wenigstens kennen gelernt, was es hei?t, glucklich zu sein.« – »Nur auf einige Tage?« – »Doch dafur war das Gluck ungetrubt. Sie widmeten sich mir mit zartlichster Liebe, und ich gab meiner Dankbarkeit und Neigung ruckhaltlos Raum. Die Zukunft war fur mich wie ein Zauber: ich sollte einen Vater haben, den ich anbeten konnte, eine Mutter, die ich doppelt lieben konnte, da ich die erste nie gekannt. Und dann war ich so stolz darauf, Ihr Kind zu sein! Als die, die in Paris Ihre Umgebung bildeten, mich Hoheit nannten, schmeichelte mir dieser Titel. Wenn ich damals einmal der Vergangenheit gedachte, so sprach ich zu mir selbst: Ich, die einst so niedrig stand, so tief gesunken war, ich lebe jetzt in Glanz und Pracht ein konigliches Dasein. Das Gluck kam mir eben zu uberraschend. Ihre Macht wob einen solchen Glanz um mich her, da? man mir wohl nicht verubeln darf, wenn ich mich blenden lie?.«

»Nicht verubeln? Das war ja doch ganz naturlich, armes Kind. Es war nicht unrecht, auf einen Rang stolz zu sein, der dir zukam, dich zu freuen uber die Vorzuge des Standes, zu dem ich dich wieder erhoben. Ach, ich erinnere mich gar wohl! Damals warst du von Herzen froh und fielst mir oft, uberwaltigt von Gluck, an die Brust und riefst in einem Tone, wie ich ihn seither nicht mehr von dir vernommen: O, Vater, zuviel, zuviel des Glucks! Leider dachte ich stets nur daran, wie glucklich du damals gewesen, und habe mich dann uber die spateren traurigen Stimmungen nicht weiter beunruhigt.«

»Aber sagen Sie mir doch, liebes Kind, wodurch ist die ungetrubte und durchaus gerechtfertigte Freude in solche Schwermut verwandelt worden?« fragte Clemence. – »Durch einen traurigen, unvorhergesehenen Umstand,« antwortete Marienblume und erbebte leise. »Sie erinnern sich doch jenes entsetzlichen Auftritts, mein Vater, der sich bei unserer Abreise von Paris ereignete? Da, als der Schuri-Mann ermordet war und in die Wirtsstube gebracht war, als er seinen Geist aushauchte, wissen Sie, wen ich da erblickte? Die Wirtin vom wei?en Kaninchen!«

»Dieses Ungeheuer hast du wiedergesehen? und wo?« – »Sie haben sie nicht bemerkt, sie stand in der Wirtsstube, wo der Schuri-Mann starb, unter den Frauen, die sich mit hereingedrangt hatten.« – »Ach!« rief Rudolf bekummert. »Ich begreife. Erschuttert uber den Tod des Mannes, glaubtest du in dieser Begegnung einen Fingerzeig Gottes erblicken zu sollen.« – »Sie deuten meine Gedanken richtig,«.antwortete Marienblume. »Als ich dieses Weib erblickte, war mir zumute, als wenn all mein Gluck auf einmal vernichtet wurde. Die Vorsehung schien mich fur meinen Stolz, meine Freude zu strafen und mich daran zu erinnern, da? ich die Sunden der Vergangenheit nur durch Reue und Demut suhnen konne!«

»Allein fur diese Vergangenheit bist du nicht verantwortlich zu machen, armes Kind – du wurdest betort, vergewaltigt –« begutigte Clemence die sich in Erinnerungen Peinigende,– »Du bist in den Abgrund hineingesto?en worden wider deinen Willen und konntest von selbst nicht wieder heraus, so sehr du auch die Gesellschaft verabscheutest, in der du dich bewegen mu?test. Du warest fur immer an diese Holle gefesselt gewesen, wenn nicht der Zufall mich dir in den Weg gefuhrt hatte.« – »Doch diese Schandlichkeiten, lieber Vater, haben mich beruhrt, vergiftet, und nichts kann diese entsetzlichen Erinnerungen tilgen. Sie haben mich in die landliche Stille von Bouqueval verfolgt, sie haben mich in Saint-Lazare gepeinigt, sie folgen mir bis in diesen Palast, bis in die Arme des Vaters, bis an die Stufen des Thrones.« Und das Madchen brach in bittere Tranen aus.

Rudolf und Clemence standen stumm vor diesem Ausbruch unversohnlicher Gewissensbisse, sie konnten nur mit ihrer Tochter weinen, denn sie fuhlten, wie ohnmachtig sie seien, das arme Madchen zu trosten.

»Seitdem,« fuhr Marienblume fort, die Tranen trocknend, »sagte ich mir taglich voll bittrer Scham: Man ehrt und achtet dich, die Edelsten des deutschen Volks begegnen dir zuvorkommend, die Schwester eines Kaisers hat sich vor dem versammelten Hofstaat herabgelassen, mir das Stirnband umzulegen – und ich habe im tiefsten Abschaum von Paris gelebt als Duzschwester von Mordern und Dieben. Verzeihen Sie mir, mein Vater, aber je hoher ich gestellt wurde, um so tiefer war der Gram uber die Niedrigkeit meines fruhern Lebens. Bedenken Sie doch, was es hei?t, das gewesen zu sein, was ich war! Und nun mitanzusehen, wie ehrwurdige Herren sich vor mir neigen, wie junge, edle Madchen und ehrbare Frauen sich geehrt fuhlen, wenn sie mir nahe kommen durfen, wie erhabene Furstinnen mich liebevoll behandeln. Mich dunkt dies frevelhaft, ja ich habe das Gefuhl, als lasterte ich alles, was heilig ist! O, was leide ich bei dem Gedanken, da? meine Vergangenheit bekannt werden konnte! Wie wurde man dann die verachten, die man jetzt so verehrt.«

