»Es war auch entzuckend,« sagte sie, »ich konnte nicht sagen, wie mich die klagenden Weisen ergriffen haben.«
»Ein rechtes Gluck, Base,« sagte ich, »da? Sie die rechten Worte nicht finden, die solch trauriger Melodie zum Ausdruck verhelfen.«
Ob nun meine Rede sie verletzt hatte, oder ob sie mir ausweichen wollte, oder vielleicht auch gar nicht gehort hatte, was ich sagte, sie zeigte plotzlich auf den Gro?herzog, der am Arme der Erzherzogin durch den Ballsaal schritt ..
»O, sehen Sie doch nur meinen Papa – sehen Sie nur, wie schon er ist, Vetter, und welch edlen Ausdruck sein Gesicht zeigt ... Mir scheint, jedermann musse ihn weit mehr lieben als verehren.«
»O,« rief ich, »nicht allein hier am Hofe genie?t er Liebe. Klingen Segnungen eines Volkes zur spaten Nachwelt hinuber, dann wird der Name Rudolf von Gerolstein mit Recht der Unsterblichkeit angehoren.«
Es war aufrichtige Begeisterung, die mir solche Worte in den Mund legte – Du wei?t ja selbst, Freund, da? man das Reich des Fursten als Deutschlands Paradies bezeichnet ...
Dir den dankbaren, liebevollen Blick zu schildern, den meine Base mir zuwarf, ware, fur mich wenigstens, ein Ding der Unmoglichkeit.
Tief ergriffen, sagte sie: »Aus der Verehrung, die Sie meinem Vater entgegenbringen, ersehe ich, wie wurdig Sie der Zuneigung sind, die er fur Sie im Herzen tragt.«
»Es kann ihn niemand aufrichtiger bewundern, niemand ihn inniger lieben als ich,« versetzte ich, »hat er nicht au?er den seltenen Eigenschaften, die einen gro?en Herrscher ausmachen, auch jenen Geist der Gute, der solche Fursten zum Gott ihres Volkes macht?«
»O, Sie sprechen ja nur zu wahr,« rief die Prinzessin, abermals tief bewegt.
»Ach, ich wei? es, und jeder seiner Untertanen wei? es ebensogut wie ich ... jeder fuhlt mit ihm Freude und Schmerz, und jeder beeifert sich, der Frau von Harville, die er sich zur Gattin erkoren, die innigsten Huldigungen entgegenzubringen ... jeder preist sich glucklich, sie als kunftige Gro?herzogin zu begru?en.«
»O, diese Frau ist der Liebe meines Vaters wurdiger als jede andere, sei sie auf noch so hoher Stufe geboren ... ihr ein schoneres Lob Ihnen gegenuber zu spenden, ware niemand moglich.«
»Und Sie durfen sich wohl ein Urteil erlauben,« sagte ich, »denn Sie kannten die Frau Marquise doch schon in Frankreich, Base.«
Kaum waren diese Worte aus meinem Munde, als Amalie die Augen zu Boden senkte und ihre Zuge auf die Zeit einiger Sekunden den Ausdruck einer tiefen Traurigkeit zeigten, die mich stumm vor Ueberraschung machte ..
Wir waren gerade mit der letzen Figur der Quadrille zu Ende. Einen Moment hatte sie uns getrennt ... und als ich sie jetzt zu der Marquise zuruckfuhrte, hatten sich ihre Zuge noch nicht wieder aufgehellt.
Am sechsten Tage, morgens.
Ich war der Meinung und glaube es noch, da? meine Anspielung auf Amaliens Vergangenheit in Frankreich ihr jenen schmerzlichen Eindruck verursacht hatte, von dem ich Dir eben erzahlte. Vielleicht, weil sie dadurch an den Tod ihrer Mutter erinnert wurde?
Wahrend dieses Abends bemerkte ich einen Umstand, der Dir kindisch erscheinen mag, mir aber einen neuen Beweis fur die Zuneigung, die dieses Madchen allen einflo?t, gebracht hat. – Ihr Perlenreif hatte sich etwas verschoben, die Erzherzogin Sophie, der sie gerade den Arm gab, war so gutig, ihr den Schmuck wieder zu richten. Fur den sprichwortlich gewordenen Stolz der Erzherzogin war eine solche Aufmerksamkeit fast nicht zu glauben. Auch schien die Prinzessin, die ich genau beobachtete, in diesem Augenblick so verlegen, – ich mochte fast sagen, betroffen uber diese liebenswurdige Aufmerksamkeit, da? ich eine Trane in ihren Augen zu sehen meinte.
So verlief, Freund! mein erster Abend zu Gerolstein. Wenn ich ihn Dir mit allen seinen Einzelheiten erzahlt habe, so habe ich es darum getan, weil alle diese Umstande spater fur mich von ernsten Folgen sein sollten.
Am sechsten Tage, abends.
Von nun ab werde ich mich kurzer fassen, Dir nur noch ein paar besondere Umstande, die mein ofteres Zusammensein mit der Prinzessin und ihrem Vater betreffen, mitteilen.
