Schones sein, du Sundensohn!« – »Oho! Wovon lebt Ihr denn als von uns Sundensohnen?«

Marienblumchen hatte dem jungen Menschen mit dem bleichen Gesicht, als sie in die Kaschemme trat, mit freundlichem Lachen zugenickt. Schuri sagte zu ihm.: »He, Barbillon, noch immer Schnaps?« – »Lieber hungern, als keinen Schnabus, und lieber in Holzschuhen laufen als ohne Tabak in der Pfeife,« versetzte der andere mit hohler Stimme, ohne sich vom Platze zu ruhren, und gewaltige Rauchwolken von sich blasend.

»Guten Abend, Mutter Ponisse,« sagte die Schalldirne. – »Guten Abend, mein Blumchen,« erwiderte die Wirtin, die Kleidungsstucke musternd, die das Madchen von ihr geliehen hatte. – »Dir was auf den Leib zu ziehen,« sagte sie, »macht einem Freude, bist du doch reinlich und sauber wie ein Katzchen. Hab dich ja auch erst zur Dirne aufgezogen, seit du aus dem Kasten kamst. Aber man mu? es dir lassen, ein besseres Madel als dich gibts in unserm ganzen Paris nicht.«

– Das Madchen schien auf diese Worte der alten Zuchthauslerin nicht sonderlich stolz zu sein, denn sie lie? den Kopf tief auf die Brust sinken.

Wahrend nun die drei bei ihrer Mahlzeit sa?en, trat eine neue Person herein: ein Mann von mittlerem Alter, gewandt und kraftig, in Jacke und Mutze, der an das Leben in Kaschemmen gewohnt zu sein schien, verlangte er doch in der Gaunersprache, die hier nur ublich war, sein Abendessen. Obgleich er kein Stammgast war, fand er bald keine Obacht mehr, denn Banditen erkennen ihresgleichen ebenso scharf wie ehrliche Leute und wissen vielleicht genauer noch als diese, was sie von jedem einzelnen der ihrigen zu halten haben. Er hatte sich so gesetzt, da? er die beiden Manner von polizeiwidrigem Aussehen, von denen der eine nach Bakel gefragt hatte, scharf ins Auge fassen konnte, ohne da? einer von ihnen es gewahr werden konnte. Bald war die auf einen Moment unterbrochene Unterhaltung wieder im Gange. Schuri zeigte trotz seiner Verwegenheit eine gewisse Unterwurfigkeit gegen Rudolf und getraute sich nicht mehr, ihn zu duzen. So wenig Respekt er vor Recht und Gesetz hatte, so viel Respekt hatte er vor Leibeskraft.

»Ein Wort, ein Mann,« sagte er zu Rudolf, »erzahlen wir uns, wer wir sind, damit wir bekannt zusammen werden.« – »Mach du den Anfang,« versetzte Rudolf. – »Albino von Farbe, entlassener Bagnostrafling, Holzflosser am Kai, im Winter vor Kalte halbtot, im Sommer vor Hitze gedorrt, so ist mein Charakter,« sagte der Bandit; »wer aber sind Sie? Ich sehe Sie zum ersten Male in unserem Alt-Paris.« – »Ich bin Fachermaler und hei?e Rudolf.« – »So? Fachermaler? Nun, deshalb haben Sie so wei?e Hande! Scheint auch zu dem Geschaft ein gutes Teil von Leibeskraft zu gehoren, vorausgesetzt da? Ihre Kameraden ebenso sind wie Sie! Warum kommen Sie aber in eine Kaschemme, wenn Sie Arbeiter sind, und zweifelsohne ehrlicher Arbeiter? Hier gibt es doch blo? Kerle aus dem Bagno, die sich anderwarts im Lande nicht sehen lassen durfen.« – Ich komme her, weil mir an guter Gesellschaft gelegen ist.« – »Hm,« sagte der Bandit, zweifelsvoll den Kopf schuttelnd, »Sie scheinen mir nicht zu trauen und haben wohl auch nicht so unrecht. Indessen erzahle ich gern, wenns Ihnen recht ist, meine ganze Geschichte. Aber eine Bedingung stelle ich dabei: da? Sie mich uber die Sto?e unterrichten, mit denen Sie mich traktiert haben.« – »Warum nicht? Wenn Ihr weiter nichts wollt? Erzahlt also, und dann mag mir das Madchen sagen, wie es mit ihr steht.« – »Hab nichts dawider,« versetzte das Madchen. – »Aber Sie bleiben uns dann Ihre Geschichte nicht schuldig?« fragte der Bandit. –»Nein. Kann ja gleich den Anfang machen,« sagte Rudolf. –

