»Wirklich Schatz, es ist kein Problem.«

Julia legte eine Hand auf meine Schulter, kusste mir den Nacken. »Tut mir Leid, dass ich mich so idiotisch auffuhre. Ich bin hundemude. Ich wei? nicht, was mich vorhin geritten hat. Lass mich die Windel wechseln, ich krieg meine Kleine ja kaum zu sehen.«

»Okay«, sagte ich. Ich machte Platz, und sie trat an meine Stelle.

»Hi, mein su?es Stinkerlein«, sagte sie und fasste der Kleinen zartlich unters Kinn. »Wie geht's denn meinem Knubbel-Bubbel?« Bei so viel Zuwendung fiel unserer Tochter die Rassel aus der Hand, und dann fing sie an zu schreien und drehte sich auf der Kommode weg. Julia merkte nicht, dass die fehlende Rassel der Grund fur das Gebrull war; stattdessen gab sie beruhigende Laute von sich und muhte sich ab, die neue Windel anzulegen, was schwer war, da das Baby sich wand und strampelte. »Amanda, lass das!«

Ich sagte: »Das macht sie zurzeit.« Und das stimmte auch; Amanda war in der Phase, in der sie sich aktiv gegen das Windelwechseln wehrte. Und sie konnte ziemlich fest treten.

»Egal, sie soll aufhoren. Lass das!«

Das Baby schrie lauter, versuchte, sich wegzudrehen. Einer der Klebeverschlusse riss ab. Die Windel rutschte nach unten. Amanda rollte sich jetzt auf den Rand der Kommode zu. Julia zog sie grob zuruck. Amanda strampelte weiter.

»Verdammt noch mal, lass das sein, hab ich gesagt!«, fauchte Julia und gab dem Baby einen Klaps aufs Bein. Das Baby schrie lauter, trat noch fester. »Amanda! Lass das! Lass das!« Sie schlug sie erneut. »Lass das! Lass das!«

Einen Augenblick lang reagierte ich nicht. Ich war fassungslos. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. »Schatz ...«, sagte ich und beugte mich vor, »nicht doch, wie war's ...«

Julia explodierte. »Verdammt noch mal, wieso mischst du dich eigentlich dauernd ein?«, brullte sie und schlug klatschend auf die Kommode. »Was hast du fur ein verdammtes Problem?«

Und dann sturmte sie aus dem Zimmer.

Ich atmete tief durch und nahm das Baby hoch. Amanda brullte untrostlich, vor Verwirrung und vor Schmerz gleicherma?en. Ich dachte mir, dass ich ihr ein Flaschchen geben musste, damit sie wieder einschlief. Ich streichelte ihr den Rucken, bis sie sich etwas beruhigt hatte. Dann machte ich ihr die Windel richtig zu und ging mit ihr in die Kuche, wo ich das Flaschchen aufwarmte. Das Licht war gedampft, nur die Leuchtstofflampen uber der Fruhstuckstheke brannten.

Julia sa? am Tisch, trank Bier aus der Flasche und starrte ins Leere. »Wann suchst du dir endlich einen Job?«, fragte sie.

»Ich bemuh mich.«

»Wirklich? Davon merk ich aber nichts. Wann hattest du dein letztes Vorstellungsgesprach?«

»Vergangene Woche«, sagte ich.

Sie schnaubte. »Ich wunschte, du wurdest dich etwas beeilen«, sagte sie, »mich treibt namlich die Situation hier langsam in den Wahnsinn.«

Ich schluckte meine Wut hinunter. »Ich wei?. Es ist fur uns alle schwer«, sagte ich. Es war schon spat, und ich hatte keine Lust mehr zu streiten. Aber ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln.

Mit ihren sechsunddrei?ig Jahren war Julia eine auffallend hubsche Frau, zierlich, mit dunklem Haar und dunklen Augen, Stupsnase und einem Naturell, das von vielen als temperamentvoll oder spritzig bezeichnet wurde. Ganz im Gegensatz zu vielen Managern in der Branche war sie attraktiv und umganglich. Sie schloss leicht Freundschaften und hatte Humor. Vor Jahren, als Nicole noch ganz klein war, erzahlte Julia manchmal, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, umwerfend komisch von den kleinen Schwachen ihrer Investoren. Wir sa?en an genau diesem Kuchentisch und lachten bis zum Umfallen, wahrend die kleine Nicole sie am Arm zog und sagte: »Was ist so lustig, Mom? Was ist so lustig?« Sie wollte gern mitlachen. Naturlich konnten wir ihr nicht erklaren, was so lustig war, aber Julia schien immer noch irgendwas Lustiges auf Lager zu haben, damit auch Nicole lachen konnte. Julia hatte eine echte Gabe, die humorvolle Seite des Lebens zu sehen. Sie war bekannt fur ihre Ausgeglichenheit; sie verlor so gut wie nie die Beherrschung.

Jetzt war sie selbstverstandlich wutend. Wollte mich nicht einmal anschauen. Sie sa? im Dunkeln an dem runden Kuchentisch, ein Bein uber das andere geschlagen und ungeduldig damit wippend, wahrend sie ins Nichts starrte. Als ich sie ansah, hatte ich das Gefuhl, ihr Au?eres hatte sich irgendwie verandert. Naturlich hatte sie in letzter Zeit abgenommen, durch den Stress im Job. Eine gewisse Weichheit in ihrem Gesicht war verschwunden; die Wangenknochen traten starker hervor, das Kinn wirkte spitzer. Sie sah dadurch harter aus, aber irgendwie noch schoner.

