Mutter entzuckt von dir sein muhte. Du gehorst in der Tat zu den wenigen auserlesenen Charakteren, die geboren sind, eine Konigin darin zu unterweisen, wodurch Liebe und Verehrung zu erwerben sind, wie man verlassene, entwurdigte Geschopfe glucklich macht und sich ihre Hingebung und Anbetung gewinnt.«

»O, Vater, haben Sie Mitleid mit mir –« – »Zu lange schon,« versetzte der Furst, »drangt es mich, dir das zu sagen. La? mich hinzufugen, da? auch Clemence das gleiche oft geau?ert hat. Mit Tranen in den Augen hat sie mehrmals schon zu mir gesagt: Wie wunderbar, da? dieses liebe Kind nach all dem Elend, da? sie durchgemacht hat, noch geblieben, was sie ist, da? das Ungluck diese edle Natur nicht gebrochen, sondern vielmehr alle ihre herrlichen Eigenschaften und Vorzuge zur vollen Blute gebracht hat.«

Bei diesen Worten des Fursten offnete sich die Tur, und Clemence, Gro?herzogin von Gerolstein, trat mit einem Briefe in der Hand herein. »Mein Gemahl,« sagte sie zu Rudolf, »hier ist ein Brief fur dich aus Frankreich. Ich bringe ihn dir selber, weil ich mein bequemes Kind heute morgen noch gar nicht zu sehen bekommen habe. Da mu? ich mich selbst zu ihr verfugen,« und Clemence schlo? Marienblume zartlich in die Arme. »Der Brief kommt zur rechten Zeit,« sagte der Furst heiter, nachdem er ihn rasch gelesen. »Wir sprachen eben beide von der Vergangenheit, von diesem Drachen, liebe Clemence. Daher diese Anwandlungen von Schwermut! Doch von wem ist der Brief?« – »Von der guten Lachtaube – der Frau Germains.«

»Von Lachtaube?« rief Marienblume. »O, wie freut es mich, wieder einmal von ihr zu horen!« – »Lieber Freund,« flusterte Clemence dem Herzog zu, »furchtest du nicht, da? dieser Brief schmerzliche Erinnerungen in ihr wachrufen konnte?« – »Gerade diese Erinnerungen will ich zunichte machen, und der Brief Lachtaubens gibt mir eine herrliche Waffe dagegen in die Hand; denn dieses seelensgute Weib betete ja stets unser Kind an.« Und mit lauter Stimme las Rudolf:

»Meierei von Bouqueval, 15. August 1841.

Gnadigster Herr!

Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen zu schreiben, weil ich Ihnen ein gro?es Gluck mitzuteilen habe, das uns beschert wurde, und weil ich Sie, dem wir schon so viel verdanken, um eine Gunst bitten mochte. Seit zehn Tagen bin ich Mutter eines kleinen Engels, einer Tochter, die meinem Germain wie aus den Augen geschnitzt ist. Er freilich meint, sie sahe nur mir ahnlich, und unsere gute Mutter Georges sagt, sie hatte von uns beiden etwas. Uebrigens mussen Ihnen die Ohren tuchtig klingen, denn es vergeht kein Tag, wo wir beide uns nicht anschauen und sagen: Sind wir nicht glucklich? Leben wir nicht im Paradies? Und dann kommt naturlich Ihr Name auf unsere Lippen – verzeihen Sie, da? ich hier was durchstreiche, aber, ich habe aus Versehen »Herr Rudolf« geschrieben, wie ich Sie fruher nannte, und das kann ich doch nicht stehen lassen. Nun, also, gnadigster Herr, unsere Bitte lautet: Wahlen Sie doch einen Namen fur unser Kind. So haben wir es mit den Paten ausgemacht. Und wissen Sie, wer Pate ist? Der Steinschneider Morel und seine Tochter Luise, auch zwei, die Ihnen ihr Gluck verdanken. Morel hat mit dem Gelde, das Sie ihm gegeben, einen Handel mit Edelsteinen angefangen. Das Geschaft geht so gut, da? er seine Familie gut ernahren und alle seine Kinder etwas Ordentliches lernen lassen kann. Luise soll einen ehrlichen, arbeitsamen Handwerker heiraten, der Herz genug hat einzusehen, da? sie an ihrem Ungluck unschuldig gewesen.

Martial kommt in Algier sehr gut weiter. Er hat letztens gro?en Ruhm geeintet, indem er mit seinen Knechten eine Bande raubender Araber mutig zuruckgeschlagen. Seine Frau, die tapfer an seiner Seite gefochten hat, ist leicht verwundet worden. Ich glaube, es freut Sie, wenn ich Ihnen Nachrichten von denen schreibe, deren gutige Vorsehung Sie gewesen sind.

Wir befinden uns in Bouqueval bei unserer guten Mutter. Germain geht des Morgens ins Geschaft und kommt abends wieder. Ich konnte fruher das Landleben nicht leiden, jetzt finde ich, es gibt nicht Schoneres. Das kommt wohl daher, weil sich mein guter Germain hier drau?en so wohl fuhlt. Da fallt mir ein – Sie werden wissen, wo das liebe Madchen, die Schalldirne ist. Wenn Sie Gelegenheit dazu finden, so sagen Sie ihr doch, man gedenkt ihrer hier als des besten, sanftesten, liebsten Wesens von der Welt.

