht scharfer, als da? mir dein Verhaltnis zu Heinrich ein Geheimnis hatte bleiben konnen. Schon nach einigen Tagen wu?te ich genau, da? er dich liebt – vielleicht noch inniger, als du ihn liebst.«

»O, nein Vater, es ist unmoglich, er liebt mich nicht so –« – »Ich sage dir, er liebt dich – er liebt dich bis zum Wahnsinn!« – »O, mein Gott, mein Gott!« – – »Hore mich an! Als ich jenen Scherz betreffs des Bildes machte, wu?te ich nicht, da? Heinrich sobald seine Tante in Gerolstein besuchen wurde. Als er kam, lud ich ihn ein, uns oft zu besuchen, denn mir war er von jeher wert wie ein Sohn gewesen. Nach einigen Tagen schon konnten Clemence und ich nicht mehr daran zweifeln, da? zwischen euch beiden sich ein Liebesverhaltnis entspann. Wenn deine Lage schmerzlich war, so war die meine peinlich und heikel. Als Vater konnte mir Heinrichs Liebe zu dir, da ich seine vorzuglichen Eigenschaften kannte, nur lieb sein, denn ich hatte mir keinen wurdigeren Gatten fur dich ertraumen konnen.«

»Erbarmen, mein Vater, Erbarmen!« – »Aber als Mann von Stand und Ehre muhte ich zugleich auch an die traurige Vergangenheit meines Kindes denken. Weit entfernt, Heinrich in seinen Wunschen entgegenzukommen, gab ich ihm, wenn wir miteinander sprachen, oft Ratschlage, die auf das gerade Gegenteil von dem, was er von mir vielleicht erwartet hatte, hinzielten. Er hatte danach fast denken mussen, da? ich nicht gesonnen sei, ihm die Hand meiner Tochter zu geben. Ich mu?te in dieser heikeln Lage als Mann von Ehre und als Vater mich streng neutral verhalten, durfte Heinrichs Liebe nicht bestarken, mu?te ihn aber auch ebenso freundlich wie zuvor behandeln. Du warst bisher so unglucklich gewesen, nun sah ich dich unter dem Einflu? dieser reinen, edlen Liebe aufleben – da wollte ich dir um keinen Preis diese schonen, seltnen Freuden rauben. Wenn ich auch vermutete, da? dieses Liebesband spater getrennt werden mu?te, so hattest du dann wenigstens einige Tage unschuldigen Gluckes kennen gelernt. Hinwiederum konnte aber auch diese Liebe dir vielleicht Ruhe fur alle Zeiten

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