ist alles, alles verloren, und ich bin tatsachlich der unglucklichste Mensch, wenn mein Vater die Absicht, mit der er sich tragt, nicht aufgibt...

Latz Dir erzahlen, was vorgegangen ist ...

Eben bin ich mit dem Briefe an Dich fertig, und wollte ihn zur Post geben, als der Vater, von dem ich meinte, er schliefe in seinem Zimmer, zu mir in sein Privatkabinett tritt, wohin ich mich zuruckgezogen, um Dir zu schreiben. Kaum sah er den vollbeschriebenen Briefbogen liegen, als er mir mit freundlichem Lacheln die Frage stellte, an wen ich geschrieben habe?

»An meinen Freund Max,« antwortete ich.

»O! da? er dir ein guter Freund ist und dein volles Vertrauen genie?t, wei? ich ja,« antwortete der Vater, »er ist ein recht glucklicher Mensch!« setzte er hinzu, und mir horten sich die letzten Worte so an, als ob er einen leichten Vorwurf hineinlegen wolle ...

Mich beruhrte das so eigentumlich, da? ich, ohne zu uberlegen, ihm den Brief, der fur Dich bestimmt war, reichte und ihn bat, doch zu lesen, was ich geschrieben hatte.

Freund! Er hat alles gelesen, Wort fur Wort; und wei?t Du, was er zu mir sagte, nachdem er eine Zeitlang, in Nachdenken versunken, dagesessen hatte?

»Ich will dir was sagen, Heinrich,« sagte er, »ich werde dem Gro?herzog uber alles, was in Gerolstein vorgefallen, unverzuglich berichten.«

»Vater, um Gottes willen nicht!« rief ich erschrocken.

»Es verhalt sich doch alles, was du hier niedergeschrieben, der Wahrheit gema??«

»Gewi?, Vater!«

»Dann hast du dich wie ein Ehrenmann betragen, Heinrich, und das wird der Gro?herzog schon zu wurdigen wissen. Aber du sollst dich auch weiterhin des dir bewiesenen Wohlwollens wurdig zeigen, und das konnte leicht nicht der Fall sein, wenn du von seinem Anerbieten insoweit Mi?brauch triebest, nach Gerolstein zuruckzufahren und dich mit seiner Tochter in ein Verhaltnis einzulassen.«

»Aber, Vater, wie konnen Sie glauben?«

»Soviel ich sehe, bist du leidenschaftlich verliebt, und Leidenschaft wird fruher oder spater zur schlimmen Ratgeberin.«

»Vater, also wollten Sie dem Gro?herzog schreiben?«

»Da? du in deine Base narrisch verschossen bist!«

»Das wurde mich unglucklich machen, Vater!«

»Nun, bist du verliebt in deine Base oder nicht?« fragte der Vater.

»Ich bete sie an – aber –«

»Nun, dann mu? ich dem Gro?herzog schreiben, mu? fur dich um die Hand seiner einzigen Tochter anhalten.«

»Vater, an diese Moglichkeit zu denken, ist fur mich doch Wahnsinn!«

Aber mein Vater fiel mir ins Wort, indem er seinen ersten Gedanken weiter spann: »Mag sein. Und doch mu? ich dem Gro?herzog uber die Sache reinen Wein einschenken. Was mich dazu bestimmt, werde ich ihm auseinandersetzen. Er hat dich mit herzlicher Gastfreundschaft aufgenommen, hat dir alle erdenkliche Gute und Liebe erwiesen. Ihn zu tauschen, ware weder deiner noch meiner wurdig. Ich wei?, wie sehr er die Offenheit liebt. Ich zweifle ja nicht im geringsten, da? er deinen Antrag abschlagig bescheiden wird; aber du wirst dann zum wenigsten wissen, da? du dich der Prinzessin nicht mehr in so ungezwungener Weise nahern darfst.« – Nach einer Weile fuhr mein Vater fort: »Du hast mich den Brief, den du an deinen Freund geschrieben hast, unaufgefordert lesen lassen. Das verdient meinerseits unverhohlene Anerkennung... Aber da ich durch diesen Brief alles erfahren habe, was mit dir vorgegangen ist; da ich nun den Zustand deines Herzens kenne, ist es Pflicht fur mich, den Gro?herzog in Kenntnis zu setzen, Pflicht auch gegen dich um deiner Herzensruhe willen... Und diese Pflicht werde ich ohne Saumen erfullen.« Am zehnten Tage, abends.