Also, nicht wahr. Sie schlagen unsere Bitte nicht ab? Wenn Sie unserm Madchen einen Namen aussuchen, so wird ihr das Gluck bringen. Zum Schlusse will ich noch vermelden, da? wir mit unsern bescheidnen Mitteln Gutes zu tun trachten, wo immer wir konnen. Dies sage ich nicht, um zu prahlen, sondern damit Sie sehen, da? Ihre Lehren und Taten auf guten Boden gefallen sind. Wir sagen immer zu denen, die wir unterstutzen: Nicht uns dankt, sondern Herrn Rudolf, dem besten, edelsten Menschen, der auf Erden wandelt. Und alle halten Sie nicht fur einen Menschen, sondern fur einen Heiligen. Glauben Sie mir. wenn unsere Kleine buchstabieren lernt, so wird das erste Wort, das sie lesen lernt, Ihr Name sein, und dann die Worte, die Sie auf meinen Brautkorb schrieben: Arbeit und Tugend! – Ehre und Gluck! Ich habe die Ehre, gnadigster Herr, mich Ihnen mit herzlichster Verehrung und Dankbarkeit zu empfehlen

als Ihre untertanigste

Lachtaube, Frau Germain.«

P. S. Indem ich den Brief noch einmal lese, finde ich, da? ich Sie sehr oft als »Herr Rudolf« anrede. Nicht wahr, Sie verzeihen mir das? Haben wir Sie doch unter diesem Namen kennen gelernt, und unter diesem Namen verehren und segnen wir Sie allezeit!«

Zweites Kapitel.

Erinnerungen

»Gute kleine Lachtaube!« rief Clemence geruhrt, als Rudolf den Brief vorgelesen hatte. »So einfach schreibt sie und doch so gefuhlvoll!« – »Ja,« antwortete Rudolf, »sie hat verdient, was man ihr Gutes erwiesen. Ihr Herz ist wie Gold, und unser Kind hier –« Doch erschrocken uber Marienblumen Blasse und Traurigkeit, unterbrach er sich und rief: »Was ist dir?«

»O, wie anders ihr Leben und wie anders meines!« seufzte das Madchen. »Arbeit und Tugend! Ehre und Gluck! Diese vier Worte sagen, was ihr Leben gewesen und was es bleiben wird. Als Madchen tugendhaft und flei?ig, als Frau geliebt und geehrt, als Mutter glucklich – das ist ihr Los, wahrend ich –«

»Lieber Gott, was redest du da?« – »O, verzeihen Sie mir, lieber Vater! Bezichtigen Sie mich nicht des Undanks! Doch was hilft all Ihre unerschopfliche Zartlichkeit, was meiner zweiten Mutter Liebe, was all der Glanz um mich her – meine Schande ist doch nicht auszumerzen. Selbst Ihre Furstenmacht kann das Geschehene nicht ungeschehen machen. Nochmals, verzeihen Sie mir, mein Vater! Ich verschwieg es Ihnen bisher, aber die Erinnerung an mein Dirnentum bringt mich zur Verzweiflung und wird mich toten!«

»Clemence, hore!« rief Rudolf, verzweifelnd. – »Ungluckliches Kind!« sagte Clemence und pre?te des Madchens Hande in den ihren, »unsere Zartlichkeit, die verdiente Liebe aller um Sie her beweisen Ihnen doch, da? die Vergangenheit fur Sie nur ein boser, leerer Traum gewesen sein soll! – »O, welch bitteres Verhangnis!« rief Rudolf. »Wie verwunsche ich jetzt meine Zuruckhaltung, die mich schweigen lie?! Nur zu lange wuchert schon der ungluckliche Gedanke in ihrer Seele, nun ist es zu spat, den beklagenswerten Wahn zu bekampfen. O, wie unglucklich macht mich das!«

»Mut, mein Gemahl!« sagte Clemence, »du sagtest selber, es sei gut, da? wir nun den Feind kennen, gegen den wir uns zu wenden haben. Wir wissen jetzt, weshalb unser liebes Kind so schwermutig ist, und wir werden ihren Gram besiegen, denn wir haben Vernunft, Gerechtigkeit und Liebe auf unserer Seite.«

Marienblume schwieg und schien nach Fassung zu ringen. Nach einer Weile nahm sie Rudolf bei der einen, Clemence bei der andern Hand und sprach im Tone tiefer Ergriffenheit: »Horen Sie mich, mein lieber Vater, und Sie, meine gute Mutter! Es ist ein feierlicher Tag der Entscheidung. Gott hat nicht gewollt, da? ich Ihnen noch langer verhehlen soll, was ich im Herzen empfinde. Doch auch ohnedies hatte ich Ihnen bald gestehen mussen, was mich qualt, denn ich hatte es nicht langer fur mich behalten konnen –« – »O, ich begreife alles,« rief Rudolf voll Schmerz, »nun ist jede Hoffnung verloren!« – »Meine Hoffnung beruht auf der Zukunft, mein Vater,« antwortete Marienblume, »und diese Hoffnung leiht mir Kraft, jetzt so zu Ihnen zu sprechen.«

»Und was kannst du von der Zukunft erwarten, armes Kind, da die Gegenwart nur Schmerz und Trubsal fur dich hat?« – »Das will ich Ihnen sagen, lieber Vater. Doch zuvor erlauben Sie mir, Ihnen vor Gott, der mich hort, zu gestehen, was mein Herz bewegt.« – »Sprich, sprich, wir horen,« sagte Rudolf, indem er sich mit Clemence zu Marienblume setzte.

»Solange ich in Paris war, bei Ihnen, mein Vater,« begann Marienblume, »war ich glucklich, so glucklich, da? mich diese schonen Tage durch jahrelanges Leid nicht zu teuer erkauft dunkten. Sie sehen, ich habe da

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