»Fachermaler,« sagte das Madchen, »ein hubsches Geschaft!« – »Wieviel bringts denn ein fur den Tag?« fragte Schuri. – Hier bis funf Franks, doch nur im Sommer, weil da die Tage lang sind. Es gibt namlich blo? Stucklohn.« – »Sie machen Wohl oft blauen Montag?« – »Ja, so lange mein Geld reicht. Sechs Sous brauche ich fur Nachtquartier, vier fur Tabak: macht zehn Sous; dann vier Sous fur Fruhstuck und funfzehn fur Mittagbrot, ein paar noch fur Schnaps, macht also auf den Tag etwa drei?ig Sous. Wer braucht da die ganze Woche zu arbeiten? Da ists doch gescheiter, man la?t sichs die ubrige Zeit Wohl sein!« – »Und Ihre Angehorigen?« fragte das Madchen. – »Die hat die Cholera morbus weggerafft,« versetzte Rudolf. – »Was waren denn Ihre Eltern?« fragte sie weiter. – »Lumpensammler, hatten unter der Halle ihren Stand. Der Vormund verkaufte alles, was da war, und gab mir drei?ig Francs als Erlos.« – »Und wer ist Ihr Brotherr?« – »Borel in der Rue des Bourdonnais. Ein Protz und ein Filz, der jeden Arbeiter bis aufs Blut quetscht. Seit meinem funfzehnten Jahre bin ich bei ihm in der Lehre gewesen. Wohne jetzt in der Rue de la Juiverie, im vierten Stock und hei?e Rudolf Durand. Da habt Ihr meine Geschichte,« – »Nun mag die Schalldirne erzahlen,« sagte Schuri; »ich warte mit meinem Historchen bis zuletzt.«

Drittes Kapitel.

Was die Sangerin zu erzahlen hatte

»Wir fangen von vorne an,« sagte der Schuri: »wer sind deine Eltern?« – »Die hab ich nicht gekannt,« sagte das Madchen. – »Schnurrig, Madel. Da sind wir von gleicher Familie!« – »Du bist auch Waise, Schuri?« – »Jawohl, von der Stra?e, wie du, mein Kind.« – »Und wer hat dich erzogen?« fragte Rudolf. – »Wei? ich nicht. Kann nicht weiter zuruckdenken, als bis zu meinem siebenten oder achten Jahre. Da bin ich bei einem alten Weibe gewesen, das die Eule genannt wurde.« – »Oho!« rief der Bandit. – »Ja, fur sie mu?te ich auf dem Pont-Neuf Gerstenzucker feil halten. Brachte ich weniger als zehn Sous mit heim, bekam ich Prugel und nichts zu essen.« – »Die Frau war nicht deine Mutter? Das wei?t du bestimmt?« fragte Rudolf. – »Ganz bestimmt! Hat mir das Weib doch oft genug vorgeworfen, ich hatte weder Vater noch Mutter, sondern sie hatte mich auf der Stra?e aufgelesen. Fruhmorgens mu?te ich nach Montfaucon hinaus, Regenwurmer zum Angeln zu suchen, denn tagsuber trieb das Weib unter der Notre-Dame-Brucke einen Handel mit Angelruten.« – »Na, bis Montfaucon ists ein derber Weg, der dir aber recht gut bekommen zu sein scheint. Bist ja gerade gewachsen wie eine Tanne,« sagte der Bandit; »und die schmale Kost scheint dir auch ganz gut bekommen zu sein, denn sie hat dir eine Wespentaille geschaffen. Hast also keine Ursache Zu klagen!« – »Aber es hat Prugel genug gesetzt, und wenn mich das Weib schlug, bin ich immer beim ersten Schlag umgefallen. Dann hat sie mich mit Fu?en getreten und geschrien, ich hatte gar keine Bouillon in den Knochen, so rund und fett wie ich sei. Anders als Balg hat sie mich gar nicht gerufen, das war mein Taufname.«