»Aber, Kind, meine Gattin und ich kennen deine Vergangenheit und lieben dich doch.« – »Ihrer beiden Zartlichkeit ist blind.« – »Und alle die Wohltaten, die du getan hast, seit du hier weilst, die fromme Anstalt, die allen verwaisten, verlassenen Madchen eine Zuflucht bietet, dein Wille, sie deine Schwestern zu nennen und wie solche zu behandeln, ist denn das alles nichts, Fehltritte abzubu?en, an denen dich gar keine Schuld trifft? Doch ich sehe es wohl, alle Vernunftgrunde sind machtlos gegen eine so feste Ueberzeugung, von der Vergangenheit nicht loszukommen. Die Kluft zwischen deiner Vergangenheit und deiner jetzigen Stellung mu? fur dich eine bestandige Marter sein. Vergib mir nur, insoweit ich daran schuld bin!«

»Ich Ihnen vergeben, lieber Vater? Gro?er Gott, was denn?« – »Da? ich an deine gro?e Gewissenhaftigkeit, deine Empfindlichkeit nicht vorher gedacht habe. Ich kannte dein feinfuhlendes Herz und hatte alles voraussehen sollen. Allein ich war zu stolz auf dich und glaubte, dich so hoch heben zu konnen, da? du das Vergangne daruber vergessen wurdest. Nun ist das Gegenteil eingetreten. Je hoher ich dich hob, um so tiefer sahst du den Abgrund des Geschehenen unter dir gahnen. Und daran trage ich die Schuld. Ich glaubte, gut zu tun, und habe mich getauscht. O, ich wahnte, mir sei verziehen, allein die Rache des Himmels ist noch nicht befriedigt. Ich soll noch bu?en im Ungluck meiner Tochter.«

Es klopfte an die Tur. Der Furst offnete, und Murph erschien mit einem Briefe. – »Verzeihung, da? ich store,« sagte Walter. »Ein Bote des Fursten von Herkausen-Oldenzaal bringt dieses Schreiben, das Eurer Hoheit unverzuglich ubergeben werden soll.« – »Ich danke dir, mein guter Murph,« sagte Rudolf. »Bleibe, denn ich werde gleich mit dir zu reden haben.« – Dann offnete er den Brief und las, was folgt:

»Eure Hoheit!

Darf ich die Hoffnung hegen, da? die Verwandtschaft, in der ich zu Euer Hoheit stehe, und die Freundschaft, mit der Sie mich beehren, einen Schritt verzeihlich erscheinen lassen, der wohl eine gro?e Kuhnheit ware, wurde er mir nicht durch meine Wahrhaftigkeit nahegelegt. Es sind funfzehn Monate her, gnadiger Herr, seit Sie aus Paris zuruckkehrten in Begleitung einer Tochter, die Ihnen um so teurer war als Sie sie schon fur verloren hielten, wahrend sie doch stets bei der Mutter geweilt hatte, die Sie dann, um Ihre Tochter zu einem legitimen Kinde zu erheben, heirateten.

Ihre Tochter ist also von furstlicher Geburt, zudem von unvergleichlicher Schonheit und von hohem Geiste, wie mir meine Schwester, die Aebtissin von Sankt-Hermangild schreibt, die das Gluck hat, die vielgeliebte Tochter Eurer Hoheit oft zu sehen.

Nun, gnadiger Herr, komme ich ohne Umschweife auf den Gegenstand dieses Briefes, da eine Krankheit mich zu meinem Bedauern verhindert, personlich mit Eurer Hoheit zu sprechen. Mein Sohn hat, als er in Gerolstein weilte, Prinzessin Amalie fast taglich gesehen. Er liebt sie mit aller Glut seiner Natur, aber er hat ihr seine Liebe noch nicht gestanden. Ich hielt es nun fur meine Pflicht, Ihnen dies mitzuteilen. Sie haben meinen Sohn freundlichst an Ihrem Hofe aufgenommen, haben ihn eingeladen, wiederzukommen, und ihm Ihre Freundschaft zuteil werden lassen. Da wurde ich mich Ihres Vertrauens unwert machen, wenn ich Ihnen diese Angelegenheit verheimlichte. Ich wei? freilich, es ware toricht von uns, die Hoffnung zu hegen, da? wir in ein noch engeres Verhaltnis zur Familie Eurer Hoheit kommen konnten. Aber ich wei? auch, da? Sie der liebevollste Vater find, und wenn Sie meinen Sohn fur einen Ihrer Tochter wurdigen Mann halten und glauben wurden, da? er Prinzessin Amalie glucklich zu machen imstande ware, so wurden Sie trotz des Standesunterschiedes und trotz unseres geringeren Vermogens Ihre Einwilligung zu diesem Bunde nicht versagen.

Mir kommt es nicht zu, meinen Sohn Heinrich zu loben, doch darf ich wohl an die Lobspruche erinnern, die Eure Hoheit selbst ihm gezollt haben. Doch wie auch Ihre Entscheidung ausfallen wird, ich versichere Ihnen, wir werden uns ihr ehrerbietig unterwerfen, und ich werde nach wie vor bleiben

Eurer koniglichen Hoheit ergebenster Freund und Diener Gustav Paul, Prinz von Herkausen-Oldenzaal.«

Drittes Kapitel.

Bekenntnisse

Als Rudolf diesen Brief gelesen hatte, stand er eine Weile in Nachdenken versunken, dann erhellte ein Strahl der Hoffnung sein trauriges Gesicht, und er trat zu seiner Tochter zuruck, die Clemence vergebens zu trosten

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