Lieber Freund! Du wei?t, mein Vater ist der beste Mensch auf Gottes Erde, aber von eisernem Willen, wenn es sich um irgend einen Fall handelt, den er fur seine Pflicht halt. Du wirst Dir also ausmalen konnen, welche Unruhe und Angst mich befallen hat ... Offen und ehrenhaft ist ja der Schritt, den er tun will, ganz ohne Frage, und doch bedruckt er mich unsaglich ...

Wie wird der Gro?herzog solch wahnwitziges Begehren auffassen? Wird er sich nicht verletzt dadurch fuhlen? Und wird seine Empfindung nicht von der Prinzessin geteilt werden? ... Wird sie nicht alles Recht dazu haben, mir zu zurnen, da? ich meinen Vater mit solcher Erklarung an den Gro?herzog herantreten lasse, ohne vorher ihre Einwilligung dazu zu erbitten?

O, bedauere mich, Freund! beklage mich! Wei? ich doch nicht, was ich denken soll! Kommt es mir doch vor, wie wenn ich in einen Abgrund hinunter starrte ... als ob mich ein gefahrlicher Schwindel erfa?te...

La? mich schlie?en, Freund! Der Brief hat eine unheimliche Lange bekommen ... und zehn volle Tage habe ich gebraucht, ihn zu vollenden ... Ich hatte schneller damit fertig sein sollen; aber es ist mir nicht moglich gewesen, anders als bruchstuckweis an ihn zu schreiben... Noch einmal, Freund, beklage mich, denn wenn dieses Fieber noch langer in mir rasen sollte, dann furchte ich um meinen Verstand... Drum lebe wohl, Freund, drum lebe wohl! Von ganzem Herzen und auf alle Zeit

Dein treuer Freund Heinrich, Prinz von Herkausen-Oldenzaal.

Und nun moge uns der Leser nach dem Schlosse Gerolstein begleiten, das unsre schone und liebe Freundin, fruher Schalldirne, dann Marienblumchen, jetzt Prinzessin Amalie als einzige Tochter des Gro?herzogs Gunther Rudolf von Gerolstein beherbergt...

Vierzehnter Teil.

Erstes Kapitel.

Prinze? Amalie.

Rudolf hatte das Zimmer, das Marienblumchen oder, wie wir sie jetzt ihrem Stande nach nennen mussen, Prinze? Amalie inne hatte, sehr geschmackvoll und vornehm einrichten lassen. Vom Balkon des Betzimmers erblickte man die beiden Turme des Klosters der heiligen Hermangild. Ueber diesen wieder ragte ein bewaldetes Gebirge, an dessen Fu? die Abtei lag.

Es war an einem schonen Morgen, da sah Marienblumchen uber diese reizende Landschaft hin, die sich malerisch vor ihren Augen ausdehnte. Sie hatte sich sehr schlicht frisiert und trug ein hellblau gestreiftes, leichtes Fruhlingskostum. Sie sa? in einem kunstvoll geschnitzten Armstuhl aus Ebenholz, der mit rotem Sammet gepolstert war, stutzte den Arm auf die Lehne und lie? den Kopf in der wei?en, von lichtblauen Adern durchzogenen Hand ruhen.

An ihrer gedruckten Haltung, der Blasse ihres Gesichts, dem starren Blick und einem bittern Lacheln war leicht zu erkennen, da? sie sich in tieftrauriger Stimmung befand. Sie seufzte, die Hand sank in den Scho?, der Kopf fiel auf die Brust herab. Es schien, als neige sie sich unter der Last eines ubergro?en Unglucks.

Eine altliche Dame von ernster, vornehmer Erscheinung trat herein und rausperte sich, um Marienblume auf sich aufmerksam zu machen. Amalie erwachte aus ihrer Traumerei und gru?te die eintretende Frau. »Was bringen Sie, liebe Grafin?« fragte sie. – »Seine Hoheit lassen bitten, ihn zu erwarten. Er wird in einigen Minuten hier sein,« antwortete die Hofdame der Prinzessin. – »Eben dachte ich voller Verwunderung daran, da? ich heute meinen Vater noch nicht ans Herz drucken durfte. Taglich erwarte ich ihn am Morgen voller Sehnsucht. Hoffentlich habe ich das Vergnugen, Sie, liebe Grafin, nun zwei Tage nacheinander bei mir zu sehen, mir nicht dahin zu deuten, da? Fraulein von Harneim erkrankt ware?«

»Euer Hoheit konnen beruhigt sein,« antwortete die Grafin, »Fraulein von Harneim hat mich nur gebeten, sie zu vertreten. Sie wird die Ehre haben, morgen wieder den Dienst bei Euer Hoheit selbst zu versehen. Hoheit

Вы читаете Die Geheimnisse von Paris
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату