blieb ein paar Minuten lang stehen, ohne da? ich es wagte, zu der holden Erscheinung aufzusehen. Und als ich es endlich wieder wagte, war sie in eine Unterhaltung mit der Erzherzogin Sophie vertieft, die ihr mit der wohlwollendsten Teilnahme zuzuhoren schien.
Liszt machte in seinem Spiele eine Pause von ein paar Minuten. Er sollte drei Piecen spielen. Die kurze Unterbrechung nahm der Gro?herzog wahr, ihm auf die liebenswurdigste Weise seinen Beifall auszudrucken.
Als er auf seinen Platz zurucktrat, sah er mich, nickte mir huldreich zu und sagte, auf mich zeigend, ein paar Worte zu der Erzherzogin, die mich nun auch ansah und dann ihrerseits ein paar Worte zu dem Gro?herzoge sagte, der sich, wie ich deutlich zu sehen meinte, eines Lachelns nicht enthalten konnte, dann ihr antwortete und ein paar Worte an die Prinzessin richtete. Mir kam es so vor, als ob sie sich verlegen oder doch beklommen fuhlte, ja als ob sich wieder eine leichte Rote uber ihre Wangen schliche ...
Ich kam mir vor wie auf der Folter. Es war mir im hochsten Grade zuwider, da? mir die Etikette wehrte, vor Beendigung des Konzertes den Platz, den ich inne hatte, zu wechseln. Zum Gluck begann Liszt sein Spiel wieder. Ein paarmal sah ich noch verstohlen zu der Prinzessin hinuber, die mir nachdenklich und, wie ich nicht anders sagen kann, fast verstimmt vorkam. Mir schnurte diese Beobachtung das Herz zusammen. Ich meinte nicht anders, als da? ich die Ursache zu der Mi?stimmung, die sie fuhlte, sei. Irgendwelche Schuld daran traf mich freilich nicht, denn ich hatte mir meinen Platz doch nicht selbst aufgesucht ... aber ich glaubte, die Ursache zu dieser Verstimmung zu erraten ...
Wahrscheinliche hatte der Gro?herzog sie gefragt, ob sie mich nach jenem Portrat »des Vetters aus alter Zeit« wiedererkenne, ob sie eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Bild und Original noch fande ... vielleicht machte sie sich in ihrer Harmlosigkeit einen Vorwurf daruber, mich nicht gleich erkannt und selbst darauf hingewiesen zu haben, da? dies der Fall sei.
Endlich war das Liszt-Konzert vorbei. Ich folgte dem Adjutanten. Er geleitete mich zum Gro?herzoge, der so liebenswurdig war, mir ein paar Schritte entgegenzukommen, mich huldvoll bei der Hand nahm und zu der Erzherzogin Sophie fuhrte ...
»Sie erlauben wohl, gnadige Hoheit, da? ich Ihnen meinen Vetter, den Prinzen Heinrich von Herkausen- Oldenzaal, vorstelle?«
»Ich meine, den Prinzen schon in Wien gesehen zu haben,« erwiderte die Erzherzogin, »und ihn wiederzusehen, bereitet mir aufrichtige Freude.«
Darauf wandte der Gro?herzog sich zu seiner Tochter ... »Liebe Amalie,« sagte er, »du mu?t nun auch unsern lieben Prinzen Heinrich kennen lernen, den Sohn des Prinzen Paul, meines liebsten Freundes, der zu meinem Leidwesen heute von Gerolstein fern sein mu?.«
»Sie lassen Ihren Herrn Vater wohl wissen,« setzte meine Cousine liebenswurdig hinzu, »da? auch ich es lebhaft beklage, ihn zu meinem Ehrentage nicht in meines gutigen Vaters Nahe zu sehen.«
Nie zuvor hatte ich den su?en Klang ihrer Stimme gehort ... Stelle Dir vor, Freund, Du hortest einen jener harmonischen Herzensakkorde, die alle Fibern einer Menschenseele erzittern machen! ... Aber was fur triviale Redensarten schreibe ich da! Du siehst, wie machtlos meine Feder ist, zu Papiere zu bringen, was ich empfunden habe!
Am vierten Tage, mittags.
Es war mir nicht moglich, Freund, Dir weiter zu schreiben. Meine Empfindungen sturmten so wild in der Brust, da? es mich hinaustrieb, mir im Freien Ablenkung zu suchen.
Der Gro?herzog richtete wieder das Wort an mich.
