werden daruber doch nicht ungehalten sein?« – »O, nein! Es ist mir nur lieb, zwei Tage Sie und zwei Tage Fraulein von Harneim um mich zu haben.« – »Sie sind zu gutig, Prinzessin. Ihre Gute ermutigt mich, Ihnen eine Bitte vorzutragen,« – »Sprechen Sie, liebe Grafin. Sie wissen, ich bin stets bereit, Ihnen einen Gefallen zu tun.«
»Es ist wahr, ich bin es nicht anders gewohnt, als da? Euer Hoheit sehr gutig zu mir sind,« antwortete die Grafin. »Allein es handelt sich hier um eine sehr peinliche Sache, von der ich gewi? nicht sprechen wurde, wenn sich hier nicht eine gro?e Wohltat verrichten lie?e. Es ist da namlich ein armes, ungluckliches Madchen, das sich leider schon von Gerolstein entfernt hatte, ehe Euer Hoheit Ihr so segensreiches, barmherziges Werk fur schutzlose Madchen begonnen.«
»Und was hat dieses Madchen getan? was soll fur sie geschehen?« – »Ihr Vater, ein Abenteurer, ging nach Amerika und lie? Frau und Tochter im Elend zuruck. Die Mutter starb, die Tochter war im Alter von sechzehn Jahren sich selbst uberlassen und ging mit einem Manne, der sie verfuhrt hatte, nach Wien. Er lie? sie, wie dies immer geschieht, bald im Stich, und sie geriet nun auf die Bahn des Lasters und wurde binnen kurzem, wie so viele andere, ein Schandfleck ihres Geschlechts.«
Marienblume schlug die Augen nieder, und ein Schauer uberflog sie. Die Hofdame bemerkte dies, glaubte, das Ehrgefuhl der Prinzessin verletzt zu haben, und fuhr dann fort: »Verzeihen mir Euer Hoheit, da? ich vor Ihnen von Entarteten spreche, allein die Arme bereut ihren Fehltritt so tief, da? ich glaubte, um etwas Mitleid mit ihr bitten zu durfen.« – »Mit Recht,« antwortete die Prinze? Amalie. »Erzahlen Sie weiter! Alle Verirrungen, die bereut werden, verdienen unser Mitleid.«
»Nachdem die Ungluckliche zwei Jahre lang ein Leben der Schande gefuhrt hatte, kam das Licht der Gnade uber sie. Von Gewissensbissen gemartert, kehrte sie hierher zuruck und mietete sich zufallig bei einer Witwe ein, deren Frommigkeit und Herzensgute allgemein bekannt sind. Ermutigt durch die Liebe dieser Frau, gestand die Arme ihr alles, was sie verbrochen, versicherte ihr, da? sie den Makel ihrer Vergangenheit durch harte Bu?e wieder gut machen wolle und bat um das Gluck, in ein Kloster aufgenommen zu werden, um sich durch einen frommen Wandel mit Gott und den Menschen wieder zu versohnen! Die wurdige Matrone schrieb nun an mich, da sie wu?te, da? ich die Ehre habe, der nachsten Umgebung Euer Hoheit anzugehoren, und bat mich, die Arme Euer Hoheit zu empfehlen, damit sie vielleicht durch Ihre Vermittlung von der Oberin des Klosters, der Prinzessin Juliane, als Novizin in St. Hermangild aufgenommen wurde. Ich habe mich selbst uberzeugt, da? die Reue des Madchens aufrichtig ist, indem ich vorher erst ein paarmal personlich mit ihr gesprochen habe. Nicht weil sie zu alt oder zu ha?lich ware, kehrt sie auf den Pfad der Tugend zuruck; denn sie zahlt kaum achtzehn Jahre, ist sehr schon und besitzt auch einiges Geld, das sie zu einem mildtatigen Zweck hingeben will, wenn sie Aufnahme im Kloster findet.«
»Ich will mich gern fur Ihren Schutzling verwenden, liebe Grafin«, antwortete Marienblumchen, nur mit Muhe ihre Besturzung verbergend, denn sie selber hatte ja ein solches Leben gefuhrt wie die Arme, die um Gnade bat. »Das Madchen hat gefehlt, doch sie bereut – da ist es nur gerecht, sich ihrer zu erbarmen.« – »Ich hore Seine Hoheit kommen,« sagte die Hofdame, ohne die wachsende Ergriffenheit Marienblumchens zu bemerken.
