»Julia, wieso? Wir haben uns doch darauf geeinigt, solche Versprechungen nicht mehr zu machen. Das schaffst du nie. Es ist um drei. Wieso hast du ihm gesagt, du kommst?«

»Ich hab gedacht, ich wurde es schaffen.«

Ich seufzte. Es war, so sagte ich mir, ein Zeichen dafur, wie wichtig ihr die Kinder waren. »Okay. Keine Sorge, Schatz. Ich regle das schon.«

»Danke. Oh, und Jack? Apropos Tischsets. Kauf egal welche, blo? keine gelben, ja?«

Und sie legte auf.

Ich machte Spagetti zum Abendessen, weil es bei Spagetti niemals Diskussionen gab. Um acht Uhr schliefen die beiden Kleineren schon, und Nicole machte ihre Hausaufgaben fertig. Sie war zwolf und musste um zehn im Bett sein, sie wollte jedoch nicht, dass ihre Freundinnen das erfuhren.

Die Kleinste, Amanda, war erst neun Monate alt. Sie fing jetzt an, uberall herumzukrabbeln, und konnte schon stehen, wenn sie sich irgendwo festhielt. Dann kam Eric mit seinen acht Jahren; er war ein richtiger Fu?ballfanatiker und dribbelte standig einen Ball vor sich her, wenn er nicht gerade als Ritter verkleidet seine altere Schwester mit einem Plastikschwert durchs Haus jagte.

Nicole machte gerade eine schamhafte Phase durch; nichts bereitete Eric mehr Vergnugen, als ihren BH zu klauen und damit durchs Haus zu rennen und zu rufen: »Nicky tragt 'nen Bee-Haa! Nicky tragt 'nen Bee-Haa!«, wahrend Nicole, die es fur unter ihrer Wurde befand, ihm nachzulaufen, zahneknirschend rief: »Dad? Er macht es schon wieder! Dad!« Und dann musste ich hinter Eric herrennen und ihm sagen, er solle die Finger von den Sachen seiner Schwester lassen.

So sah mein Leben jetzt aus. Am Anfang, nachdem ich den Job bei MediaTronics verloren hatte, fand ich es interessant, mich mit den Rivalitaten zwischen den Geschwistern zu befassen. Und oft schien mir der Unterschied zu meinem alten Job nicht besonders gro?.

Bei MediaTronics stand ich einer Programmierabteilung vor und hatte eine Gruppe talentierter, junger Computerspezialisten unter mir gehabt. Mit vierzig war ich zu alt, um selbst weiterhin als Programmierer zu arbeiten; Codes zu schreiben ist etwas fur junge Leute. Ich wurde also Abteilungsleiter, und das war ein aufreibender Job. Wie die meisten Silicon-ValleyProgrammierer schienen meine Leute bestandig in der Krise zu stecken: zu Schrott gefahrene Porsche, Eifersuchtsdramen, ungluckliche Liebschaften, Auseinandersetzungen mit den Eltern oder Drogenprobleme. Und das alles bei einem au?erst knappen Zeitplan, der nicht selten verlangte, dass die ganze Nacht durchgearbeitet wurde, nur aufrechtgehalten durch kistenweise Cola light und Sun Chips.

Aber es war eine spannende Arbeit auf einem ganz neuen Gebiet. Wir programmierten so genannte »verteilte, parallele Anwendungen oder agentenbasierte Systeme«. Diese Programme bilden biologische Prozesse nach, indem sie innerhalb des Computers virtuelle Agenten erzeugen und sie dann inter-agieren lassen, um Probleme der realen Welt zu losen. Das klingt seltsam, aber es funktioniert sehr gut. So imitierte zum Beispiel eines unserer Programme die Futtersuche von Ameisen - wie Ameisen den kurzesten Weg zum Futter finden -, um Telefongesprache durch ein gro?es Anbieternetz zu dirigieren. Andere Programme ahmten das Verhalten von Termiten, ausschwarmenden Bienen und sich anpirschenden Lowen nach.

Es machte Spa?, und ich ware wahrscheinlich immer noch dort, wenn ich nicht zusatzliche Aufgaben ubernommen hatte. In meinen letzten Monaten war ich fur die Sicherheit zustandig. Ich ersetzte einen externen technischen Berater, der zwei Jahre lang dabei war, aber den Diebstahl eines firmeneigenen Quellcodes nicht entdeckt hatte, bis dieser dann in einem Programm auftauchte, das in Taiwan vermarktet wurde. Genau genommen war es der Quellcode meiner Abteilung - Software fur Parallelverarbeitung. Das war der gestohlene Code.

Wir wussten genau, dass es derselbe war, weil die Ostereier nicht angeruhrt worden waren. Programmierer fugen in ihren Code stets so genannte Ostereier ein, kleine Informationsfragmente, die keinen sinnvollen Zweck haben und nur so zum Spa? eingebaut werden. Die taiwanesische Firma hatte sie unverandert gelassen und unseren Code so benutzt, wie er war. Druckte man also die Tastenkombination Alt-Shift-M-9, offnete sich ein Fenster, in dem das Hochzeitsdatum von einem unserer Programmierer erschien. Eindeutig Diebstahl.

