mich bei jemandem vor, den ich fluchtig kannte, Ted Landow. Im Jahr zuvor hatte ich seinen Sohn in der Baseball-Juniorenmannschaft trainiert. Als das Gesprach voruber war, sagte ich zu ihm: »Was haben Sie uber mich gehort?«

Er schuttelte den Kopf. »Nichts, Jack.«

Ich sagte: »Ted, ich habe in zehn Tagen zehn Vorstellungsgesprache gehabt. Verraten Sie's schon.«

»Da gibt es nichts zu verraten.«

»Ted.«

Er kramte in seinen Unterlagen, blickte auf sie hinab, nicht mich an. Er seufzte. »Jack Forman. Unruhestifter. Nicht kooperativ. Aggressiv. Hitzkopfig. Ohne Teamgeist.« Er zogerte, sagte dann: »Und angeblich waren Sie in irgendwelche Machenschaften verwickelt. Hier steht nichts Naheres, aber irgendwelche zwielichtigen Geschafte. Sie haben die Hand aufgehalten.«

»Ich habe die Hand aufgehalten?«, sagte ich. Ich spurte Wut in mir aufsteigen und wollte noch mehr sagen, begriff aber im letzten Moment, dass ich dann wahrscheinlich hitzkopfig und aggressiv gewirkt hatte. Also hielt ich den Mund und bedankte mich.

Als ich ging, sagte er: »Jack, tun Sie sich selbst einen Gefallen. Warten Sie eine Weile ab. Im Valley andern sich die Dinge schnell. Sie haben ausgezeichnete Referenzen und hervorragende Fahigkeiten. Warten Sie bis ...« Er zuckte die Achseln.

»Zwei Monate?«

»Ich wurde sagen: vier, vielleicht funf.«

Irgendwie wusste ich, dass er Recht hatte. Danach gab ich mir nicht mehr so gro?e Muhe. Mir kamen Geruchte zu Ohren, dass MediaTronics kurz vor der Pleite stand und dass einigen Leuten moglicherweise Klagen drohten. Ich witterte die Chance auf Vergeltung, aber vorerst konnte ich nichts anderes tun als warten.

Allmahlich kam es mir auch nicht mehr so komisch vor, morgens nicht zur Arbeit zu gehen. Julia machte immer haufiger Uberstunden, und die Kinder forderten mich; wenn ich zu Hause war, wandten sie sich an mich statt an unsere Haushalterin Maria. Ich brachte sie zur Schule, holte sie wieder ab, fuhr mit ihnen zum Arzt, zum Kieferorthopaden, zum Fu?balltraining. Die ersten Abendessen, die ich zubereitete, waren eine Katastrophe, aber ich lernte dazu.

Und ehe ich wusste, wie mir geschah, kaufte ich Tischsets und sah mir Geschirr bei Crate and Barrel an. Und es kam mir alles ganz normal vor.

Julia kam gegen halb zehn nach Hause. Ich sa? vor dem Fernseher und guckte das Spiel der Giants, ohne richtig hinzuschauen. Sie kam herein und gab mir einen Kuss auf den Nacken. Sie sagte: »Schlafen alle?«

»Bis auf Nicole. Sie macht noch Hausaufgaben.«

»Was? Musste sie nicht langst im Bett sein?«

»Nein, Schatz«, sagte ich. »Wir haben das doch besprochen.

Dieses Jahr darf sie bis zehn aufbleiben, wei?t du nicht mehr?«

Julia zuckte die Achseln, als konne sie sich nicht erinnern. Und vielleicht erinnerte sie sich wirklich nicht. Wir hatten eine Art Rollentausch vollzogen; immer war sie diejenige gewesen, die mehr uber die Kinder gewusst hatte, aber jetzt war ich das. Manchmal hatte Julia Probleme damit, erlebte es irgendwie als Machtverlust.

»Wie geht's der Kleinen?«

»Ihre Erkaltung ist besser geworden. Schnieft nur noch ein bisschen. Sie isst auch wieder mehr.«

Ich ging mit Julia zu den Kinderzimmern. Sie trat in das Zimmer der Kleinen, beugte sich uber das Bettchen und kusste das schlafende Kind zartlich. Ich beobachtete sie und dachte dabei, dass ein Vater niemals an die liebevolle Fursorge einer Mutter heranreichte. Julia hatte eine innere Verbindung zu den Kindern, wie ich sie nie haben wurde. Oder zumindest war die Verbindung anderer Art. Sie lauschte dem leisen Atem der Kleinen und sagte: »Ja, es geht ihr besser.«

Dann ging sie in Erics Zimmer, nahm den Gameboy von der Bettdecke und warf mir einen finsteren Blick zu. Ich zuckte die Achseln, leicht gereizt; ich wusste, dass Eric mit seinem Gameboy spielte, wenn er eigentlich schon schlafen sollte, aber ich hatte zu der Zeit alle Hande voll damit zu tun, die Kleine ins Bett zu bringen, und ich hatte nicht daran gedacht. Ich fand, Julia konnte ruhig mehr Verstandnis zeigen.

