unterhielten wir uns mit der Musik. Die Gro?herzogin sang vorzuglich. Mir fiel in der Regel die Aufgabe zu, sie zu begleiten. Auch meine Base sang viel: sie hatte eine sehr hubsche Stimme, sang unvergleichlich rein, und ich mu? sagen, da? ich mich von keinem Gesange so im tiefsten Inneren erschuttert gefuhlt habe wie durch den ihren. Oft auch besuchten wir die hochst wertvollen Sammlungen des Fursten, die Gemalde- und Kupferstich-Sammlungen oder seine uberreiche Bibliothek. Wurde im Hoftheater eine Oper gespielt, begleitete ich in der Regel die gro?herzogliche Familie in ihre Loge.

Die Tage vergingen mir wie ein schoner Traum; allmahlich behandelte mich meine Base mit geschwisterlicher Vertraulichkeit, sie machte kein Hehl aus ihrem Vergnugen, mich um sich zu sehen, vertraute mir, was sie interessierte, bat mich hin und wieder sie zu begleiten, wenn sie mit der Gro?herzogin die Waisenhauser besuchte, sprach mit mir von meiner Zukunft mit einem ernsten und uberlegten Interesse, das mich bei einem jungen Madchen von ihrem Alter befremdete, liebte es, mich uber meine Kindheit, uber meine, ach, so oft beweinte Mutter zu befragen. So oft ich meinem Vater schrieb, bat sie mich, ihn von ihr herzlich zu gru?en; – zuletzt ubergab sie mir fur ihn eine herrliche Stickerei, an der sie lange gearbeitet hatte. Was soll ich Dir noch sagen, mein Freund! ein Bruder und eine Schwester, die sich nach jahrelanger Trennung wiedergefunden haben, konnen sich nicht vertrauter bewegen. –

Am achten Tage, morgens.

Vielleicht wunderst Du Dich uber ein derartiges Verhaltnis, Freund, zwischen zwei jungen Leuten, besonders nach den Bekenntnissen, wie ich sie gemacht, je offener und vertrauensvoller mir meine Base aber entgegentrat, desto eifriger war ich auf meiner Hut, desto scharfer hielt ich mich im Zugel, weil mich die Furcht ergriff, dieser traute Umgang konne sonst abgebrochen werden – und, ach! er war mir Lebensbedurfnis geworden. –

Was meine Zuruckhaltung noch mehrte, war der Umstand, da? meine Base mir so ganz ungezwungen, so wahrhaft freundschaftlich entgegentrat, da? ich mir kaum noch zweifelhaft daruber war, da? sie meine Leidenschaft fur sie uberhaupt nicht geahnt hat ...

Immerhin bin ich mir in dieser Hinsicht noch nicht so unbedingt sicher, und zwar infolge eines Umstandes, den ich Dir auf der Stelle auseinandersetzen will ...

Hatte namlich unsre geschwisterliche Vertraulichkeit unbeanstandet fortbestehen konnen, dann ware mir solches Gluck vielleicht ausreichend gewesen. Aber eben weil ich in Wonne daruber schwebte, kamen mir Gedanken, da? mein Dienst in der neuen Laufbahn, die der Furst mir anempfohlen hatte, mich nach Wien oder anderswohin ins Ausland rufen konnte; auch, da? der Tag kommen konnte, an welchem der Gro?herzog sich hinsichtlich einer standesgema?en Vermahlung seiner einzigen Tochter entscheiden mochte.

Mir bereiteten diese Gedanken eine um so gro?ere Qual, als der Augenblick meiner Abreise von Gerolstein immer naher ruckte. Meiner Base fiel die Veranderung, die mit mir vor sich ging, sehr bald auf. Sie sagte mir, es kame ihr so vor, als ob ich seit einiger Zeit verdrie?lich, verstimmt sei. Ich suchte ihren Fragen auszuweichen, erklarte meine trube Stimmung damit, da? mich seit ein paar Tagen eine gewisse Unruhe uber die Gestaltung meiner Zukunft befallen hatte.

»Aber daran zu glauben,« erwiderte sie, »fallt mir recht schwer, denn soviel ich wei?, will doch mein Papa sich an verschiedene ihm befreundete Herren wenden, um Ihnen die Wege ebnen zu helfen ... Ich dachte, er behandelte Sie liebevoll wie seinen Sohn? Und kommt Ihnen nicht sonst alles mit Liebe entgegen? Ich sollte meinen, Sie hatten doch weder einen Grund, sich um Ihre Zukunft zu sorgen, noch sich anderswie unglucklich zu fuhlen!«

Ich konnte meiner Stimmung nicht Herr werden und antwortete: »Nun, Mi?stimmung ist's ja eigentlich auch nicht, die mich beherrscht, sondern mehr ein Kummer, der auf mich wirkt.«

»Und weshalb?« fragte sie mich teilnahmsvoll, »ist Ihnen denn etwas Unangenehmes passiert?«