Am Morgen nach diesem Feste war ich unter der sehr kleinen Zahl von Personen, die zur Vermahlung des Gro?herzogs mit der Marquise von Harville geladen waren. Nie habe ich Amalien glucklicher und frohlicher gesehen als wahrend dieser feierlichen Handlung. Sie lie? keinen Blick von ihrem Vater und der Marquise und betrachtete beide mit einer Art frommen Entzuckens, das ihrem Antlitz einen neuen Reiz verlieh – man hatte sagen konnen, das unaussprechliche Gluck des Fursten und der Marquise spiegelte sich darauf wider.
An diesem Tage war meine Base sehr mitteilsam. Ich fuhrte sie auf dem Spaziergange, der nach dem Diner durch die prachtig beleuchteten Garten gemacht wurde, am Arme.
»Ich glaube,« sagte sie mit Bezug auf die von ihrem Vater beschlossene Verbindung, »da? uns das Gluck von Menschen, denen unsere Liebe gehort, noch su?er ist, als unser eigenes Gluck; denn in dem Genusse personlichen Gluckes liegt immer ein Teil von Selbstsucht.«
Wenn ich Dir diese Bemerkung meiner Base anfuhre – lieber Freund, so geschieht es, damit Du das Gemut dieses anbetungswurdigen Geschopfes kennen lernest, das, wie das ihres Vaters, den Geist der Gute in sich tragt.
Am siebenten Tage, morgens.
Ein paar Tage nach der feierlichen Hochzeit zog mich der Gro?herzog in ein langeres Gesprach, fragte mich, welche Plane ich fur meine Zukunft hatte, wie sich mein bisheriges Leben gestaltet hatte. Er gab mir weise Ratschlage, die schmeichelhaftesten Ermutigungen, brachte die Rede auf verschiedene Ma?nahmen, die er in seinem Lande zu treffen gedachte, und bewies mir dabei ein so hohes Vertrauen, da? ich gerechterweise stolz sein durfte. Da? ich mich dadurch au?erordentlich geschmeichelt fuhlte, werde ich Dir, lieber Freund, nicht erst zu sagen brauchen. Aber da? mich auf Augenblicke doch ein Gedanke beschlich – nenne ihn meinetwegen toricht, Freund! – kann ich Dir ebenfalls nicht verhehlen ... Ich meinte auf Momente, der Furst habe erraten, was in meinem Herzen vorging, und verfolge mit seiner Weise, sich mit mir zu befassen, die Absicht, mich zu sondieren, vielleicht sogar, mich zu einer Offenbarung zu bestimmen?
Leider war diese vage Hoffnung von keiner langen Dauer. Der Furst beendigte das Gesprach mit der Meinung, er halte die Zeit der gro?en Kriege fur beseitigt, und er mochte es fur gut halten, wenn ich meinen Namen, die Bildung, die ich genossen, und die Freundschaft, die meinen Vater mit dem Fursten Metternich verbande, wahrnahme, um an Stelle der militarischen die diplomatische Laufbahn zu verfolgen, denn alle Fragen, die einst auf der Walstatt ausgetragen worden, durften hinfort in den Kanzleien der Diplomatie zur Losung gelangen, zudem ja solche Form der Erledigung weit mehr im eigentlichen Interesse der Volker lage; darum glaube er mit Bestimmtheit, da? es in Zeit von wenigen Jahren einem erhabenen, erleuchteten Geiste vorbehalten sein werde, eine gro?e, herrliche Rolle in der Politik zu spielen und fur die Welt mehr Segen zu stiften als all seine Vorganger ...
Er bot mir seine Verwendung und Fursprache an, soweit er mir die Anfange der neuen Laufbahn erleichtern konne, und bat mich mit wirklich recht dringenden Worten, seinem freundlichen Rate zu folgen ...
Da? mir der Gro?herzog, falls er andere Plane mit mir gehabt hatte, derartige Mitteilungen nicht gemacht hatte, wirst Du ebensogut begreifen, Freund, wie ich mir das auf der Stelle sagte ... Ich dankte ihm lebhaft fur seine Gute und erklarte, da? ich mich seinem Rate selbstverstandlich fugen wurde ...
Am siebenten Tage, abends.
In den ersten Tagen hatte ich bei all meinen Besuchen im Palaste mich der gro?ten Zuruckhaltung beflei?igt. Der Gro?herzog bestand jedoch darauf, da? ich mich gro?erer Ungezwungenheit beflei?ige, und so fugte es sich bald, da? ich fast immer schon um drei Uhr nachmittags mich einfand.
Das Leben im gro?herzoglichen Schlosse spielte sich in der anmutigen, uberaus schlichten Weise der deutschen Hofe ab, an das Leben in den gro?en Schlossern Englands erinnernd, indessen noch anheimelnder durch den wirklich gemutvollen Ton und die wohltuende Ungezwungenheit der deutschen Sitte.
Sobald es das Wetter erlaubte, unternahmen wir lange Spazierritte mit dem Gro?herzoge und seiner jungen Gemahlin, meiner Base und den Kavalieren des Hauses. Waren wir gezwungen, im Schlosse zu verweilen,