»Lieber Heinrich,« sagte er, »hoffentlich verweilen Sie einige Zeit bei Ihrer Tante, die ich – ich brauche es Ihnen wohl nicht erst zu sagen – verehre und liebe wie eine Mutter ... Kommen Sie morgen, wenn wir den Empfangstag mit seiner Formlichkeit hinter uns haben, zu uns aufs Schlo?! Verkehren Sie ganz bei uns wie in der Familie. Machen Sie mit uns Ausfahrten, gehen Sie mit uns spazieren, essen Sie bei uns ... Sie wissen ja doch, lieber Heinrich, da? Ihnen meine Wertschatzung immer gehort hat, da? ich in Ihnen eines unserer tuchtigsten Familienmitglieder erblicke.«
»Konigliche Hoheit, ich wei? wirklich nicht, wie ich fur all dieses Wohlwollen mich dankbar erweisen soll.«
»Das konnen Sie leicht haben, lieber Heinrich!« erwiderte der Gro?herzog, und ich meinte, einen schelmischen Zug in sein Gesicht treten zu sehen ... »bitten Sie Ihre Cousine um die zweite Quadrille ... Die erste gehort von Rechts wegen dem Erzherzoge.«
Ich trat zur Prinzessin Amalie, verneigte mich tief und fragte, beklommenen Herzens – wie ich Dir mit heiligem Ernste versichere, lieber Freund:
»Darf ich gnadige Hoheit bitten, mir solche Gunst zu gewahren?«
»Aber, Kinder,« rief der Gro?herzog launig, »tituliert euch doch nach alter deutscher Sitte einfach Vetter und Base! Solch steifes Zeremoniell schickt sich doch nicht unter engen Verwandten!«
»Nun, liebe Base,« fragte ich noch einmal, »darf ich auf die zweite Quadrille rechnen?«
»Mit Vergnugen tanze ich sie mit Dir, Vetter!« antwortete Amalie.
Am funften Tage, morgens.
Ich kann Dir wirklich nicht sagen, wie glucklich mich die vaterliche Zuneigung des Gro?herzogs macht ... wie wohl es mich beruhrt hat, als er mich aufforderte, die strengen Formeln der Etikette beiseite zu setzen und mich als Familienmitglied ungezwungen zu bewegen ... Eine innige Dankbarkeit erfullt mich. Aber um so ernstere Vorwurfe mache ich mir, da? ich Liebe zu der Prinzessin fuhle, denn ich verhehle mir nicht, da? hierdurch ernste Verwickelungen fur uns entstehen konnen ... kann doch der Gro?herzog sie unter keinen Umstanden billigen!
Ich hatte den festen Vorsatz gefa?t, nie ein Wort zu sprechen – das meiner Cousine die Vermutung nahe legen konnte, da? ihr mein Herz entgegenschlagt ... ich furchtete jedoch, ich mochte mich durch meine Blicke oder meine Aufregung verraten – und trotzdem ich willens war, diese Empfindung in meinem Herzen zu vergraben, kam ich mir doch schuldbewu?t vor.
Die Prinzessin tanzte mit dem Erzherzog Stanislaus die erste Quadrille. Ich hatte also Mu?e, meine Betrachtungen anzustellen. Wie uberall, ist auch hier der Tanz einer Quadrille nichts anderes als ein Spaziergang nach dem Takte der Musik, aber das mu?te jedermann erkennen, da? sich eine elegantere Quadrilletanzerin, eine graziosere Figur unmoglich finden lie?, als die Prinzessin Amalie.
Mit einer seltsamen Wonne erwarte ich die Momente der Ruhe im Tanze, die es mir verstatten wurden, mich der Unterhaltung mit ihr zu widmen. Ich war genug Herr uber mich selbst, die Verwirrung zu verbergen, die uber mich gekommen, als ich mich zur Frau Marquise von Harville begab, um meine Partnerin von ihr abzuholen.
Des Vorfalles mit dem Bilde wiederum gedenkend, meinte ich, die Prinzessin mochte meine Verlegenheit teilen. Ich tauschte mich auch nicht. Fast wortlich entsinne ich mich des ersten kurzen Gesprachs, das wir fuhrten ... Ich setze es fur Dich hierher ...
»Hoheit, erlauben also,« sagte ich zu ihr, »da? ich Sie, wie der Herr Gro?herzog es wunschte, mit dem traulichen Worte Base anspreche?«
»Freilich, Vetter,« erwiderte sie, »meinem Vater zu gehorchen, wird immer das Gluck meines Lebens ausmachen.«
»Auf diese Erlaubnis, Base, bin ich um so stolzer, als ich bereits Gelegenheit bekommen habe, Sie durch meine Tante ganz besonders schatzen zu lernen.«
»Das beruht ja dann auf Gegenseitigkeit, Vetter, mir hat mein Papa auch schon mancherlei Schones von Ihnen gesagt« – und wie wenn sie das Wort bereute, setzte sie schuchterner hinzu: »zudem habe ich Sie ja schon im Bilde gekannt, wenn ich mich so ausdrucken darf. Frau Aebtissin von Sankt-Hermangild hat meinem Papa und mir vor kurzem ein Bild gezeigt, das Sie – wenn ich nicht irre – in Pagentracht zeigt ..«
»Ganz recht, in der Pagentracht des 16. Jahrhunderts,« erwiderte ich begluckt.
»Und ich habe Sie auch auf der Stelle nach dem Bilde wiedererkannt,« sagte sie, »als ich Sie vorhin – wahrend der herrlichen Konzertmusik – zufallig mit dem Blicke traf ... trotz der Kostumverschiedenheit ..« Dann aber, wie wenn ihr darum zu tun sei, das Thema schnell zu wechseln, setzte sie hinzu: »Es ist doch erstaunlich, welch gro?artiges Talent dieser Musiker hat – Liszt hei?t er, nicht wahr?«
»Ganz recht, Hoheit,« antwortete ich, »ein bewunderungswurdiges Talent! Und Sie horten ihm wirklich andachtig zu!«