Mengen -preiswert und schnell. Tausende von ihnen wurden erst die Gro?e eines Punktes ergeben, den eine Bleistiftspitze erzeugt. Binnen einer Stunde konnen wir ein Kilo von diesen Kameras produzieren.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie alle skeptisch sind. Wir alle wissen, dass die Nanotechnologie Versprechungen gemacht hat, die sie nicht einlosen konnte. Wie Ihnen bekannt ist, bestand das Problem darin, dass die Wissenschaftler zwar Gerate in Molekulargro?e entwerfen, sie aber nicht herstellen konnten. Xymos hat dieses Problem nun gelost.«

Plotzlich wurde mir klar, was sie da eigentlich behauptete. »Was?«, sagte ich und setzte mich auf dem Bett auf. »Soll das ein Witz sein?« Wenn das stimmte, war das ein ungeheurer Entwicklungssprung, ein echter technologischer Durchbruch, und es bedeutete .

»Es stimmt«, sagte Julia ruhig. »Wir produzieren in Nevada.« Sie lachelte, genoss meine Verbluffung.

Auf dem Bildschirm sagte Julia gerade: »Ich habe eine von unseren Xymos-Kameras unter dem Elektronenmikroskop, hier«, sie deutete auf den Monitor, »damit Sie sie im Vergleich zu dem roten Blutkorperchen daneben sehen konnen.«

Das Bild wurde schwarzwei?. Ich sah, wie eine feine Sonde etwas, das aussah wie ein winziger Tintenfisch, auf einem Titanfeld in Position schob. Es war ein Klumpen, vorne abgerundet und hinten mit feinen Fadchen versehen. Er war rund zehnmal kleiner als das rote Blutkorperchen, das in dem Vakuum des Rasterelektronenmikroskops als ein schrumpeliges Oval zu erkennen war, wie eine graue Rosine.

»Unsere Kamera ist ein zweimilliardstel Millimeter lang. Wie Sie sehen, hat sie die Form eines Tintenfisches«, sagte Julia. »Die Bildaufnahme erfolgt in der Spitze. Mikrorohrchen im Schwanz sorgen fur die Stabilisierung, wie der Schwanz eines Papierdrachens. Aber sie konnen auch aktiv ausschlagen und Fortbewegung ermoglichen. Jerry, konnen wir wohl die Kamera drehen, damit wir die Spitze sehen ... Okay, so ist gut. Danke. Jetzt sehen Sie vorn in der Mitte die Einbuchtung, nicht wahr? Das ist der Miniatur-Gallium-Arsenid-Photon- Detektor, der als Netzhaut fungiert, und der gestreifte Bereich drum herum - der wie ein Gurtelreifen aussieht - ist biolumineszie-rend und beleuchtet den vor ihm liegenden Bereich. In der Spitze selbst konnen Sie, wenn Sie ganz genau hinschauen, eine recht komplexe Serie von verdrehten Molekulen erkennen. Das ist unsere patentierte ATP-Kaskade. Denken Sie sie sich als ein primitives Gehirn, das das Verhalten der Kamera steuert - zwar sind die Verhaltensmoglichkeiten sehr begrenzt, fur unsere Zwecke reichen sie aber aus.«

Ich horte ein statisches Rauschen und ein Husten. Auf dem Bildschirm offnete sich in der Ecke ein kleines Fenster, in dem jetzt Fritz Leidermeyer in Deutschland zu sehen war. Der Investor bewegte seine immense Leibesfulle. »Verzeihung, Miss Forman. Wo bitte ist das Objektiv?«

»Es gibt kein Objektiv.«

»Aber eine Kamera braucht doch ein Objektiv?«

»Dazu komme ich gleich«, sagte sie.

Mit Blick auf den Bildschirm sagte ich: »Es muss eine Camera obscura sein.«

»Richtig«, sagte sie nickend.

Die Camera obscura - Lateinisch fur »dunkle Kammer« -war die erste bekannte Kamera uberhaupt. Die Romer hatten festgestellt, dass ein kleines Loch in der Wand eines dunklen Raumes auf der gegenuberliegenden Wand ein auf dem Kopf stehendes, seitenverkehrtes Bild von der Au?enwelt erzeugt. Der Grund dafur ist, dass Licht, das durch eine kleine Offnung dringt, fokussiert wird, wie von einer Linse. Nach demselben Prinzip funktionieren die Lochkameras von Kindern. Seit den alten Romern wurden deshalb Apparate, die optische Abbildungen ermoglichten, »Kameras« genannt. Aber in diesem Fall

»Wie entsteht die Blendenoffnung?«, fragte ich. »Gibt es ein Nadelloch?«

»Ich dachte, das wusstest du«, sagte sie. »Fur den Teil bist du verantwortlich.«

»Ich?«

»Ja. Xymos hat die Lizenz erworben fur einige agentenbasierte Algorithmen, die dein Team geschrieben hat.«

»Nein, das wusste ich nicht. Welche Algorithmen?«

»Zur Steuerung eines Partikelnetzes.«

»Eure Kameras sind vernetzt? Alle diese winzigen Kameras kommunizieren miteinander?«

»Ja«, erwiderte sie. »Sie sind ein Schwarm, im Grunde genommen.« Sie lachelte noch immer, belustigt uber meine Reaktion.