»Na, mir ists ebenso gegangen. Mich hat man nie anders als Hund gerufen! Komisch, Madel, wie ahnlich die Dinge doch zwischen uns liegen!« – Das Madchen, das sich vor Rudolf zu schamen schien, ruckte naher zu dem Banditen heran, der sie nun fragte, was sie weiter am Tage getrieben, nachdem sie von Montfaucon zuruckgekehrt sei. – »Bis gegen Abend mu?te ich betteln,« sagte das Madchen, »und sobald es mir einfiel, etwas Essen zu fordern, bekam ich allemal Prugel, und wenn mich hungerte, schickte sie mich mit einem kleinen Ma?chen voll Gerstenzucker auf den Pont-Neuf. Ob ich dort vor Kalte zitterte wie Espenlaub, das hat sie nie gekummert.« – »Schon wieder ganz, wie es mir gegangen ist,« sagte der Schuri, »mir ists ebenso gegangen.« – »Dort mu?te ich stehen bis gegen elf. Die Passanten haben mir manchmal ein paar Sous in die Hand gedruckt, weil meine Tranen sie ruhrten. Mit der Zeit gewohnte ich mich an die Prugel. »Wenn ich nicht weinte, war die Alte immer au?er sich, und um sie recht zu argern, lachte ich dann immer aus vollem Herzen, sobald sie zum Schlage ausholte. Abends habe ich, statt Gerstenzucker zu verkaufen, immer gesungen wie eine Lerche, wenngleich es mir wahrlich nicht nach Singen zumute war.« – »Glaubs dir,« sagte Rudolf. – »Einmal fielen, als ich mit Regenwurmern von Montfaucon heimging, Gassenjungen uber mich her und raubten mir mein Korbchen. Was meiner wartete, wu?te ich: Prugel, aber nichts zu essen! Da hat mich die Alte nicht geschlagen, sondern mich anders gemi?handelt, mir an den Schlafen die Haare ausgerissen, wo es bekanntlich am meisten schmerzt.« – »Sackerment! Das geht ins Aschgraue!« rief der Bandit, mit der Faust auf den Tisch schlagend und die Brauen finster zusammenziehend. »Ein Kind prugeln, geht schlie?lich noch an; aber Kinder mi?handeln, das ist wider alle Moral!«

Rudolf hatte dem Madchen aufmerksam zugehort. Die Teilnahme, die der Bandit fur das Madchen fuhlte, setzte ihn in Verwunderung.

»So gings noch ein paar Tage. Da kam ich wieder einmal heim mit nur drei Sous Einnahme. Da schrie die Alte: ich fra?e alle Tage fur sechs Sous, und es fiele ihr nicht ein, mich umsonst noch langer zu futtern. Es war im Winter, und ich hatte blo? eine dunne Leinwandfahne auf dem Leibe, weder Strumpfe noch ein Hemd, blo? Holzschuhe. Die Alte packte mich bei der Hand. Am meisten erschreckte es mich, da? sie nicht fluchte, sondern auf dem ganzen Wege hin blo? zwischen den Zahnen murmelte. In die Rue Mortellerie ging unser Weg nach einem alten, schmutzigen Hause, das eine Schenke hatte. Die Alte ging zu dem Wirte und trank einen halben Liter Schnaps. Das war ihr regulares Ma?. Sie legte sich deshalb auch immer betrunken zu Bette. Ich fiel vor ihr auf die Knie und bat sie flehentlich, mich nicht in schlimmeres Ungluck zu bringen. Sie sah mich bose an mit ihrem einen Auge – denn sie war einaugig – und zischte mir giftig zu, sie wollte mir schon zeigen, was man mit solch fauler

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