»Liebe Base, eben sagten Sie, Ihr Herr Vater behandle mich wie einen Sohn, und alles kame mir hier mit Achtung und Liebe entgegen ... Nun, binnen kurzem werde ich mich all diesen Verhaltnissen entziehen und – Gerolstein verlassen mussen ... Und das ist's, was mich bedruckt – das ist's, was mir die Lust am Leben verleidet.«

»Ist Ihnen die Erinnerung denn so ganz gleichgiltig? gilt Ihnen die Erinnerung an Personen, die uns einst lieb und wert waren, so wenig?«

»Das will ich nicht sagen,« erwiderte ich, »aber es gibt Ereignisse, die oft gar viele jahe Veranderungen herbeifuhren ..«

»Nun, es gibt aber auch Neigungen, die dauerhaft sind, die uber dem Wechsel der Zeiten stehen ... und eine solche Neigung durfte wohl die sein, die mein Vater zu Ihnen hegt ... und wohl auch diejenige, die in meinem Herzen fur Sie lebt ... Sie wissen wohl, Vetter, da? Bruder und Schwester sich eigentlich niemals im Leben entfremden sollen!«

Dabei sah sie mich mit ihren gro?en blauen Augen so innig an, da? wenig fehlte, so ware ich ihr zu Fu?en gesturzt ... Ich stand wirklich auf dem Punkte, mich zu verraten. Ihr Blick machte mich ganz verwirrt. Zum Gluck gelang es mir noch einmal, mich zu beherrschen.

»Wohl wahr,« antwortete ich, »da? es Neigungen gibt, die von Dauer sind; aber die Beziehungen zueinander kommen in andere Bahnen, die Stellung, die der Mensch innehat, verandert sich ... Meinen Sie zum Beispiel, Base, da? zwischen uns, wenn ich nach Jahren zuruckkame, dies liebe, traute Verhaltnis, wie es jetzt herrscht, fortleben wurde?«

»Und warum sollte es nicht der Fall sein konnen?« fragte sie.

»Weil Sie dann doch gewi? schon vermahlt sein wurden!« rief ich, »weil Sie dann andere Verpflichtungen, andere Rucksichten haben werden, weil Sie fur Ihr armes Bruderchen dann wohl kaum noch einen Gedanken frei haben mochten!«

Am neunten Tage, mittags.

Ich schwore Dir, Freund! kein Wort weiter habe ich gesagt und wei? nicht, ob sie in den Worten ein Gestandnis gefunden, das sie verletzt hat, oder ob sie, wie ich, traurig ergriffen war von dem Gedanken an die Wendungen, die die Zukunft in unsere Beziehungen bringen mu?te, – statt mir zu antworten, verharrte sie einen Augenblick in Schweigen, dann stand sie plotzlich auf, sie war bleich, tief ergriffen, und nachdem sie einige Augenblicke lang die Stickerei der jungen Grafin von Oppenheim, einer ihrer Ehrendamen, betrachtet hatte, die wahrend unsers Gesprachs in einer Fensternische gesessen, ging sie fort.

Am Abend erhielt ich von meinem Vater abermals einen Brief, der mich hierher zuruckrief. Am andern Morgen begab ich mich zum Gro?herzoge, um mich zu verabschieden. Er sagte mir, da? seine Tochter leidend sei, da? er es ubernehmen wolle, ihr meine Gru?e zu bestellen; dann umarmte er mich vaterlich, bedauerte meine schnelle Abreise, beklagte den wankenden Gesundheitszustand meines Vaters, kam wieder auf die neue Laufbahn zu sprechen, die ich antreten sollte, und fugte hinzu, da? er mich gern wieder in Gerolstein sehen werde. Bei meiner Ankunft hier fand ich zu meiner Freude den Vater bei besserer Gesundheit, wenn er auch noch immer recht schwach und angegriffen ist. – Leider entging ihm meine Niedergeschlagenheit nicht, und er drang wiederholt, wenn auch vergebens, in mich, ihm die Ursache meines Kummers anzuvertrauen. Ich wagte es nicht; – Du kennst seinen strengen Widerwillen gegen alles, was irgendwie nach Verstellung oder Heimlichtuerei aussieht.

Am zehnten Tage, morgens.

Gestern habe ich allein bei ihm gewacht. Ich dachte, er sei eingeschlafen. Mich befielen trube Gedanken, und die Tranen waren mir nahe ... Die Erinnerung an die schonen Gerolsteiner Tage stimmte mich ganz trubselig.

Mein Vater sah, da? ich dem Weinen nahe war, wahrend ich, in meinen Kummer vertieft, nicht merkte, da? er wach war.

Da fragte er mich in seiner ruhrenden Gute, was mir sei. Ich sagte, die Unruhe uber sein Befinden stimmte mich so weich, aber er lie? sich durch diese Ausflucht nicht irre fuhren ...

Und nun, Freund, da Du alles wei?t, nun sage mir selbst: Ist meine Situation nicht verzweifelt? Was soll ich beginnen? Wozu soll ich mich entschlie?en? ...

Am zehnten Tage, mittags.

Nein, es ist mir nicht moglich, Dir die Angst zu beschreiben, die ich fuhle! Was wird noch werden? Fur mich

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