»Ein Schwarm.« Ich uberlegte, versuchte zu verstehen, was sie mir da sagte. Naturlich hatte mein Team eine Anzahl von Programmen geschrieben, um Agentenschwarme zu steuern. Vorbild dafur war das Verhalten von Bienen, was viele nutzliche Eigenschaften aufweist. Weil Schwarme sich aus vielen Agenten zusammensetzten, konnte der Schwarm recht widerstandsfahig auf die Umwelt reagieren. Wenn Schwarmpro-gramme mit neuen und unerwarteten Bedingungen konfrontiert wurden, sturzten sie nicht ab; sie schwebten sozusagen einfach um die Hindernisse herum und machten weiter.

Doch unsere Programme arbeiteten so, dass sie im Computer virtuelle Agenten entwarfen. Julia hatte reale Agenten in der realen Welt geschaffen. Zunachst leuchtete mir nicht ein, wie unsere Entwicklung sich fur Julias Zwecke umfunktionieren lie?.

»Wir verwenden sie fur die Struktur«, sagte sie. »Das Programm sorgt fur die Schwarmstruktur.«

Naturlich. Es lag auf der Hand, dass eine einzige Molekularkamera nicht ausreichen wurde, um ein Bild aufzunehmen. Daher musste es ein Gemeinschaftswerk von Millionen von Kameras sein, die simultan arbeiteten. Au?erdem mussten die Kameras raumlich in einer geordneten Struktur arrangiert sein, wahrscheinlich als Kugel. Und an diesem Punkt kamen unsere Programme ins Spiel. Aber das wiederum hie?, dass Xymos da gleichsam das Aquivalent eines ...

»Ihr baut ein Auge.«

»Konnte man so sagen. Ja.«

»Aber wo ist die Lichtquelle?«

»Die biolumineszierende Umrandung.«

»Das Licht reicht nicht.«

»Doch. Pass auf.«

Wahrenddessen drehte sich die Julia auf dem Bildschirm grazios um und zeigte auf den Infusionsschlauch hinter sich. Aus einem Eisbehalter in greifbarer Nahe nahm sie eine Spritze. Der Zylinder schien mit Wasser gefullt zu sein. »Diese Spritze«, sagte sie, »enthalt etwa zwanzig Millionen Kameras in einer isotonischen Salzlosung. Im Augenblick sind es noch einzelne Partikel. Sobald sie jedoch in den Blutstrom injiziert werden, steigt ihre Temperatur an, und sie finden sich zusammen, um eine Meta-Form zu bilden. So wie ein Vogelschwarm eine V- Form bildet.«

»Was fur eine Form?«, fragte einer der Investoren.

»Eine runde«, sagte sie. »Mit einer kleinen Offnung an einer Seite. Denken Sie einfach an die Blastula, das fruhe Stadium in der Embryonalentwicklung. Doch im Grunde fugen sich die Partikel zu einem Auge zusammen. Und das Bild aus diesem Auge wird das Gemeinschaftswerk von Millionen von Photondetektoren sein. Genau wie das menschliche Auge mit seinen Stabchen und Zapfen ein Bild erzeugt.«

Sie wandte sich einem Monitor zu, der in einer Endlosschleife immer und immer wieder eine Animation zeigte. Die Kameras drangen als amorphe, unorganisierte Masse in den Blutstrom ein, eine summende Wolke im Blut. Sofort zog das Blut die Wolke zu einem langlichen Streifen auseinander. Binnen Sekunden jedoch verdickte sich der Streifen zu einer Kugel. Die Form wurde schnell deutlicher, bis sie schlie?lich nahezu fest wirkte.

»Falls Sie das an ein richtiges Auge erinnert, dann nicht ohne Grund. Hier bei Xymos imitieren wir ganz bewusst die organische Morphologie«, sagte Julia. »Da wir mit organischen Molekulen arbeiten, sind wir uns daruber im Klaren, dass unsere Umwelt dank einer mehrere Millionen Jahre wahrenden Evolution uber einen Vorrat an funktionierenden molekularen Anordnungen verfugt. Und die nutzen wir.«

»Sie wollen also nicht das Rad neu erfinden?«, fragte jemand.

»Genau. Oder den Augapfel.«

Sie gab ein Zeichen, und die flache Antenne wurde gesenkt, bis sie nur wenige Zentimeter uber der wartenden Versuchsperson schwebte.

»Diese Antenne wird die Kamera steuern und das ubertragene Bild empfangen«, sagte sie. »Das Bild kann selbstverstandlich digital gespeichert, vergro?ert, verandert werden, einfach alles, was sich mit digitalen Daten anstellen lasst. So, falls keiner mehr eine Frage hat, konnen wir anfangen.«

Sie versah die Spritze mit einer Nadel und stach sie in den Gummipfropfen der Veneninfusion.

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