Rudolf trat mit einem gro?en Rosenstrau? in der Hand ein. Die Grafin zog sich zuruck. Kaum war sie gegangen, so flog Marienblume an ihres Vaters Brust, lehnte den Kopf an seine Schulter und blieb so ein Weilchen, ohne ein Wort zu sprechen.
»Guten Tag, mein Kind!« sagte Rudolf. »Sieh die Rosen hier! Ich habe sie heute fur dich gepfluckt. Deshalb konnte ich nicht fruher kommen. Das ist wohl der schonste Strau?, den ich dir je gebracht habe.« – Er trat ein paar Schritte zuruck, um seine Tochter zu betrachten, und als er sie in Tranen sah, warf er die Blumen auf ien Tisch, nahm ihre Hande fest in die seinen und rief: »Du weinst! Was ist dir denn?« – »Nichts, mein guter Vater,« antwortete Marienblume, trocknete die Tranen und versuchte zu lacheln. – »Ich beschwore dich, sage mir, was dich betrubt!«
»Ich versichere Ihnen, lieber Vater, es ist nicht von Belang. Die liebe Grafin hat um meine Teilnahme fur ein armes Madchen geworben – und ihre Erzahlung hat mich tief geruhrt.« – »Ist's wirklich nichts weiter?« – »Weiter nichts,« sagte Marienblume und nahm das Bouquet, das Rudolf hastig aus der Hand gelegt hatte. »Welch prachtiger Strau?! Und wenn ich bedenke, da? Sie mir jeden Tag einen bringen – einen selbstgepfluckten!« – »Liebes Kind!« sagte Rudolf, angstlich seine Tochter betrachtend, »du verheimlichst mir etwas. Du lachelst so traurig und gezwungen. Sage mir doch, was dich bedruckt. La? die Blumen jetzt!«
»O, Sie wissen, ich habe die Rosen von jeher gern gehabt. Sie erinnern sich doch noch,« setzte sie mit schmerzlichem Lacheln hinzu, »des armen, kleinen Rosenstocks, von dem ich die Stucke immer aufbewahrt habe –?« – Bei dieser Erinnerung an die Vergangenheit rief Rudolf: »Ungluckliches Kind! Mein Argwohn trifft also zu. Ach, und ich hatte gehofft, du wurdest sie uber meiner vaterlichen Liebe vergessen konnen.«
»Verzeihen Sie mir, lieber Vater – diese Worte sind mir wider Willen entschlupft – ich bereite Ihnen Kummer.« – »Nein, armer Engel; doch diese Ruckblicke mussen furchterlich sein. Sie werden dein Leben vergiften, wenn du dich ihnen nicht entrei?est.« – »Mein Vater, es geschah durch Zufall – seit wir hier sind, war's das erste Mal –«
»Es ist das erste Mal, da? du mit mir daruber sprichst – aber wohl nicht das erste Mal, da? du daran denkst. Schon langst war mir deine traurige Stimmung aufgefallen, und oft schrieb ich es der Vergangenheit zu. Aber da ich nicht genau wu?te, weshalb du betrubt seiest, so konnte ich mich nicht dazu entschlie?en, von selbst das Gesprach auf diese bose Zeit zu bringen, den vernichtenden Einflu? dieser Erinnerungen zu bekampfen, dir zu beweisen, wie unbillig es ist, wenn du ihnen Gewalt uber dich einraumst. Hatte deine Betrubtheit einen andern Grund gehabt, so furchtete ich eben, in dir die Gedanken erst zu erwecken, die ich verscheucht sehen wollte. So befand ich mich in schwieriger Lage dir gegenuber. Wenn ich auch kein Wort zu dir sprach, so beschaftigte ich mich stets mit den Dingen, die dich bedrucken mochten. Durch die Eheschlie?ung, die all mein Wunschen erfullte, glaubte ich deinem Seelenfrieden einen festen Halt zu verleihen. Ich meinte, wenn deine Gedanken bei dem Umgang mit der Frau, die dich in deinem Ungluck kannte und mutterlich liebte, etwa doch zu deiner Vergangenheit zuruckkehren sollten, so wurdest du selber in dem Glauben leben, das Vergangene sei durch deine Leiden hinreichend gesuhnt, und gerecht gegen dich sein. Wenn doch meine Frau, die infolge ihrer vorzuglichen Eigenschaften die Achtung aller genie?t, dich als Tochter, ja als Schwester liebt, so mu? dich das vollig beruhigen. Sagt dir diese Liebe nicht, da? du ein Opfer des Unglucks und keine Sunderin warst, und da? du fur das Elend, das dich von der Geburt an verfolgte, nicht zur Verantwortung zu ziehen bist? Und hattest du auch gefrevelt, ware nicht alles tausendfach abgebu?t durch das Gute, das du getan hast?«
»Lieber Vater – !« – »Bitte, la? mich dir all meine Gedanken mitteilen, da einmal ein glucklicher Zufall das Gesprach auf diesen Gegenstand gelenkt hat. Lange schon wollte ich davon sprechen, nur fand ich das Herz nicht dazu. Moge es nun wenigstens von heilsamem Einflu? sein. Ich habe an dir eine so heilige Aufgabe zu erfullen, ich habe dich fur soviel erlittnen Jammer zu entschadigen, da? ich sogar meine Liebe zu Frau von Harville, meine Freundschaft zu Murph bezwungen hatte, wenn ich hatte glauben mussen, ihre Anwesenheit wurde dich zu schmerzlich an die Vergangenheit mahnen.«
»Wie konnen Sie das glauben, lieber Vater? Die Anwesenheit dieser guten Menschen, die wissen, was ich war, und mich dennoch lieben, bildet ja gerade ein deutliches Zeichen des Vergessens und Verzeihens. Wie konnen Sie nur von einer Aufgabe mir gegenuber, von Opfern um meinetwillen sprechen?« – »Kind, bis zu dem Augenblick, wo du mir zuruckgegeben wurdest, war dein ganzes Leben nichts als Jammer, Schmerz und Not, und alles, was du zu erdulden hattest, werfe ich mir selber vor, als hatte ich's verschuldet. Mein einziger Wunsch ist daher, dich so glucklich zu machen, wie du unglucklich warst, dich so zu erheben, wie du erniedrigt worden, und ich glaube, die letzten Spuren der Vergangenheit sollten ausgemerzt sein, wenn du siehst, da? dir die ehrenhaftesten, vorzuglichsten Personen die Ehrerbietung bezeigen, die dir zukommt –«
»Mir zukommt? O, nein, mein Vater, nicht mir, sondern nur dem Range, oder vielmehr dem, der ihn mir wiedergegeben –« – »Nicht um deines Ranges willen achtet man dich, sondern um deiner selbst willen. Es gibt Huldigungen, die dem Stande, aber auch andere, die der Anmut und Schonheit gebracht werden. Du kannst darin nur deshalb nicht unterscheiden, weil du dich selbst nicht kennst und nicht wei?t, wieviel naturlichen Geist und Takt du besitzest – Eigenschaften, die mich stolz auf dich machen. Du findest dich in diese dir so neuen und schweren Formen des Zeremoniells mit einer Wurde und Schlichtheit, die dir die Wertschatzung der hochmutigsten Standespersonen erworben hat.«
»Man liebt Sie so sehr, Vater, da? man mir Achtung entgegenbringt, nur um Ihnen zu gefallen –« – »Keinesfalls, mein Kind,« antwortete der Furst. »Ich wiederhole, du wei?t selber nicht, welche gottlichen Eigenschaften du hast. In funfzehn Monaten war deine Erziehung soweit beendet, da? selbst die gewissenhafteste