Naturlich gingen wir vor Gericht, aber Don Gross, der Firmenchef, wollte sichergehen, dass so etwas nicht noch einmal passierte. Also ubertrug er mir die Aufgabe, fur die Sicherheit zu sorgen, und weil ich richtig wutend uber den Diebstahl war, willigte ich ein. Ich machte den Job nur nebenbei und leitete weiterhin die Abteilung. Als erste Sicherheitsma?nahme fuhrte ich die Uberwachung der Workstation-Benutzung ein. Das war ziemlich unkompliziert; heutzutage kontrollieren achtzig Prozent der Firmen, was ihre Mitarbeiter an den Terminals so treiben. Das geschieht per Video, durch Aufzeichnen der Tastenanschlage oder durch das Absuchen der E-Mails auf bestimmte Kennworter hin. Es gibt da so einige Moglichkeiten.

Don Gross war ein harter Bursche, er war fruher bei der Marine gewesen und hatte sein militarisches Auftreten nie abgelegt. Als ich ihm von dem neuen System erzahlte, sagte er: »Aber meinen Terminal kontrollierst du doch nicht, oder?« Naturlich nicht, sagte ich. In Wahrheit hatte ich die Programme so entworfen, dass sie jeden Computer in der Firma uberwachten, seinen eingeschlossen. Und so fand ich zwei Wochen spater heraus, dass Don eine Affare mit einer Frau aus der Buchhaltung hatte und ihr sogar einen Dienstwagen besorgt hatte. Ich ging zu ihm und sagte, aufgrund von E-Mails, die an Jean aus der Buchhaltung gegangen seien, musse man annehmen, dass ein unbekannter Mitarbeiter ein Verhaltnis mit ihr habe und dass sie Vergunstigungen bekomme, die ihr nicht zustunden. Ich sagte, ich wisse nicht, wer der Betreffende sei, aber falls sie sich weiter E-Mails schrieben, wurde ich es bald herausfinden.

Ich dachte mir, Don wurde den Wink verstehen, und so war es auch. Doch jetzt schrieb er belastende E- Mails von zu Hause aus, ohne zu ahnen, dass jede Mail durch den zentralen Server lief und ich weiterhin alles mitbekam. Und so erfuhr ich dann auch, dass er Software an auslandische Gro?handler mit enormen »Rabatten« verkaufte und stattliche »Beraterhonora-re« auf einem Konto auf den Kaimaninseln bunkerte. Das war eindeutig illegal, und daruber konnte ich nicht hinwegsehen. Ich fragte meinen Anwalt Gary Marder um Rat, und er empfahl mir zu kundigen.

»Kundigen?«, sagte ich.

»Ja. Naturlich.«

»Aus welchem Grund?«

»Ist doch egal, aus welchem Grund. Du hast woanders ein besseres Angebot bekommen. Du hast gesundheitliche Probleme. Oder aus familiaren Grunden. Schwierigkeiten zu Hause. Aber mach, dass du da wegkommst. Kundige.«

»Moment mal«, sagte ich. »Du meinst also, ich soll kundigen, weil er gegen das Gesetz versto?t? So lautet dein anwaltlicher Rat?«

»Nein«, sagte Gary. »Als dein Anwalt muss ich dir raten, jede illegale Aktivitat zu melden, von der du Kenntnis hast, das ist deine Pflicht. Aber als dein Freund lautet mein Rat, halt den Mund und hau so schnell wie moglich ab.«

»Kommt mir irgendwie feige vor. Ich glaube, ich sollte die Investoren verstandigen.«

Gary seufzte. Er legte eine Hand auf meine Schulter. »Jack«, sagte er, »die Investoren konnen auf sich selbst aufpassen. Mach, dass du da wegkommst, verdammt noch mal.«

Ich hielt das nicht fur richtig. Ich hatte mich machtig uber den Diebstahl meines Codes geargert. Aber jetzt fragte ich mich, ob er tatsachlich gestohlen worden war. Vielleicht war er ja auch verkauft worden. Wir waren ein Unternehmen in Privathand, und ich erzahlte die Sache einem Mitglied des Vorstands.

Wie sich herausstellte, hatte auch er seine Finger im Spiel. Am nachsten Tag wurde ich wegen grober Fahrlassigkeit und firmenschadigenden Verhaltens gefeuert. Man drohte mir mit einem Prozess; um meine Abfindung nicht zu verlieren, musste ich jede Menge Papiere unterschreiben, in denen ich mich zum Stillschweigen verpflichtete. Mein Anwalt erledigte den Papierkram fur mich und seufzte bei jedem neuen Dokument.

Anschlie?end gingen wir nach drau?en in den milchigen Sonnenschein. Ich sagte: »Tja, wenigstens ist die Sache nun ausgestanden.«

Er wandte sich um und sah mich an. »Wie kommst du denn da drauf?«, fragte er.

Denn naturlich war die Sache nicht ausgestanden. Auf ratselhafte Weise war ich plotzlich gebrandmarkt. Meine Qualifikationen waren ausgezeichnet, und ich arbeitete in einem hei? umkampften Bereich. Aber bei jedem Vorstellungsgesprach merkte ich gleich, dass sie nicht interessiert waren. Schlimmer noch, sie fuhlten sich unbehaglich. Silicon Valley ist zwar gro?, aber im Grunde ein Dorf. Alles spricht sich herum. Schlie?lich stellte ich

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