Auch ihre Kleidung war anders. Julia trug einen dunklen Rock und eine wei?e Bluse, sozusagen das Standardoutfit fur Managerinnen. Aber der Rock war enger als gewohnlich. Und durch ihren wippenden Fu? wurde ich auf die Slingpumps aufmerksam. Fruher hatte sie die mal als Aufrei?schuhe bezeichnet. Schuhe, die sie nie zur Arbeit anziehen wurde.

Und dann begriff ich, dass alles an ihr anders war - ihr Verhalten, ihr Aussehen, ihre Stimmung, alles -, und blitzartig wurde mir klar, warum: Meine Frau hatte eine Affare.

Das Wasser im Topf fing an zu dampfen, und ich zog das Flaschchen heraus, testete die Temperatur an meinem Unterarm. Es war zu hei? geworden, und ich musste es einen Moment abkuhlen lassen. Das Baby begann zu schreien, und ich schaukelte es sachte an meiner Schulter, wahrend ich mit ihm durch den Raum ging.

Julia blickte mich kein einziges Mal an. Sie wippte blo? weiter mit dem Fu? und starrte ins Leere.

Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass das ein Syndrom war. Der Mann ist arbeitslos, seine maskuline Attraktivitat schwindet, seine Frau hat keinen Respekt mehr vor ihm, sie nimmt sich einen Liebhaber. Ich hatte das in Glamour oder Redbook oder einer der anderen Zeitschriften gelesen, die wir zu Hause haben, wahrend ich darauf wartete, dass die Wasche fertig wurde oder die Mikrowelle den Hamburger aufgetaut hatte.

Aber jetzt durchfluteten mich widerstreitende Gefuhle. War es wirklich wahr? Oder war ich blo? mude und fantasierte mir schlechte Geschichten zusammen? Was spielte es fur eine Rolle, dass sie engere Rocke und andere Schuhe trug? Die Mode anderte sich. Menschen hatten an unterschiedlichen Tagen unterschiedliche Stimmungen. Und nur weil sie manchmal verargert war, musste sie noch lange keine Affare haben. Naturlich nicht. Wahrscheinlich fuhlte ich mich blo? unzulanglich, unattraktiv. Wahrscheinlich traten nur meine Unsicherheiten zum Vorschein. Eine Weile verliefen meine Gedanken in dieser Bahn.

Aber aus irgendeinem Grund kam ich nicht mehr davon los.

Ich war mir sicher, dass ich mich nicht irrte. Seit uber zwolf Jahren lebte ich mit dieser Frau zusammen. Ich wusste, dass sie anders war, und ich wusste, warum. Ich konnte formlich spuren, dass da jemand war, ein Au?enstehender, einer, der in unsere Beziehung eingedrungen war. Ich fuhlte es mit einer Gewissheit, die mich uberrumpelte. Ich fuhlte es tief in mir, wie einen Schmerz.

Ich musste mich abwenden.

Das Baby nahm das Flaschchen und gluckste glucklich. In der halbdunklen Kuche starrte Amanda mit dem eigentumlich unverwandten Blick, wie Babys ihn haben, zu mir hoch. Ihr Anblick war irgendwie trostlich. Nach einer Weile schloss sie die Augen, und dann wurde ihr Mund schlaff. Ich legte sie an meine Schulter und lie? sie ein Bauerchen machen, wahrend ich sie in ihr Zimmer trug. Die meisten Eltern klopfen ihren Babys zu fest auf den Rucken, damit sie ein Bauerchen machen. Es ist besser, ihnen einfach mit der flachen Hand den Rucken zu reiben und manchmal nur mit zwei Fingern die Wirbelsaule entlangzustreichen. Sie rulpste leise und entspannte sich.

Ich legte sie in ihr Bettchen und drehte das Nachtlicht aus. Jetzt kam das einzige Licht im Raum von dem Aquarium, das grunblau in der Ecke blubberte. Ein Plastiktaucher dumpelte uber den Grund und zog Blasen hinter sich her.

Als ich mich umwandte, sah ich Julias Silhouette in der offenen Tur, dunkles Haar von hinten erhellt. Sie hatte mich beobachtet. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. Leise kam sie naher. Ich verkrampfte mich. Sie schlang ihre Arme um mich und legte den Kopf an meine Brust.

»Bitte verzeih mir«, sagte sie. »Ich benehme mich wirklich unmoglich. Du machst das wunderbar. Und ich bin blo? eifersuchtig, mehr nicht.« Meine Schulter war nass von ihren Tranen.

»Ich verstehe schon«, sagte ich und hielt sie fest. »Ist schon gut.«

Ich wartete, dass mein Korper sich wieder entspannte, aber das geschah nicht. Ich war misstrauisch und auf der Hut. Ich hatte ein ungutes Gefuhl wegen ihr, und es ging nicht weg.

Sie kam aus der Dusche ins Schlafzimmer und rubbelte sich das kurze Haar trocken. Ich sa? auf dem Bett

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