Dann ging sie in Nicoles Zimmer. Nicole sa? an ihrem Laptop, klappte aber den Deckel zu, als ihre Mutter hereinkam. »Hi, Mom.«

»Du bist zu lange auf.«

»Nein, Mom .«

»Du solltest deine Hausaufgaben machen.«

»Die hab ich fertig.«

»Und wieso bist du dann noch nicht im Bett?«

»Weil .«

»Ich mochte nicht, dass du noch bis spatnachts mit deinen Freundinnen chattest.«

»Mom ...«, sagte sie in gequaltem Ton.

»Du siehst sie jeden Tag in der Schule, das durfte wohl reichen.«

»Mom .«

»Du brauchst deinen Vater gar nicht so anzugucken. Wir wissen ja, dass er dir alles erlaubt. Jetzt rede ich mit dir.«

Sie seufzte. »Ich wei?, Mom.«

Diese Art der Interaktion zwischen Nicole und Julia wurde immer mehr zur Gewohnheit. Wahrscheinlich war das bei Kindern in dem Alter normal, aber ich hielt es fur besser, mich einzuschalten. Julia war mude, und wenn sie mude war, wurde sie streng und allzu autoritar. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und sagte: »Es ist schon spat. Mochtest du eine Tasse Tee?«

»Jack, misch dich nicht ein.«

»Tu ich ja gar nicht, ich wollte blo? .«

»Doch, das tust du. Ich rede mit Nicole, und du mischst dich ein, wie immer.«

»Schatz, wir haben vereinbart, dass sie bis zehn aufbleiben darf, ich wei? nicht, was das .«

»Aber wenn sie mit den Hausaufgaben fertig ist, sollte sie ins Bett gehen.«

»So war das nicht abgemacht.«

»Ich will nicht, dass sie von morgens bis abends am Computer sitzt.«

»Das tut sie auch nicht, Julia.«

In diesem Moment brach Nicole in Tranen aus und sprang schluchzend auf: »Dauernd kritisierst du an mir rum! Ich hasse dich!« Sie lief ins Badezimmer und knallte die Tur zu. Davon wurde das Baby wach und fing an zu schreien.

Julia wandte sich mir zu und sagte: »Wurdest du mich das in Zukunft bitte alleine regeln lassen, Jack.«

Und ich sagte: »Du hast Recht. Es tut mir Leid. Du hast Recht.«

In Wahrheit sah ich das keineswegs so. Mehr und mehr betrachtete ich das Haus als mein Haus, die Kinder als meine Kinder. Sie platzte spatabends in mein Haus, nachdem ich dafur gesorgt hatte, dass alles ruhig war, so wie ich es mochte, wie es sein sollte. Und sie machte ein Heidentheater.

Ich fand uberhaupt nicht, dass sie Recht hatte. Ich fand, sie hatte Unrecht.

Und in den vergangenen Wochen war mir aufgefallen, dass sich Vorfalle dieser Art hauften. Zunachst glaubte ich, Julia hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie so viel weg war. Dann glaubte ich, sie wollte ihre Position verteidigen, die Kontrolle uber einen Haushalt zuruckgewinnen, der mir in die Hande gefallen war. Und dann glaubte ich, es lage daran, dass sie mude war oder in der Firma so stark unter Druck stand.

Doch in letzter Zeit merkte ich selbst, dass ich Entschuldigungen fur ihr Verhalten suchte. Mich beschlich das Gefuhl, Julia hatte sich verandert. Sie war anders, irgendwie angespannter, harter.

Die Kleine brullte aus vollem Halse. Ich hob sie aus dem Bettchen, nahm sie auf den Arm, sprach beruhigend auf sie ein und schob gleichzeitig einen Finger hinten in die Windel, um zu sehen, ob sie nass war. Sie war nass. Ich legte meine Tochter auf die Wickelkommode, und sie brullte wieder, bis ich ihre Lieblingsrassel schuttelte und sie ihr in die Hand gab. Da wurde sie ruhig und lie? sich ohne viel Gestrampel von mir die Windel abnehmen.

»Ich mach das«, sagte Julia und trat ins Zimmer.

»Ist schon gut.«

»Ich hab sie aufgeweckt, also mach ich das auch.«

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